Massaker lohnen sich

Die kolumbianische Regierung verhandelt mit den Paramilitärs. Ihr Ziel ist die Demobilisierung der Einheiten, der Preis wahrscheinlich eine Amnestie für deren Führung. von knut henkel

Bis zum 31. Dezember 2005 soll auch der letzte paramilitärische Verband in Kolumbien entwaffnet und demobilisiert sein, so haben es die kolumbianischen Regierungsvertreter und die Comandantes der Autodefensas Unidos de Colombia (AUC) vereinbart. Das hat auch Salvatore Mancuso in einem Interview in der aktuellen Ausgabe der kolumbianischen Wochenzeitung Semana noch einmal bekräftigt. Mancuso ist neben Carlos Castaño der bekannteste Repräsentant der AUC, befehligt nach eigener Aussage etwa 4 500 Mann und gilt als wichtigster Verhandlungsführer der Paras in den Gesprächen mit Luís Carlos Restrepo, dem Friedenskommissar der Regierung von Präsident Álvaro Uribe.

Für den 39jährigen Mancuso ist klar, dass die »Selbstverteidigung« in die kolumbianische Rechtsprechung eingeführt werden muss, um »das Problem, das diesbezüglich mit den Selbstverteidigern existiert, zu lösen«. An Strafverfolgung mögen Castaño, Mancuso und Co. gar nicht denken.

Nachdem sich Widerstand von Menschenrechtsorganisationen und Politikern gegen eine staatlich sanktionierte Straflosigkeit regte, hat Castaño auf der Internetpage seiner Organisation bereits gedroht, »dass niemand die Autodefensas ins Gefängnis bringen kann«. Er wolle nach der Demobilisierung »in Frieden leben und ehrenvoll für Kolumbien arbeiten«, so Castaño, der in seinem Buch »Mein Bekenntnis« zahlreiche Morde eingestanden hat und dem auch die Verantwortung für mehrere Massaker zur Last gelegt wird.

27 Haftbefehle der kolumbianischen Justiz liegen allein gegen den 40jährigen Gründer der AUC vor, mindestens acht gegen Salvatore Mancuso. Die beiden AUC-Führer sind wahrscheinlich die meistgesuchten Männer Kolumbiens, geben allerdings seit Jahren Zeitungen und Fernsehsendern unbehelligt Interviews. Die mehr oder minder offizielle Version der staatlichen Stellen lautet, dass niemand weiß, wie man der beiden habhaft werden könne. Inoffiziell hat wohl niemand ein Interesse daran, denn Polizei, Armee und AUC sind eng miteinander verflochten, das haben Recherchen der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch ergeben.

Noch in diesem Jahr, so sehen es die Gesprächsergebnisse vor, sollen die ersten Verbände der Paramilitärs aufgelöst werden. Sie sollen sich an einigen zuvor bestimmten Stellen einfinden, entwaffnet und demobilisiert werden. Armee und Polizei sollen dann nachrücken, um zu verhindern, dass die Guerilla in den betreffenden Regionen Fuß fasst.

Nach Schätzungen sind es 12 000 bis 13 000 Mann, die die AUC unter Waffen hat, Mancuso zufolge jedoch 19 500, darunter aber 6 500, die unter dem Befehl abtrünniger Comandantes stehen, die separat mit der Regierung verhandeln oder sich der Demobilisierung widersetzen. Finanziert werden sollen die Auflösung der Verbände und ihre Reintegration ins Zivilleben durch die so genannte internationale Gemeinschaft. Der will Mancuso die Chance geben, sich ein »echtes Bild der Verhältnisse in den AUC-Regionen zu machen«. Danach werde sie dann sicherlich den Reintegrationsprozess unterstützen, erklärte Mancuso im Interview.

Eine naiv anmutende Vorstellung des AUC-Comandante, denn Verbrechen gegen die Menschheit können nach internationalem Recht nicht einfach unter den Teppich gekehrt werden. Das hat auch ein Urteil des Interamerikanischen Gerichts für Menschenrechte gezeigt, das ein Amnestiegesetz in Peru für null und nichtig erklärte. Kolumbien hat sich außerdem vertraglich verpflichtet, die Urteile des Gerichts zu akzeptieren und die nationale Rechtsprechung entsprechend zu modifizieren.

Zudem steht die AUC sowohl in den USA als auch in Europa auf der Liste terroristischer Organisationen, denen man schwerlich von heute auf morgen eine Amnestie gewähren kann und will. Für die AUC ist das unangenehm, allerdings weiß der Dachverband der Paramilitärischen Verbände in Kolumbien große Teile des kolumbianischen Establishments hinter sich. Nicht nur der Präsident persönlich steht hinter seinem Verhandlungsangebot, sondern auch eine ganze Reihe von Politikern und Unternehmern. Diese haben sich in der Vergangenheit paramilitärischer Einheiten bedient, um ihren Besitz zu schützen und ihn teilweise auch zu vergrößern.

Präsident Uribe ist also auf internationale Partner angewiesen, um sein Verhandlungsangebot an die Paramilitärs akzeptabel zu machen. Doch international ist Zurückhaltung bemerkbar. Ein Grund dafür ist die verheerende Menschenrechtsbilanz der Regierung. Menschenrechtsaktivisten, Gewerkschaftern und auch Politikern wurde der staatliche Schutz in Form von gepanzerten Fahrzeugen, Leibwächtern und Wachpersonal zwischenzeitlich beschnitten, und die so genannte Politik der harten Hand hat dem Präsidenten auch internationale Kritik eingebracht. Verstöße gegen internationale Menschenrechtskonventionen hat die Internationale Juristenkommission moniert, Human Rights Watch forderte die Regierung auf, die Arbeit von Menschenrechtsorganisationen zu respektieren. Sie wurden von kolumbianischen Offiziellen, Armeeangehörigen, Botschaftern und einem persönlichen Berater des Präsidenten wiederholt als fünfte Kolonne und »Freunde der Subversion« bezeichnet.

Auch der Versuch, der Armee richterliche und staatsanwaltschaftliche Befugnisse per Gesetz zuzuerkennen, stieß national wie international auf Ablehnung. Bei einem Treffen mit Nichtregierungsorganisationen im Präsidentenpalast zeigte sich Uribe zudem erstaunt, dass das Gesetz mit der Kolumbiendeklaration der Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen nicht vereinbar sei, die erst am 25. April ausgehandelt und unterzeichnet wurde. Ein Fauxpas, der tief blicken lässt, meint Gustavo Gallón, Direktor der kolumbianischen Juristenkommission.

Uribe braucht Partner, um sein Projekt der Demobilisierung der Paramilitärs, die in Kolumbien oft als Halsabschneider tituliert werden, durchsetzen zu können. Doch die USA, Kolumbiens wichtigste Unterstützer, sind in diesem speziellen Fall keine große Hilfe. Aus Washington stammt nämlich ein Auslieferungsgesuch für Castaño und Mancuso wegen Drogenhandels. Sie werden beschuldigt, seit 1997 nicht weniger als 17 Tonnen Kokain in die USA geschmuggelt zu haben, und sollen deshalb dort vor Gericht gestellt werden. Beide Comandantes haben zwar abgestritten, für den Schmuggel verantwortlich zu sein, unstrittig ist jedoch, dass sich ihre mörderische Organisation unter anderem durch den Drogenhandel finanziert. Kolumbianischen Medienberichten zufolge soll die AUC Anbauflächen ebenso wie Laboratorien unterhalten. Hinzu kommt die Besteuerung des Kokaanbaus und Kokainvertriebs in den Gebieten, die sie kontrolliert.

Das ist genauso ein offenes Geheimnis in Kolumbien wie die Kontakte Castaños zur Drug Enforcement Administration (DEA). Ihr soll er mehrere Drogenkapos – aus den eigenen Reihen und darüber hinaus – ans Messer geliefert haben. Es gibt also eine ganze Reihe von Gründen, weshalb Präsident Uribe mit dem US-amerikanischen Außenminister Colin Powell über das Auslieferungsgesuch und die Verhandlungen mit den Paramilitärs reden muss. Gelegenheit dazu hat Uribe in den nächsten Tagen, denn Powell hat sich zum Besuch angesagt.