Alle reden vom Weather

Nach 22 Jahren Haft soll Kathy Boudin, ehemaliges Mitglied der US-amerikanischen Guerilla Weather Underground, aus dem Gefängnis entlassen werden. von egon günther

In den letzten Monaten ist in den USA wiederholt ein Gespenst aus alten Tagen aus der Versenkung aufgetaucht. Mit dem Buch »Fugitive Days« präsentierte zunächst Bill Ayers seine Memoiren über das Leben im radikalen Untergrund der siebziger Jahre. Ayers war ein Gründungsmitglied des Weather Underground und in der Anfangszeit eine zentrale Figur dieser subkulturell geprägten Stadtguerilla, die sich zur Unterstützung der schwarzen Befreiungsbewegung im Herzen der Supermacht organisiert hatte und den Kampf gegen den Imperialismus aufnahm. Sie setzte sich vorwiegend aus weißen Freaks der gehobenen Mittelklasse zusammen.

Dann stellten die Filmemacher Sam Green und Bill Siegel beim Sundance-Festival ihren Dokumentarfilm »Weather Underground« vor, der sich – neben den gezeigten Archivbildern zum Vietnamkrieg, den Morden an Martin Luther King, John F. Kennedy und dem Black Panther Fred Hampton – auf Interviews mit einigen der ehemaligen revolutionären Kämpfer dieser SDS-Abspaltung (Students for a Democratc Society) stützt, die über Jahre hinweg eine Bombenkampagne gegen symbolische Ziele der US-Regierung geführt hatte, um damit »den Krieg nach Hause zu tragen«.

Und last but not least entschied nunmehr am 20. August ein Ausschuss der Strafanstalt von Bedford Hills in Westchester, die mittlerweile 60jährige Kathy Boudin unter Auflagen aus der Haft zu entlassen, nachdem er zuvor bereits zweimal das gleiche Gesuch abgelehnt hatte. Boudin, ein altes Mitglied von Weather Underground, die Tochter eines bekannten Bürgerrechtsanwalts und einer Dichterin, befindet sich seit 22 Jahren im Gefängnis. Sie war wegen ihrer Beteiligung an einem Überfall auf einen Geldtransporter der Firma Brinks, der 1981 in dem Ort Nyack am Hudsonriver im Norden New Yorks stattfand, zu einer Strafe von 20 Jahren bis lebenslänglich verurteilt worden.

Es gibt viele, denen die Aufmerksamkeit, die diesem fast schon vergessenen militanten Teil der alten Neuen Linken derzeit zukommt, übel aufstößt. Die Patrioten bringt ohnehin jede Erinnerung an den inländischen Widerstand gegen den Vietnamkrieg in Rage – besonders in einer Zeit, in der wieder einmal Truppen, diesmal allerdings Berufssoldaten, amerikanische Werte in Übersee verteidigen. Und dass etwa die sich als Frauen- und Kinderrechtlerin engagierende Bernadine Dohrn, die Lebensgefährtin von Bill Ayers, damals die Hauptsprecherin des Weather Underground und von FBI-Chef Edgar J. Hoover zur »gefährlichsten Frau in Amerika« ernannt, heute ausgerechnet an der Northwestern University Law School von Illinois als Clinical Associate Professor of Law und als Leiterin des von ihr gegründeten Children and Family Justice Center tätig sein darf, können viele von der Notstandsparanoia ergriffene Bürger kaum nachvollziehen.

Nach dem 11. September 2001 wird offenbar nicht mehr klar zwischen dem einstigen bewaffneten Kampf der weißen, hispanischen und afroamerikanischen US-Radikalen gegen den Staat und den verheerenden terroristischen Attacken auf das Pentagon und das World Trade Center unterschieden – zumal der Weather Underground, als Vergeltung für die schweren amerikanischen Bombenangriffe auf Hanoi, bereits einmal eine Bombe im Luftwaffenflügel des Pentagon hochgehen ließ. Dazu kommt im Fall der bedingten Entlassung von Kathy Boudin der Unmut der Angehörigen der beiden Polizisten und des Brinks-Angestellten, die bei der gescheiterten Enteignungsaktion von Nyack getötet wurden.

Vor dem Überfall auf den Transporter der Firma Brinks waren allerdings bei den zahlreichen und oft spektakulären Anschlägen des Weather Underground – u.a. auf das Haymarket-Denkmal der Chicagoer Polizei, auf das Capitol nach dem Einmarsch der US-Armee in Laos, auf das Pentagon, auf Kriegsforschungsinstitute, Musterungsbehörden, Gerichtsgebäude, Polizeireviere und auf das Hauptquartier der Nationalgarde – wohl eigene Gruppenmitglieder, aber niemals Unbeteiligte zu Schaden gekommen. 1970 ereignete sich in einem Reihenhaus des New Yorker Greenwich Village ein Unglück, als Weather-Aktivisten bei der Bombenherstellung unachtsam vorgingen. Drei Militante starben. Darunter der große Bob Dylan-Fan Terry Robbins, den die Zeile aus dem »Subterranean Homesick Blues« des Sängers, »You don’t need a weatherman to know which way the wind blows«, zum Namen für die weiße Widerstandsgruppe angeregt hatte. Zwei Frauen entkamen dem Inferno. Eine davon war Kathy Boudin, die daraufhin elf Jahre im Untergrund verbrachte.

Doch 1981, zum Zeitpunkt der fatalen Schießerei in Nyack, war der Weather Underground zum größten Teil bereits Geschichte. Bis 1977 hatten Spaltungen und Ausschlüsse im Richtungsstreit um die richtige Orientierung des antiimperialistischen Kampfes dazu geführt, dass viele Mitglieder ausstiegen, sich stellten oder nach einigen Jahren im Untergrund wieder in der Legalität auftauchten.

Ein Teil der Gruppe hatte zum Beispiel den anderen vorgeworfen, in romantischer Verklärung der Arbeiterklasse zu unkritisch Alltagskämpfe aufzugreifen und damit den antirassistischen, antisexistischen und antiimperialistischen Kampf zu vernachlässigen. Die verbliebenen Mitglieder organisierten sich in der May 19 Communist Organization, die nach Malcolm X und Ho Chi Minh benannt wurde, die beide an diesem Tag geboren sind.

Auch Kathy Boudin, deren Geburtstag ebenfalls auf den 19. Mai fällt, schloss sich dieser Gruppe an. Die Organisation beteiligte sich beispielsweise am 2. November 1979 an der Befreiung der schwarzen Aktivistin Assata Shakur aus dem Frauengefängnis Clinton in New Jersey und unterstützte puertoricanische Unabhängigkeitskämpfer. Beim Überfall vom 20. Oktober 1981 auf den Geldtransporter im Norden New Yorks leisteten die Ex-Weather-Mitglieder Boudin und Dave Gilbert einem Ableger der Black Liberation Army (BLA) Fluchthilfe.

Doch der Raubzug geriet zu einem blutigen Fiasko: Er führte zu mehreren Verhaftungen und einem weiteren Toten, dem von der Polizei bei der Fahndung erschossenen BLA-Mitglied Mtayari Sundiata.

Kathy Boudin, die als Beifahrerin eines von der Polizei gestoppten Möbelwagens festgenommen wurde, aus dem die BLA-Aktivisten sich den Weg frei schossen, hatte sich im Brinks-Prozess für schuldig erklärt. Sie galt als vorbildliche Gefangene, die ein Beratungsprogramm für inhaftierte Eltern und eines über Aids entwickelt hat. Zum Zeitpunkt der Brinks-Aktion war Kathy Boudins Sohn 14 Monate alt, der Vater ist David Gilbert, ein ehemaliger Bürgerrechtsaktivist, ebenfalls von Anbeginn bei den Weathermen, der gleichzeitig mit seiner Freundin verhaftet wurde und heute, verurteilt zu 75 Jahren bis lebenslänglich, im Gefängnis von Attica (NY) sitzt.

Bill Clinton hat zwar am letzten Tag seiner US-Präsidentschaft Susan Rosenberg und Linda Evans begnadigt – die eine saß im Zusammenhang mit der Brinks-Aktion im Gefängnis, die andere in Verbindung mit einem weiteren Bombenanschlag auf das Capitol, den eine Armed Resistance Unit als Nachfolgerin des Weather Underground nach der US-Invasion in Grenada ausgeführt hatte. Doch die Liste der politischen Gefangenen in den USA ist immer noch erschreckend lang.