Joint Venture des Terrors

Mit dem Anschlag auf das UN-Quartier in Bagdad wollten die Attentäter die Vereinigten Staaten im Irak politisch weiter isolieren. Sie könnten das Gegenteil erreicht haben. von martin schwarz

Das Pathos ist man mittlerweile von terroristischen Gruppierungen gewohnt: »Keinen Moment lang«, so heißt es in einem Bekennerschreiben einer bislang vollkommen unbekannten »Bewaffneten Vorhut der zweiten Armee Mohammeds«, habe man gezögert, das Blut von »Kreuzrittern« zu vergießen. Doch in diesem Fall waren Kreuzritter ohne Schwert das Ziel des Anschlags: Sergio Vieira de Mello, UN-Koordinator für den Irak, 25 andere Mitarbeiter der Vereinten Nationen und Besucher des UN-Quartiers in Bagdad.

Als am Dienstag der vergangenen Woche ein Lastwagen, beladen mit rund 750 Kilogramm Sprengstoff, darunter Handgranaten und eine 250 Kilogramm-Bombe sowjetischer Bauart, auf das Gelände des zum UN-Hauptquartier umfunktionierten Canal Hotels fuhr und exakt unter dem Büro des UN-Chefs zur Explosion gebracht wurde, hatte der Terror im Irak eine neue Qualität erreicht. Nicht mehr alleine US-Soldaten sind es, die nun ins Visier der Terroristen geraten, sondern auch jene Organisation, die sich anfangs gegen den US-Angriff auf den Irak gesträubt hatte und nun nach einer aktiveren Rolle im Irak sucht.

Sergio Vieira de Mello nämlich wollte nicht alleine helfen, wie es in den Nachrufen auf den Brasilianer hieß. Sein Ziel war, den nach dem Irakkrieg politisch geschwächten Vereinten Nationen mehr Einfluss auf die Gestaltung der Nachkriegsordnung zu verschaffen. Die Uno sollte ihren Anteil am Nation Building haben, die Besatzungsmacht USA in ihren Kompetenzen beschnitten werden. Genau dagegen scheinen sich die Terroristen gewandt zu haben: neben den USA sollte nicht noch ein Player auftauchen und im Nachhinein den Krieg der USA gegen den Irak legitimieren.

Nation Building ist per se für die Terroristen ein rotes Tuch, und diese politische Konditionierung erlaubt den unterschiedlichen Gruppierungen offenbar auch, jenseits ideologischer Grenzen zusammenzuarbeiten. Wahrscheinlich nämlich wird die »Bewaffnete Vorhut der zweiten Armee Muhammeds« nach ihrem mörderischen Debüt nie wieder auftauchen. Es dürfte sich um einen speziell für diesen Anschlag gewählten Namen handeln, ersonnen von einem losen Netzwerk von Terror-Gruppierungen, das sich im Irak zu einem zweckgebundenen Joint Venture zusammengefunden haben.

Es gebe in einigen Fällen eine »Zusammenarbeit in bestimmten Gebieten« zwischen islamistischen Terroristen und ehemaligen Saddam-Anhängern, analysierte etwa der Chef des US-Zentralkommandos im Irak, General John Abizaid. »Ich würde zwar nicht behaupten wollen, dass sie echte Alliierte geworden sind und natürlich sind sie ideologisch nicht kompatibel. Aber andererseits kooperiert man eben manchmal gegen einen gemeinsamen Feind«, so Abizaid weiter.

Dabei könnte die Arbeitsteilung zwischen dem ehemaligen Saddam-Establishment und islamistischen Terrorzellen so gestaltet sein, dass die Vertreter des alten Regimes für die logistische und finanzielle Unterstützung sorgen, während islamistische Gruppierungen das nötige Personal zur Verfügung stellen – und auch den nötigen Fanatismus, um sich als Märtyrer zu opfern. Ansar-al-Islam etwa, die islamistische Terrorgruppe, die vor dem Krieg vor allem im kurdischen Norden operierte, soll mittlerweile rund 150 ihrer Kämpfer bis nach Bagdad geschleust haben.

In der US-Regierung geht man außerdem davon aus, dass die Gegner des Nation Building auch Unterstützung aus dem Ausland erhalten. Syrien etwa soll ein nicht versiegendes Reservoir für den terroristischen Nachwuchs sein. »Es gibt ausländische Kämpfer im Irak – und wir haben viele von ihnen gefangen – die über die Grenze aus Syrien kamen«, so Abizaid. US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld setzte da gleich nach und beschuldigte Syrien und andere Staaten, an der Infiltrierung beteiligt zu sein: »Sie werden ganz klar nicht von jenen Ländern gestoppt, aus denen sie kommen.«

Vielleicht aber hätte die »Bewaffnete Vorhut der zweiten Armee Mohammeds« doch einen »Moment« zögern sollen, bevor sie das Blut von »Kreuzrittern« vergoss. Denn nach der Zeit des Schocks könnte der politische Effekt ein ganz anderer sein als von den Attentätern erhofft. Nicht zu einer weiteren Isolierung der USA im Irak könnte es nach dem Anschlag auf das UN-Quartier kommen, sondern im Gegenteil zu einer multilateralen Konzeption des Nation Building unter dem Dach der Vereinten Nationen.

Zwar hat UN-Generalsekretär Kofi Annan 300 der 500 UN-Mitarbeiter im Irak vorerst ausfliegen lassen, aber gleichzeitig angedeutet, dass die Politik der internationalen Gemeinschaft im Irak arg reformbedürftig ist. Niemand könne ein Interesse an chaotischen Zuständen im Irak haben, meinte Annan, und dachte schon einmal die Möglichkeit an, aus der US-Besatzungsmacht eine UN-Besatzungsmacht zu basteln: »Dies würde aber nicht nur eine Aufteilung der Lasten bedeuten, sondern auch ein Aufteilung der Verantwortung und der Entscheidungsbefugnisse.«

Bloß würde zur Einbeziehung der Vereinten Nationen eine neue Resolution des Sicherheitsrates nötig sein. Das könnte eine Hürde sein, die zu nehmen einige Staaten nicht bereit sein werden. Ihre Vertreter äußern rechtliche Bedenken, so ist völlig unklar, wer nun offiziell die Vereinten Nationen um Mithilfe im Irak bitten sollte. Die Amerikaner, da sind sich Deutsche, Franzosen und Russen weitgehend einig, ganz sicher nicht, denn sie verfügen nicht über die nötige völkerrechtliche Legitimität.

Auch die Idee, den von den USA eingesetzten irakischen Regierungsrat um eine »Einladung« zu bitten, stößt auf Ablehnung. »Der Regierungsrat hat nach Meinung der meisten UN-Mitglieder nicht den Status einer Regierung«, meint ein Diplomat. Aber immerhin, Frankreich bewegt sich schon in dieser Frage. Außenminister Dominique de Villepin erklärte in der vergangenen Woche, die Souveränität des Irak müsse wiederhergestellt werden – samt der Abhaltung von Wahlen für eine Nationalversammlung unter Aufsicht eines UN-Beauftragten bis Ende des Jahres. Ein nicht sehr realistischer Vorschlag, der zudem der Todesstoß für die ohnehin labilen politischen Strukturen wäre, die der US-Übergangsverwalter Paul Bremer bislang geschaffen hat.

Die Kriegsgegner Russland, Frankreich und Deutschland erwarten als Gegenleistung für ihre Beteiligung am Nation Building im Irak mehr Einfluss auf die politischen und wirtschaftlichen Entscheidungen. Doch die Vereinigten Staaten sind trotz ihrer Bitte um Militärhilfe nicht immer kompromissbereit. So erzürnt derzeit der Vorschlag Mexikos zu einer neuen UN-Resolution Washington, weil in dem Entwurf unter anderem festgelegt ist, dass die Soldaten der neuen UN-Friedenstruppe im Falle von Kriegsverbrechen auch vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag verantwortlich gemacht werden können. Für die Vereinigten Staaten ist das absolut nicht akzeptabel.

So sehr derzeit noch um den Wortlaut einer neuen Resolution gefeilscht wird, so sicher ist aber auch ihr Zustandekommen – paradoxerweise dank der Tat der Terroristen. Denn schließlich haben die UN-Attentäter selbst die arabische Welt gegen sich aufgebracht, und die arabischen Staaten werden bei der Entsendung von Truppen eine wichtige Rolle spielen müssen. »Es gab einen Schock in der arabischen Welt, denn die hatte auf die Rolle der Vereinten Nationen gewettet«, schrieb etwa Abdel Wahab Badrakhan, Kolumnist der in London erscheinenden arabischen Zeitung Al Hayat. Vielleicht kann die Wette noch gewonnen werden.

Von Martin Schwarz erschien soeben im Verlag Droemer-Knaur das Buch »Saddams blutiges Erbe – Der wirkliche Krieg steht uns noch bevor«. Mehr dazu unter

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