Terror nach Feierabend

Auch nach den jüngsten Anschlägen lehnt es die Uno-Übergangsverwaltung im Kosovo ab, gegen das dubiose Kosovo Protection Corps vorzugehen. von markus bickel, sarajevo

Agim Ceku wollte mit den Anschlägen wie immer nichts zu tun haben. Der Oberkommandierende des Kosovo Protection Corps (KPC) wies vergangene Woche Vorwürfe zurück, Einheiten seiner Truppe könnten an der Serie von Überfällen auf Kosovo-Serben beteiligt gewesen sein, die das internationale Protektorat seit Juli erschüttern. (Jungle World, 34/03)

Ein elf- und ein 20jähriger sind am 13. August beim Baden in einem Fluss nahe der serbischen Enklave Gorazdevac erschossen, vier weitere Jugendliche durch die Kugeln einer Kalaschnikow verwundet worden. Und am Tag der eilig einberufenen Sondersitzung des Uno-Sicherheitsrates in New York vorletzten Montag erlag ein 45jähriger Kosovo-Serbe den Verletzungen, die ihm Unbekannte durch einen Kopfschuss zugefügt hatten.

Die Behauptung, Mitglieder der drei Monate nach Ende des Kosovo-Krieges 1999 gegründeten KPC steckten hinter den Attentaten, ist so absurd nicht. Bis heute operiert die aus früheren Kämpfern der Separatistenarmee UCK aufgebaute, 6 000 Mann starke Truppe relativ unkontrolliert von den internationalen Verwaltern der Provinz. Personelle Überschneidungen mit der seit gut einem Jahr im Kosovo, in Mazedonien und Südserbien aktiven Albanischen Nationalarmee (AKSh) sind deshalb kein Zufall. »Mindestens 15 Prozent der KPC-Soldaten lassen sich nicht zu jedem Zeitpunkt überwachen«, räumte bereits Anfang Juni Barry Fletcher von der Polizei der Uno-Übergangsverwaltung für das Kosovo (Unmik) ein. »Die Nato-Truppen, die für die Kontrolle des KPC verantwortlich sind, wissen das, weil abwesende Mitglieder immer wieder entweder im Presevo-Tal oder in Tetovo erkannt werden konnten.«

Auch der Vorwurf von Serbiens stellvertretendem Ministerpräsidenten, Neboj Covic, Kfor und Unmik seien »zu Geiseln albanischer Extremisten und Terroristen« geworden, lässt sich schwer von der Hand weisen. Allein in den vergangenen beiden Jahren sind 27 vom KPC übernommene Ex-UCK-Offiziere und -Kommandeure wegen Mordes und anderer Verbrechen angeklagt worden, ohne dass die ausländischen Protektoratsherren gegen die strukturellen Verflechtungen zwischen im Untergrund tätigen panalbanischen Terroristen und dem von ihnen geschaffenen Schutzkorps ernsthaft vorgegangen wären. Auch Michael Steiner, Vorgänger des seit Montag amtierenden finnischen Unmik-Chefs Harri Holkeri, beließ es nach dem Sprengstoffanschlag auf eine Brücke im Norden der Provinz im April bei der Verurteilung der AKSh als »terroristischer Organisation«. Dass einer der gefassten Feierabendterroristen tagsüber KPC-Uniform trug, war kein Thema.

Die Verhaftung von zwei weiteren KPC-Mitgliedern Mitte Juni in Kastriot – sie sollen einen Kosovo-Albaner entführt und gefoltert sowie in Ermittlungen der örtlichen Polizei eingegriffen haben – führte ebenfalls zu keinen Konsequenzen. Das war ein gefundenes Fressen für Serbiens Vizepremier Covic, der sich angesichts der Untätigkeit der Besatzungsmacht zum Hüter demokratischer Werte in der immer noch zu Jugoslawien gehörenden Provinz aufschwingen kann: Eine »Neudefinition der Rolle der internationalen Gemeinschaft«, so Covic vorige Woche vor dem Sicherheitsrat, sei unabdingbar, um »die aus der Vergangenheit geerbten Probleme mit albanischen Terroristengruppen« in den Griff zu bekommen.

Wie vielleicht kein anderer steht KPC-Kommandant Ceku für diese Kontinuität. 1960 im Nordwesten des Kosovo geboren, durchlief er zunächst die für Offiziere übliche Ausbildung an der Militärakademie der Jugoslawischen Volksarmee, ehe er Mitte der achtziger Jahre in die kroatische Küstenstadt Zadar entsandt wurde. Nach Beginn des kroatischen Sezessionskrieges 1991 schloss er sich den neu gegründeten Verbänden der Kroatischen Armee an, wo er zügig zum General aufstieg. 1993 leitete Ceku die von zahlreichen Übergriffen gegen Zivilisten begleitete Operation »Medak« nordöstlich von Zadar, 1995 war er an der Operation »Oluja« (Sturm) zur Säuberung der mehrheitlich von serbischen Bewohnern besiedelten Gebiete um die Krajina-Hauptstadt Knin beteiligt. Gerüchte, dass eine beim Uno-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag vorbereitete geheime Anklage gegen ihn nur aus politischen Gründen unter Verschluss gehalten wird, sind bis heute nicht verstummt.

Cekus Wechsel in die anfangs noch von Hashim Thaci, dem heutigen Vorsitzenden der Demokratischen Partei des Kosovo, geführte UCK segnete der damalige kroatische Präsident Franjo Tudjman im Februar 1999 persönlich ab. Kontakt zu den im Schweizer und baden-württembergischen Exil lebenden Finanziers eines bewaffneten Aufstandes gegen die jugoslawischen Truppen und Polizisten in der südserbischen Provinz hatte Ceku bereits 1995 aufgenommen. Wie tausende junge Männer glaubte er nicht an den Erfolg der vom heutigen Kosovo-Präsidenten Ibrahim Rugova eingeschlagenen Strategie des gewaltlosen Widerstandes, die sich nach Aufhebung des Autonomiestatus durch Serbiens damaligen Präsidenten Slobodan Milosevic 1989 vor allem im Aufbau einer illegalen Parallelverwaltung ausdrückte.

Mit seiner Entscheidung für die Unterstützung von Rugovas Gegenspieler Thaci lag Ceku richtig. Spätestens im Frühjahr 1998, als die jugoslawische Armee mit einer Großoffensive gegen die UCK-Hochburgen in der Nähe von Drenica Tausende in die Arme der panalbanischen Separatisten trieb, hatte der als »Kosovo-Ghandi« Titulierte bei der Mehrheit der Bevölkerung ausgedient. Wegen seiner Erfahrungen im Kroatienkrieg übergab Thaci sehr bald die militärische Führung der nur schlecht organisierten Freischärlertruppe an Ceku. Damit war die Grundlage für den nächsten Karrieresprung geschaffen. Drei Monate nach dem Abzug der jugoslawischen Truppen aus dem Kosovo ernannte Unmik-Chef Bernard Kouchner Ceku zum KPC-Oberkommandierenden.

Doch aus der von den internationalen Verwaltern geplanten Umwandlung der Separatistenguerilla zu einer dem deutschen Technischen Hilfswerk vergleichbaren Katastrophenschutzorganisation wurde nichts. Erst im September 1999 begannen Kfor und Unmik mit der Entwaffnung der auf 15 000 Mann geschätzten UCK, sodass viele der ins KPC übernommenen Kämpfer ihr Kriegsgerät vorher zur Seite schaffen konnten. Ceku ließ frühzeitig durchblicken, dass er nicht daran denke, sich der Unmik-Führung zu unterstellen. »Ob sie das zugeben will oder nicht, handelt es sich bei der KPC um die Armee des Kosovo – und ich bin ihr Kommandant.«

An dieser Rollenverteilung hat sich bis heute nichts geändert. Und auch der neue Unmik-Chef Holkeri scheint vom Schmusekurs seiner Vorgänger vorerst nicht abweichen zu wollen. »Wir haben keine Verbindung zwischen dem KPC und den jüngsten Morden feststellen können«, erklärte Unmik-Sprecher Sunil Narula am Wochenende auf Nachfrage der Jungle World. Kein Wunder. Bislang konnte keiner der Anschläge der vergangenen Wochen Verdächtiger verhaftet werden.