Traumrollen für alle

Shopping-Kanäle halten engen Kontakt zum Publikum. Ihre Kundentelefonate gehören zu den Peinlichkeits-Highlights im Fernsehen. von martin schwarz

Zu den größten Herausforderungen eines Fernsehmoderatorenlebens gehört der Kontakt zum ordinären Publikum. Domian, die fleischgewordene Psychotherapeutencouch des WDR, hat die Kunst des verständnisvollen Zuhörens in den letzten Jahren ja perfektioniert, wenn er in seiner Call-in-Sendung mit den Problemen von Menschen zu tun hat, die sich Rat und Hilfe erhoffen. Auch der RTL Shop, das wohl erfolgreichste virtuelle Einkaufscenter im deutschen Fernsehen, macht bisweilen den Versuch, mit einer Call-in-Sendung den gelangweilten Kunden Nähe und Geborgenheit zu vermitteln.

Manchmal kann das auch schrecklich schief gehen wie Ende letzter Woche im »Elektronikshop«. Verkauft wurde dort ein Fernglas, das auch gleich Fotos macht, die dann am PC angesehen werden können. Exakt zu diesem Thema wurde ein Herr Ziegler ins Studio durchgestellt. »Ja, was machen denn nun Leute, die keinen Computer haben?« fragte er unwirsch und wurde dann sehr grundsätzlich: »Es werden dauernd Sachen verkauft, wo man dann einen Computer braucht«, erklärte Herr Ziegler im Tonfall eines Erpressers, der der Spezialeinheit gerade mitteilt, dass er gleich eine Atombombe zündet und die nähere Umgebung in Schutt und Asche legt.

»Wenn Sie keinen PC haben, dann können Sie die Fotos auch im Fotohandel ausdrucken lassen«, versuchte der studioimmanente Produkt-Experte Herrn Ziegler zu besänftigen. Aber Herr Ziegler gab sich damit nicht zufrieden: »Aber warum werden denn dauernd Sachen verkauft, wo man dann einen PC braucht?« Den RTL-Marktschreiern reichte es jetzt: »Aber es haben ja immer mehr Leute einen PC.« Die wahrscheinlich auf einer repräsentativen Umfrage beruhende Erkenntnis befriedigte den Herrn Ziegler dann plötzlich doch: »Na gut. Vielen Dank, dass Sie so viel Geduld mit mir hatten«, verabschiedete er sich kleinlaut. »Kein Problem, dazu sind wir ja da«, rief ihm die Moderatorin hinterher.

PC-lose Modernisierungsverlierer wie der Herr Ziegler gehören zum Stammpublikum von TV-Shopping-Kanälen, haben ihre Existenzberechtigung aber nur, wenn sie zugucken, bestellen, zahlen, sich verschulden und die Klappe halten. Längere Live-Telefonate mit Nörglern wie Herrn Ziegler stören das dramaturgische Prinzip eines durchschnittlichen Shopping-Kanals erheblich, das da lautet: zutexten.

Wenn nämlich eine Flutwelle an Worten und Fachausdrücken über die Lautsprecher des TV-Gerätes schwappt, ist man geneigt, einfach zu bestellen, damit das Warenkontingent schnell ausverkauft ist und die Damen und Herren endlich Ruhe geben. Besonders bei elektronischem Klump verschiedenster Provenienz ergibt sich für Moderatoren ein reichhaltiges Betätigungsfeld. Am vergangenen Wochenende etwa wurde beim RTL Shop ein Laptop verkauft, dessen »Festplatte nicht zehn, nicht fünfzehn, nicht zwanzig, nein 40 Gigabyte Speicher hat«, nur »2,9 Kilogramm schwer ist« und gleichzeitig »zwei Subwoofer« besitzt. Wer kann da schon nein sagen, oder: Wer traut sich da, nein zu sagen – angesichts von zwei Subwoofern.

Dramaturgisch von hoher Bedeutung ist es, die Illusion zu erzeugen, dass es sich um ein echtes und aus dem Leben gegriffenes Gespräch zwischen Moderator und Präsentator handelt. Wobei die Arbeitsteilung auch nicht intelligenter ist als etwa in einem durchschnittlichen Elektrofachgeschäft: Ein Kollege arbeitet und der andere sieht zu. Während der Präsentator mit flottem, ja raketenartigem Tempo das jeweilige Produkt anpreist, beschränkt sich der Moderator darauf, erstens hin und wieder ein unverbindliches, gleichermaßen aber die Bedeutung des angepriesenen Teils unterstreichendes »Ja« von sich zu geben oder Erlebnisse aus dem eigenen Leben auszuplaudern. Walter Freiwald, Chefmoderator von RTL Shop und eindeutig der Gute-Laune-Bär im Sendeschema, ist ein Meister des Faches. Als etwa kürzlich ein Küchenreinigungsgerät angepriesen wurde, erzählte Walter Freiberg aus seinem auf den ersten Blick wohl eher kargen Eheleben: »Ich bin jetzt mit meiner Frau seit 20 Jahren zusammen und jeden Tag kochen wir Kartoffeln. Aber es ist mir noch nie gelungen, dass der Topf nicht überläuft.« Was schließen wir daraus? Dass Walter Freiberg zu dumm ist, Kartoffeln zu kochen, oder dass die Ehe der Freibergs am Ende ist?

Ein Blick auf des Chefmoderators persönliche Website beseitigt auch die letzten Zweifel an der Tristesse des freibergschen Kartoffeldaseins: Freiberg war ja schon mal Programmchef bei RTL Luxemburg, doch jetzt spricht er nur noch auf RTL Shop »und hat erst kürzlich eine neue CD herausgebracht«, die im auslaufenden Sommer der Hit desselben gewesen sein soll: »Urlaub auf Balkonien« heißt die Ballade, wobei an der Hitmäßigkeit leise Zweifel aufkommen könnten, da der Titel in weiten Kreisen der Gesellschaft als völlig unbekannt gilt. Termine übrigens hat Walter Freiberg praktisch keine mehr. Zumindest laut Terminkalender auf seiner Website. Außer seinem Engagement beim RTL Shop nämlich verfügt er offensichtlich mangels Interesse anderer Medien über viel Tagesfreizeit und ist zumindest in dieser Hinsicht seinem Publikum eng verbunden.

Ein weiteres Anwendungsgebiet der Moderatorenpersönlichkeit ist die Veranschaulichung der Usability des vorgeführten Produktes. Als am Wochenende etwa die spottbillige Plastiküberwachungskamera vorgestellt wurde, ließ sich die Moderatorin zu einer verhängnisvollen Verbrauchertest-Expertise hinreißen: »Wenn man selbst nicht da ist, ist das genau das Richtige, um die Leute abzuschrecken.« Herr Ziegler dürfte gerade auf dem Klo gewesen sein.

Sind aber Funktion und Anwendungsbereich eines Produktes selbst dem klassischen Teleshopper klar, so muss eben nachgelegt werden – wie es auch bei der Überwachungskamera war: »Sie können etwa, wenn Sie in einem Mietshaus wohnen und von den Nachbarn zu einer Party eingeladen werden, den Empfänger mitnehmen, bei den Nachbarn an den Fernseher anschließen und dann genau beobachten, was Ihre Kinder zuhause tun.« Hoffentlich macht das Beispiel nicht Schule, letztlich nämlich könnte man sich als Partytiger endgültig aus der Gästeliste kicken, wenn man den Abend beim Nachbarn vor den Bildern aus der Überwachungskamera verbringt.

Aber nicht alle Produkte sind glücklicherweise so universell einsetzbar. Zu dieser Kategorie gehört etwa das auf QVC verfilmte Lockenwicklerlabor der legendären Friseurmeisterin Margot Schmitt. Die hat nämlich nicht einfach den handelsüblich für den Preis eines Kaugummis erhältlichen Lockenwickler weiterentwickelt, um zwölf Stück davon samt Sprungkraftverstärker, Vital Haarspray, Spezialshampoo, zwei Ersatzabrollern, einer Kosmetiktasche und einem Holzstab auf QVC für sozialhilfekompatible 65,91 Euro zu verklopfen. Nein. Margot Schmitt, eine schwer asthmatische Dame, die aber dennoch sehr adrett wirkt, hat aus den ollen Lockenwicklern was anderes gemacht: Traumrollen nämlich. Wenn das kein Schnäppchen ist.