Chelsea speist sich aus Sibirien

Roman Abramovich ist der erste Russe, der in einen ausländischen Profiklub investiert. Der FC Chelsea befindet sich seither im Einkaufsrausch. von markus gottschalk

Vor dem 2:2-Unentschieden am Samstag gegen den Angstgegner Blackburn Rovers wurde der russische Neuzugang bejubelt, kaum dass sein Name vom Stadionsprecher ausgerufen worden war. Roman Abramovich ist zweifellos die effektivste Verstärkung in der Geschichte des englischen Champions-League-Teilnehmers FC Chelsea.

Seit dem 1. Juli dieses Jahres hat das fußballerische England in dem Russen einen neuen Protagonisten. Doch Abramovich ist kein Ballkünstler von Spartak Moskau, der die englischen Fans mit Tricks und Dribblings begeistert. Der Newcomer hat vielmehr durch die spektakuläre Übernahme des Londoner Traditionsklubs auf sich aufmerksam gemacht.

»Von Chukotka nach Chelsea« titelte BBC-Online in Anspielung auf die exotische Abstammung des neuen Eigners. Der Gouverneur der ostsibirischen Provinz hatte im Juni für geschätzte 87 Millionen Euro die Aktienmehrheit von Ken Bates übernommen. Kein schlechtes Geschäft für Bates, der die Anteilspapiere während einer der ungezählten Finanzkrisen des Londoner Nobelklubs 1983 für die symbolische Summe von einem Pfund erworben hatte.

Gleich bei seinen ersten Auftritten als neuer Heilsbringer des Klubs machte Abramovich klar, dass es mit der Übernahme und der damit verbundenen ersten Investition in seinen neuen Geschäftszweig nicht getan sei. Gesagt, getan – nach Größen wie den Argentiniern Hernan Crespo und Juan Sebastian Veron, dem Kameruner Geremi, dem Rumänen Adrian Mutu, dem Iren Damien Duff, dem Landsmann Valerij Smertin und dem einheimischen Hoffnungsträger Joe Cole hat der Oligarch aus dem Osten den Chelsea-Fans nach langem Ringen nun noch einen Neuzugang präsentiert: den französischen Nationalspieler Claude Makelele, dessen Ablösesumme mit 24 Millionen Euro veranschlagt wird.

Insgesamt belaufen sich die vorläufigen Transferausgaben des finanzstarken Abramovich auf mehr als 150 Millionen Euro, und damit auf etwa dreimal soviel wie das gesamte Bundesliga-Transferaufkommen im Vorfeld der laufenden Saison. Und das in Zeiten, in denen auch zuvor großzügige Fußballligen und -klubs europaweit über die Rezession jammern.

Viel weiß man im Westen über den Sibirjaken Abramovich nicht. Die Sunday Times führt ihn mit einem Privatvermögen von 5,7 Milliarden Dollar auf Platz 19 der Tabelle der reichsten Europäer. Einen Platz davor liegt der Boss des italienischen Nobelklubs AC Mailand, Silvio Berlusconi. Den Posten eines Ministerpräsidenten hat Berlusconi ihm ebenfalls noch voraus, doch Abramovich hat sich offenbar ähnlich hohe Ziele gesteckt und ist, was man in der Fußballersprache als extrem zweikampfstark bezeichnet. Das Vermögen des früh verwaisten 36jährigen Milliardärs setzt sich aus Anteilen an der Ölgesellschaft Sibneft, der Aeroflot und der russischen Aluminiumindustrie zusammen. Der bekennende Fußballfan gilt als durchsetzungsfähiger Gewinner der politischen und wirtschaftlichen Wende von 1990. Den Zusammenbruch der Sowjetunion und die anschließende Privatisierung nutzte der damals gerade dem Teenageralter Entwachsene zielstrebig zum Aufbau seines Vermögens. Erste Meriten verdiente er sich mit dem Aufstellen und der Vermietung von Toilettenhäuschen an zentralen Plätzen Moskaus.

Profitiert hat er bei seinem Aufstieg und auch bei seinem Chelsea-Coup von seinem Mentor Boris Berezovsky, einem engen Vertrauten und wirtschaftlichen Berater des früheren russischen Präsidenten Boris Jelzin. Berezovsky lebt heute im freiwilligen Londoner Exil, da es mit seinen Beziehungen zum aktuellen Staatschef Vladimir Putin nicht zum Besten steht. Abramovich dagegen konnte sich zumindest bisher jeglicher staatlichen Kontrolle seiner Machenschaften entziehen.

Die Mehrheit der Russen betrachtet den Einstieg eines Landsmannes in die westliche Fußballschickeria mit einer Mischung aus Stolz und Verwunderung. Nur wenige Kritiker mahnen an, das in der Heimat verdiente Geld in den nationalen Sport zu investieren, schließlich tat Abramovich dies bereits: Bei Avangard Omsk, einem sibirischen Eishockeyklub, hat er sein Handwerk als Mäzen und Manager gelernt, bei Chelsea erprobt er nun die große Bühne.

Seine Ansprüche hat der Anführer der von der britischen Presse annoncierten »Red Revolution« ganz hoch gesteckt. Zwischen den Champions-League-Gewinnern Real Madrid und Manchester United will er Chelsea in Europa platzieren, erklärte er immer wieder. Mit der von ihm selbst zusammengestellten Weltauswahl strebt er nicht nur auf der Insel neue Erfolge an, der italienische Coach Claudio Ranieri soll mit Chelseas Kader auch international für Furore sorgen. Goldene Zeiten also für den FC Chelski, wie Fans und Journalisten den Klub seit der spektakulären Übernahme gern bezeichnen.

Der allgemeinen Begeisterung und Anteilnahme tut es dabei keinen Abbruch, dass Abramovich bei weitem nicht der erste illustre und mehr oder weniger populäre Finanzjongleur im britischen Fußballwesen ist. Seit Elton John 1984 den FC Watford übernahm, hat sich so mancher Popstar, Industrielle oder zwielichtige Geschäftsmann in der Vereinsführung versucht. Der legendäre Stahlbaron Jack Walker führte 1995 die zuvor chancenlosen Blackburn Rovers zum Titel. Noch einnehmender, allerdings erfolglos, war der auf den Bahamas lebende Sir Jack Hayward, der den Wolverhampton Wanderers mit seinen Millionen zu Aufmerksamkeit und zweifelhaftem Ruf verhalf. Geradezu verheerend gestaltete sich für den Klub Brighton & Hove Albion die Regentschaft des Baumarktkettenbesitzers Bill Archer, der die Kicker aus dem Seebad von der zweiten in die vierte Liga herunterwirtschaftete. Zuletzt war es Mohamed Al-Fayed, der auf der Insel ansässige Kaufhausbesitzer und Vater des letzten Begleiters von Lady Diana, der sich in das Londoner Stiefkind FC Fulham einkaufte. Doch wie die vorhergegangenen Engagements potenter Vereinsbesitzer blieb auch Al-Fayeds Erfolg nur von kurzer Dauer. Als Zwölfter der vergangenen Saison hat sich die Mannschaft zumindest im Mittelfeld der Liga etabliert. Al-Fayed spricht heute schon von Sparzwängen und Einschränkungen. Doch von so etwas ist Abramovich noch sehr weit entfernt.

Möglich macht solch schnellen Einstieg in die finanziell gestützte Funktionärskarriere das Regelwerk, das die Geschicke der Vereine auf der Insel bestimmt. Als Kapitalgesellschaften agieren die Klubs auf eigene Gefahr, eine Kontrolle der Verantwortlichen findet praktisch nicht statt. Im Fall von Abramovich und Chelsea hatte der wortgewaltige ehemalige englische Sportminister Tony Banks, einer der populärsten Fans der Blues, eine genauere Untersuchung des neuen Eigners gefordert. Ob daraus etwas wurde, ist nicht bekannt.

Frei von Misstrauen blieb der Einstieg des Russen ohnehin nicht: Neben dem Zugewinn des Vereinsgeländes, des Stadions und des unbestrittenen Profitpotenzials seines vermeintlichen Spielzeugs werden Abramovich auch andere finanzielle Motive für den Erwerb Chelseas unterstellt. Sein in Russland erworbenes Vermögen soll er mit dem Kauf des Klubs gewaschen haben.

Die Fans aber haben den exotischen Hoffnungsträger bereits in ihr Herz geschlossen, zumindest wenn man der Berichterstattung auf der vereinseigenen Internetseite Glauben schenkt.