Nato statt Hamas

Nach dem Rücktritt von Abbas von andré anchuelo

»Sie haben eine Hetzkampagne gegen mich begonnen und mich des Verrats beschuldigt«, erklärte der palästinensische Premierminister Machmoud Abbas in seinem am vergangenen Samstag eingereichten Rücktrittsgesuch. War sein Rückzug das letzte Mittel, um einen Bürgerkrieg zu verhindern? Oder hofft Abbas, internationaler Druck werde Yassir Arafat, den Präsidenten der Autonomiebehörde, doch noch zwingen, ihm die umstrittene Kontrolle über die palästinensischen Milizen zuzugestehen? Sicher scheint derzeit nur, dass die US-Regierung starken Druck auf Israel ausübt, Arafat nicht auszuweisen, und dass die EU auch diesmal versuchen wird, die neue Lage für eine Erhöhung ihres Einflusses in der Region zu nutzen.

Diesem Ziel dürfte auch die bei einem informellen Treffen der EU-Außenminister am vergangenen Samstag getroffene Entscheidung dienen, die gesamte Hamas als Terrororganisation einzustufen. Zuvor hatte man sorgfältig zwischen dem »militärischen Arm« und den »sozialen Dienstleistungen« der Islamisten unterschieden, die neue Bewertung muss allerdings noch durch einen formellen Beschluss des Ministerrats bestätigt werden.

Der Hintergrund der veränderten Haltung Europas dürfte nicht so sehr in den amerikanischen und israelischen Forderungen nach einer härteren Gangart gegen die Hamas zu suchen sein, sondern in der europäischen Verärgerung über den letzten großen Bombenanschlag der Islamisten vor drei Wochen. Als damals ein Attentäter in Jerusalem einen Bus in die Luft jagte und so 22 Israelis ermordete, erhielt auch die Hoffnung der Europäer einen Dämpfer, ihre palästinensischen Freunde könnten die Forderung der Road Map nach einer Zerschlagung aller terroristischen Organisationen durch eine ominöse Feuerpause, die so genannte Hudna, umgehen.

Bis dahin waren die Beschwerden Israels, Hamas und Islamischer Jihad würden die unter anderem von europäischen Politikern und Diplomaten vorbereitete Hudna bloß zur Reorganisierung und Wiederaufrüstung nutzen, und die Tatsache, dass trotz angeblicher Waffenruhe die Angriffe auf Israelis weiter andauerten, in der EU auf Ignoranz gestoßen. In Brüssel, Paris und Berlin echauffierte man sich lieber über den Bau des israelischen Sicherheitszauns und die »schleppende« Freilassung palästinensischer Gefangener, obwohl die wesentlich von europäischen Politikern mitformulierte Road Map weder den Sicherheitszaun verbietet noch eine Freilassung palästinensischer Terroristen verlangt.

Doch mit dem Jerusalemer Anschlag hatte die Hamas unmissverständlich deutlich gemacht, dass die Hudna beendet ist. Zwei Wochen später hatte Arafat die Road Map für »tot« erklärt. Sollte es ihm nun gelingen, seinen unbequemen Premierminister loszuwerden, hätte er einen innenpolitischen Sieg errungen. Allerdings auf Kosten des von der Road Map vorgegebenen Prozesses, der unter diesen Bedingungen unwiderruflich in einer Sackgasse enden dürfte.

Prinzipiell stellt diese Entwicklung auch für die europäische Nahostpolitik einen Rückschlag dar. Doch im Gegensatz zu den USA könnte für die EU eine neuerliche Eskalation weiterhin eine strategische Alternative sein: »Wenn Israel und Palästinenser sich vor« der Durchsetzung des Friedensplans »drücken, müssen eben Nato-Truppen dessen Umsetzung beaufsichtigen«, soufflierte letzte Woche schon vor Abbas’ Rücktritt ein Kommentator in der Süddeutschen Zeitung. Ein Verbot der Hamas wäre für die EU kein Hindernis, sondern sogar von Nutzen, um sich einmal mehr als »ehrlicher Makler« präsentieren zu können.