Reise nach New York

Gerhard Schröder trifft kommende Woche George W. Bush. Wird die deutsch-amerikanische Freundschaft wieder belebt? Und was wird aus der deutsch-französischen Anti-Kriegskoalition? von markus bickel

Christoph Gottschalk freut sich ganz besonders auf das Treffen im Kanzleramt. Fünf Jahre lang hat er in Berlin Politikwissenschaft studiert, ehe ihn der französische Premierminister Jean-Pierre Raffarin im Juni als Berater für deutsch-französische Beziehungen in seinen Stab nach Paris holte. Am Donnerstag steigt für den 26jährigen deshalb vielleicht der wichtigste Auftritt seiner Karriere: Mit den deutschen Ministerinnen und Ministern kommt die französische Regierung zu einer binationalen Kabinettssitzung zusammen. »Die symbolische Bedeutung des Treffens ist sicherlich nicht zu überschätzen«, sagte Gottschalk der Jungle World.

Abseits aller Symbolik aber wird es bei der gemeinsamen Sitzung um handfeste Außenpolitik und dabei vor allem um den künftigen Zusammenhalt des deutsch-französischen Bündnisses gehen. Denn je näher die Abstimmung über eine neue Irakresolution des Uno-Sicherheitsrats rückt, umso unklarer erscheint, ob die Interessen Deutschlands und Frankreichs im Nahen Osten wirklich so deckungsgleich sind, wie die vor dem Irakkrieg wieder aufgefrischte Allianz glauben machen will. Das für kommenden Dienstag geplante Treffen zwischen Bundeskanzler Gerhard Schröder und US-Präsident George W. Bush in New York lässt altes französisches Misstrauen gegen die einst so reibungslos funktionierende transatlantische Partnerschaft aufkommen.

Nicht ohne Grund. Schon am Tag vor dem Treffen der Außenminister der fünf ständigen Mitglieder des Uno-Sicherheitsrates am Wochenende in Genf, bei dem Joschka Fischer nicht dabei sein durfte, hatte US-Außenminister Colin Powell seinem deutschen Amtskollegen als Entschädigung für dessen Ausschluss bei den entscheidenden Irakberatungen Honig ums Maul geschmiert. »Deutschland wird seiner Rolle gerecht«, sagte Powell, der Fischer bereits bei dessen Besuch in den USA im Juli zu einer Annäherung an Washington gedrängt hatte. »Wir müssen weg von diesem Streit um Formulierungen. Uns wird oft unterstellt, wir wollten Besatzer sein. Unsinn, jeder Europäer sollte wissen, dass die USA lieber Befreier sein wollen«, fügte Powell hinzu.

Auch dass Powell vorerst keinen Bedarf an Bundeswehrsoldaten im Irak anmeldet, wie es die Vorsitzende der Grünen, Angelika Beer, Ende August zum Ärger von Fischer und Schröder gefordert hatte, ist ein Anzeichen dafür, dass die deutsch-französische Entente Cordiale geknackt werden soll – unter anderem dadurch, dass Deutschland wieder zu einer stärkeren Unterstützung der Nato gedrängt wird, deren Schwächung in erster Linie Frankreich betreibt.

Deutschland und Frankreich waren sich vor und während des Irakkrieges einig, wie ein im Februar zum Auftakt der so genannten Sicherheitstagung in München vom Spiegel als »Geheimplan« präsentiertes deutsch-französisches Papier zeigte, in dem die Entsendung Zehntausender Uno-Soldaten in den Irak gefordert worden sein soll. Der Vorschlag bedeutete einen weiteren Tiefpunkt in den deutsch-amerikanischen Beziehungen.

»I am not convinced«, schmetterte Fischer damals US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld Aufmerksamkeit heischend entgegen. Und auch die Standing Ovations, die Frankreichs Außenminister Dominique de Villepin Anfang März im Sicherheitsrat für die Formulierung seiner Antikriegsposition erhielt, waren angetan, mögliche deutsch-französische Differenzen als Nebenwiderspruch abzutun. Dass nicht so sehr Deutschland, sondern vor allem der alten Kolonialmacht Frankreich an einer Zurückdrängung des militärischen Einflusses der USA im Nahen Osten gelegen ist, wurde damals noch vom großen transatlantischen Streit überlagert.

Doch angesichts der anhaltenden Schwierigkeiten der von den USA geführten Besatzungsmächte im Irak, eine funktionierende Zivilverwaltung aufzubauen, verlieren in Washington Falken wie Rumsfeld an Einfluss, während das State Department gegenüber dem Pentagon wieder die Oberhand zu gewinnen scheint. Weil Powell unter den ständigen Sicherheitsratsmitgliedern bis auf Großbritanniens Außenminister Jack Straw allerdings nur mit Anhängern einer geschwächten US-Rolle im Irak zu tun hat, setzt er vor dem Treffen Schröders mit Bush darauf, Deutschland wieder stärker einzubinden.

Im State Department wie im Weißen Haus hofft man, dass Schröder während seiner Nahost-Reise Anfang Oktober Deutschlands Ansehen in Saudi-Arabien, Ägypten und den Vereinigten Arabischen Emiraten nutzt, um den als Road Map bezeichneten Friedensplan der USA für die Region politisch wieder zu beleben. doch an einer Stärkung des US-amerikanischen Einflusses in der Region dürfte Raffarin, Chirac und de Villepin, der vorige Woche auf dem EU-Außenministertreffen in Riva del Garda einer Verurteilung der Hamas als terroristischer Organisation nur zähneknirschend zustimmte, nicht unbedingt gelegen sein. Dass Schröder bei Deutschlands wichtigsten Handelspartnern im arabischsprachigen Raum kaum französische Wirtschaftsinteressen vertreten wird, versteht sich von selbst.

Es sind bislang eher multilateral orientierte Mitglieder der US-Regierung, die versuchen, in Berlin Überzeugungsarbeit zu leisten, um das seit der Amtszeit Konrad Adenauers stets als bundesdeutsche Staatsräson gehandelte besondere Verhältnis zu den USA wieder aufzufrischen. Gesprächspartner finden sie dabei zurzeit vor allem im Apparat Fischers, der Schröders äußerst konfrontativ ausgericheten Antikriegskurs von Beginn an für die falsche Strategie hielt, sich in Washington Einfluss zu verschaffen.

Neben Powell versuchte vorige Woche etwa der US-amerikanische Botschafter in Berlin, Daniel Coats, der Bundesregierung den Aufbau einer funktionierenden Nachkriegsordnung im Irak als gemeinsames westliches Anliegen schmackhaft zu machen: »Es ist im Interesse der USA, Deutschlands, Europas und der ganzen Welt, dass wir zusammen weiter daran arbeiten, sowohl Afghanistan als auch den Irak wieder aufzubauen.«

Der auch von Powell angebrachte Verweis auf Afghanistan kommt nicht überraschend. Denn bei aller demonstrativen Missachtung des Bundeskanzlers durch Bush, etwa auf dem Nato-Erweiterungsgipfel in Prag im November vorigen Jahres, galt in Washington immer Frankreichs Präsident Jacques Chirac als der eigentliche Saboteur einer militärisch durchgesetzten Hegemonialpolitik der USA, sei es im Irak, sei es in Afghanistan. Deutschlands Drängen nach stärkerem militärischen Einfluss am Hindukusch hingegen gab die Regierung Bushs schon bald nach Beginn des Afghanistan-Krieges nach, der im Oktober vor zwei Jahren noch ganz im Zeichen der von Schröder formulierten »uneingeschränkten Soldidarität« mit den USA stand.

Auch dass das Oberkommando über die Afghanistan-Schutztruppe Isaf seit 11. August dieses Jahres nicht mehr bei der Bundeswehr, sondern in den Händen der Nato liegt, spricht keineswegs für eine verminderte geostrategische Bedeutung Deutschlands. Im Gegenteil: Sollten die USA im Irak eines Tages wirklich militärische Verantwortung an andere Verbündete abgeben, scheint eine von der Nato geführte Schutzmacht allemal wahrscheinlicher als eine Uno-Truppe. Die Übernahme des südöstlichen Sektors durch das vor nicht mal einem Jahr der Nato beigetretene Polen ist ebenfalls ein Beleg für die These, dass bei anhaltenden Sicherheitsproblemen das stärkste Militärbündnis der Welt mit Führungsaufgaben im Irak betraut werden könnte. Wie in Afghanistan kämen deutsche Militärs dann sicherlich eher zum Zug als französische.

Derart strittige Themen werden die deutsch-französische Kabinettssitzung am Donnerstag allerdings nicht trüben. Schließlich geht es dort um die Demonstration des »hohen Grades der deutsch-französischen Verflechtungen«, wie Gottschalk versicherte.