»Europa wird nie zur Supermacht«

Michael Mann

Michael Mann ist Professor für Soziologie an der Universität von Kalifornien in Los Angeles. Einen Namen machte er sich durch seine dreibändige »Geschichte der Macht«. In seinem neuesten Buch hat er sich nun der Realpolitik zugewandt. In »Die ohnmächtige Supermacht. Warum die USA die Welt nicht regieren können« kommt Mann zu dem Schluss, dass die Konzentration der USA auf ihre militärische Überlegenheit nicht nur den Frieden und die Stabilität in der Welt gefährde, sondern langfristig auch die eigene Macht untergrabe. Lymor Goldstein und Martin Kröger diskutierten mit ihm über seine Thesen.

In Ihrem Buch resümieren Sie, dass wir es bei den USA mit einem ungeordneten Empire, mit einer »ohnmächtigen Supermacht« zu tun haben, deren unerschütterlicher Militarismus sie schon bald zerstören wird. Wann wandern Sie aus?

So weit ist es noch nicht. Ich glaube, dass die USA zu ihrer einstigen guten Führungsrolle in der Welt zurückkehren können. Denn trotz aller Unzulänglichkeiten war dieses Land früher in der Lage, positive Signale zu senden, anstatt in anderen Staaten zu intervenieren oder sie temporär erobern zu wollen.

Wenn im November nächsten Jahres Wahlen sind, hoffe ich, dass ein Demokrat Präsident wird. Dann gibt es eine Chance, zur Ausgleich suchenden Politik der neunziger Jahre zurückzukehren.

Auch unter Clinton gab es Interventionsversuche, etwa in Somalia. Warum sind damals alle Versuche gescheitert, die Konfliktgebiete zu befrieden?

Ich heiße selbstverständlich nicht alles gut, was in der Clinton-Ära geschehen ist. Aber zum Beispiel im Bereich der Proliferation gab es enorme Fortschritte. Es ist einfach besser, mit anderen Ländern gute Beziehungen zu pflegen, als sie zu isolieren, wie es jetzt mit der »Achse des Bösen« geschieht. So konnten in den Neunzigern Südafrika, Argentinien und Brasilien aus ihren Atomwaffenprogrammen herausgekauft werden.

Was hat Sie als Soziologen bewegt, ein Buch über die aktuellen politischen Entwicklungen zu verfassen?

Das liegt an meiner tiefen Verärgerung über das, was gegenwärtig geschieht. Es hat auch etwas mit meiner doppelten Staatsbürgerschaft zu tun, schließlich habe ich auch einen britischen Pass. Und Großbritannien, als Verbündeter der USA, wird von dieser Politik mit abwärts gezogen. Trotzdem habe ich nicht versucht, ein wütendes Buch zu schreiben, sondern konstruktiv und wissenschaftlich zu bleiben. Es geht mir auch nicht darum, mich moralisch zu entrüsten, sondern ich will auf die fatalen Konsequenzen der Politik der Regierung Bush hinweisen.

Sind Sie Patriot?

Patriotismus ist ein interessantes Phänomen. Was Ausländer gewöhnlich an den USA nicht verstehen, ist, dass es auch einen positiven Patriotismus gibt. Wir haben zwar keine nennenswerte sozialistische Linke, aber eine sehr starke liberale Tradition, die garantiert, dass Amerika und seine Symbole für Freiheit und Gleichheit stehen. Um dorthin zurückzugelangen, muss der »neue Imperialismus« der in der Bush-Administration zusammengeschlossenen Neokonservativen sofort beendet werden.

Was meinen Sie mit dem Begriff des »neuen Imperialismus«?

Die alten Imperien, beispielsweise das Römische oder das Britische, waren auf eine längere Besetzung aus. Seit dem Ende des Kalten Krieges markiert vor allem eines die Veränderung des Imperialismus: das präventive Angreifen, ohne wirklich herausgefordert worden zu sein. Das bedeutet meistens die temporäre Okkupation und Invasion eines Landes …

… War das, was am 11. September 2001 geschah, denn kein Angriff?

Selbstverständlich war der 11. September ein Angriff auf die USA und ein Auslöser für den neuen Imperialismus. Das Kuriose aber ist, dass den USA ein richtiger Feind fehlt. Klar, Bin Laden ist ein Todfeind, und er sollte gejagt werden. Aber er ist eben eine andere Art von Feind als etwa Nationalstaaten oder Staatenbündnisse.

Wie sieht denn die Praxis des »neuen Imperialismus« aus?

Militärisch handelt man ohne nennenswerte Verbündete in den betroffenen Ländern. Die britischen Kolonialtruppen in Indien bestanden größtenteils aus Indern. Auch die USA hatten im Vietnamkrieg und bei den Interventionen in Zentral- und Lateinamerika starke lokale Verbündete. Die aber fehlen heute im Irak, wenn man einmal von den Kurden absieht. Die Regierung Bush ist dort also auf sich selbst gestellt und versucht, einen Satellitenstaat aufzubauen, der zudem auch noch möglichst stabil und demokratisch sein soll. Das kann einfach nicht funktionieren.

Warum nicht?

Das Mindeste wäre doch, dass die USA beträchtliche Konzessionen machen. Dass etwa die Ölindustrie der amerikanischen Kontrolle entzogen und in irakische Hände oder in die der Uno übergeben wird. Außerdem müssten sehr schnell Wahlen abgehalten und eine Verfassung ausgearbeitet werden. Um dabei die Sicherheit zu gewährleisten, müssen mehr Truppen, auch europäische, eingebunden werden. Es ist unwahrscheinlich, dass Iraker auf deutsche Truppen schießen würden.

Damit holten sich die USA ihren zukünftigen imperialen Konkurrenten in die Nähe. Denn Europa möchte doch, auch im militärischen Sinne, zu den Vereinigten Staaten aufschließen.

Ich glaube nicht, dass Europa eine Gegenmacht zu den USA sein kann. Es hat weder die militärische Macht noch besitzt es die politische Geschlossenheit, um eine Supermacht zu werden. Die Bedeutung Europas könnte nur steigen, wenn die USA scheitern. Die neuen Imperialisten haben recht, wenn sie sagen, wir haben die Macht, unilateral zu handeln, also tun wir es, um so Europa klein zu halten und politisch weiter zu spalten. Das hat Donald Rumsfeld mit seinem Gerede vom »alten« und »neuen« Europa vorgemacht. Außerdem gibt es mehr Gemeinsamkeiten als Trennendes, gerade im ökonomischen Bereich. Europäer mögen sich über den amerikanischen Neoliberalismus beschweren, die Deutsche Bank an den Verhandlungstischen beim WTO-Treffen in Cancún ist trotzdem sehr zufrieden mit dieser Politik.

Und doch steigen sowohl die politischen Spannungen als auch der Antiamerikanismus in Europa. Haben Sie daran gedacht, als Sie das Buch schrieben?

Ja, es gibt eine Welle von Antiamerikanismus in Europa, besonders in Deutschland und Frankreich. Das ist aber nicht der Fehler der Europäer, letztlich ist es der Fehler der Regierung Bush. Sie macht diese dumme Politik. Ich glaube nicht, dass mein Buch Antiamerikanismus enthält. Es beinhaltet eine Kritik am neuen Imperialismus und am Bushismus.

Wir haben Sie nicht des Antiamerikanismus beschuldigt, sondern nur gefragt, ob Sie beim Schreiben auch das europäische Publikum vor Augen hatten.

Ich war mir nicht bewusst, dass der Antiamerikanismus hier ein so großes Problem ist.

Ihre Hauptthese ist, dass in den USA das Militärische gegenüber dem Politischen dominant geworden ist und somit das Land gefährdet ist. Außenpolitisch fordern Sie vor allem in der Nahostpolitik Änderungen. Was genau meinen Sie?

Die Frage ist doch, was politisch realistisch und was unrealistisch ist. Niemand wird als Präsident der Vereinigten Staaten gewählt, indem er aufhört, Israel ökonomisch zu unterstützen. Die Waffenhilfe und die Waffenprogramme müssten eingestellt werden und generell müssten die USA eine aktivere Rolle in den Verhandlungen einnehmen. Denn die derzeitige instabile Lage im Nahen Osten beschädigt permanent die amerikanischen Interessen; sie ist die Quelle der Entfremdung der gesamten muslimischen Welt von den USA. Von daher ist es von großem Interesse – von allen Idealen abgesehen –, die Ursachen zu beseitigen.