Die Macht sei mit uns

Das Kapital revoltiert! Es soll noch schneller gehen mit den Reformen. Der Adler soll endlich losfliegen. von philipp steglich

Sie sind zu beneiden. Denn ihnen glückt fast alles. Von der Politik werden sie umschmeichelt, von Journalisten mit Stirnrunzeln ernsthaft befragt, von der Gesellschaft als Ernährer hoch geachtet und sorgenvoll betrachtet: unsere Unternehmer.

Aber die Mitglieder im Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) wissen sich zu revanchieren, und so veranstalteten sie einen Kongress in Berlin unter dem Motto: »Für ein attraktives Deutschland! Freiheit wagen – Fesseln sprengen!« Vor eintausend Gästen ließ der Präsident des BDI, Michael Rogowski, im Berliner Haus der Wirtschaft in der vorigen Woche drei Adler durch die Lüfte fliegen. Es gehe ihm darum, »Deutschland, den Adler, zurzeit eine gebeutelte, gefesselte Kreatur, zu befreien, zu entfesseln, damit er wieder fliegen kann«. Nicht Prometheus sei »an den Felsen geschlagen, sondern der Bundesadler«.

Der Kongress sollte vor allem das eigene »Reformprogramm« bekannt machen und das »Reformtempo« beschleunigen, denn dies sei das einer »Schnecke«, meinte Rogowski. Die Vertreter der Industrie verdeutlichten ihre »Vision« in einem Programm mit 16 Punkten. Sie fordern u.a. die Senkung der Staatsquote, den Umbau der sozialen Sicherungssysteme und weitere Deregulierungen.

Knackig und markig wird »echte Solidarität statt überbordender Staatsfürsorge« verlangt. »Die Familie mit ihren gewachsenen Beziehungen ist in der Regel besonders geeignet, ein erster starker Anker der Solidarität für den Einzelnen zu sein.« Das soll wohl heißen: Auf Wiedersehen Pflegeversicherung, hallo Hausfrau! Denn die Hausfrauen sind wesentlich günstiger zu haben, weil sie keinen Arbeitgeberbeitrag kosten und auch keine Interessenvertretung haben.

Sie sind schlicht ein Vorbild für alle, denn die »freie Lohnfindung« ist von »zentraler Bedeutung«, und dabei stören die Gewerkschaften nur. »Gewerkschaftliche Solidarität wäre, als loyaler Dienstleister der Mitglieder dazu beizutragen, dass jeder Arbeitssuchende den für ihn optimalen Arbeitsplatz findet«, mahnen die Unternehmer. Auch die Ausbildung der zukünftigen Lohnabhängigen hat sich an den Erfordernissen des Marktes zu orientieren. Nur eine »Ökonomisierung des Wissens« und eine »marktwirtschaftliche Organisation von Bildung und Forschung« garantierten die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland.

Man sieht: Der Bundesadler, also die deutsche Wirtschaft, ist gefesselt von einem Geflecht aus Tarifverträgen und dem Sozial- und Arbeitsrecht. Dies alles muss weg. Der Staat soll allein das Eigentum schützen, die Wehrfähigkeit und die Infrastruktur garantieren. Wenn das endlich verstanden wird, ist es auch Zeit für einige warme Worte: »Wir brauchen Hoffnung, Glauben und Liebe – oder anders ausgedrückt hohe Erwartungen, Zielstrebigkeit, Durchhaltevermögen und Durchsetzungskraft sowie viel Herz von Mensch zu Mensch über alles hinweg, was trennend erscheinen mag.« Das soll wohl eine Utopie darstellen, mit ihrer Freude an der Vereinigung lässt sie sogar ein wenig den Frühsozialismus anklingen. In Wirklichkeit ist es reiner Klassenkampf, die Gegensätze der Gesellschaft sollen für alle Zeiten verfestigt werden.

Dieses »Reformprogramm« stellte Rogowski, der »sozialpolitische Geisterfahrer«, wie ihn Michael Sommer, der Vorsitzende des DGB, nennt, gemeinsam mit der CDU-Vorsitzenden Angela Merkel und dem Präsidenten des Europaparlamentes, Pat Cox, vor. Und Merkel befürwortete in ihrer Rede denn auch gleich die Aufhebung des Kündigungsschutzes in Betrieben mit weniger als 20 Mitarbeitern. Angetreten waren zudem noch die Vorsitzenden mehrerer Unternehmerinitiativen wie Deutschland packt’s an, der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft und des Bürgerkonvents.

Auch die SPD konnte nicht umhin, ihre führenden Vertreter zum Kongress zu schicken. Ihre zahlreich erschienenen Staatssekretäre und Minister erhielten tagsüber in den Strategiedebatten sicherlich viele Anregungen, während der Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit, Wolfgang Clement, sogar die Tischrede halten durfte.

Aber nicht nur die Verbandsvertreter der Wirtschaft machen ihren Job glänzend, neuerdings fühlen sich auch die Manager berufen, Vorschläge zum »Reformdiskurs« beizutragen. Der Vorstandsvorsitzende der Siemens AG, Heinrich von Pierer, forderte kürzlich etwa »Zeitkorridore, die zwischen 25 und 45 Stunden Arbeit pro Woche ohne Überstundenzuschläge zulassen«. Von Pierer soll nach einem Bericht der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung auch als Kandidat der Union für die Nachfolge von Johannes Rau im Gespräch sein. Wendelin Wiedeking, der Leiter des schwäbischen Automobilherstellers Porsche, der in der vorigen Woche den höchsten Gewinn der Unternehmensgeschichte in der Höhe von 950 Millionen Euro meldete, sagte im Hamburger Abendblatt zum Thema verlängerte Arbeitszeit ohne Lohnausgleich: »Wenn jemand zwei bis drei Stunden mehr arbeitet und trotzdem das Gleiche bekommt, tut das nicht weh. Das ist der verdaubarere Weg, auch weil dann die Kaufkraft erhalten bliebe.«

Doch anders betrachtet fordern die Unternehmer nur, was viele Landesregierungen ihren Beamten schon längst abverlangen. So diktiert der sozialdemokratische Ministerpräsident Nordrhein-Westfalens, Peer Steinbrück, seinen Landesbeamten Sparziele, die es in sich haben. So soll dort die Wochenarbeitszeit von 38,5 auf 41 Stunden erhöht, das Weihnachtsgeld gekürzt und das Urlaubsgeld gestrichen werden. Die Maßnahme soll nicht nur die Beamten treffen, sondern auch auf Angestellte und Arbeiter im Öffentlichen Dienst übertragen werden. Und Nordrhein-Westfalen ist kein Einzelfall, in Bayern, Hessen, Berlin und Sachsen-Anhalt arbeiten die Landesregierungen an ähnlichen Lohnkürzungen oder haben sie schon durchgesetzt.

Das wiederum geschieht zum Neid der Unternehmer, die solches nicht einfach verordnen können, weshalb die Abschaffung der Tarifautonomie ihr nächstes Ziel ist, um niedrigere Tarifabschlüsse und Lohnsenkungen in den einzelnen Betrieben durchsetzen zu können. Damit kein Zweifel aufkommt, was nun ansteht, forderte der Präsident der Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), Dieter Hundt, ein gesetzliches Verbot von Warnstreiks. »Sie fügen den Unternehmen einen unverantwortlichen wirtschaftlichen Schaden zu, und das zu einem Zeitpunkt, zu dem noch nicht einmal feststeht, ob die Tarifverhandlungen scheitern oder erfolgreich beendet werden«, sagte er der Bild am Sonntag. Als ob Warnstreiks hierzulande nichts anderes wären als verkürzte Mittagspausen.

Doch die Gewerkschaften und ihre Mitglieder scheinen ihre Lage noch nicht erkannt zu haben, auch wenn es zu Demonstrationen des DGB und des Beamtenbundes gegen die Sparbeschlüsse in Nordrhein-Westfalen mit mehreren zehntausend Teilnehmern kam.

Der DGB-Vorsitzende Sommer tauchte kürzlich mal wieder aus der Versenkung auf und verkündete in einem Interview mit der Berliner Zeitung zur Lehrstellenmisere: »Gerhard Schröder hat bei unserem letzten Treffen Anfang September bekräftigt, dass die Agenda 2010 ohne Abstriche in allen Teilen gilt. Das bedeutet: Wenn in diesem Herbst zehntausende Jugendliche ohne Lehrstelle bleiben, muss die Abgabe kommen. Wenn der Kanzler nicht Wort hält, werde ich am Alexanderplatz ein Großplakat aufhängen lassen, mit dem wir Gerhard Schröder an sein Versprechen erinnern.«

Schröder muss nun also wirklich nicht mehr zittern. Sommer wacht höchstpersönlich über die strikte Durchführung der Agenda 2010. Weil alles andere noch schlimmer ist; und weil es noch viel schlimmer kommt.