Eine harte Kastanie

Bei der Conker-WM kommt es vor allem auf den richtigen Schwung an. Und auf den Nachschub an Spielgeräten. von elke wittich

Typisch. Da hätte die Hitzewelle dieses Sommers fast dazu geführt, dass eine richtig echte Weltmeisterschaft hätte abgesagt werden müssen, und in Deutschland hat’s niemand mitbekommen.

Aber andererseits: Dass die WM dann doch stattfinden konnte, blieb ebenfalls weitgehend unbemerkt. Die Sportart, um die es geht, heißt Conker, ist ein Spiel mit Kastanien, und die kennt hierzulande nämlich so gut wie niemand.

Das hat Gründe, die bereits in der völlig verfehlten frühkindlichen Erziehung zu suchen sind. Sowie es in Deutschland Herbst wird, laufen zwar große Mengen Gören durch die städtischen Parks, die voller Eifer Kastanien aufsammeln. Um dann jedoch nur furzöden Kram daraus zu basteln. Streichholzbebeinte Männchen mit Eichelpfeifen etwa, oder auch ebensolche Pferde, hässliche Ketten und scheußliches, aus den Schalen hergestelltes Puppengeschirr. Nach nur wenigen Tagen aber haben die Kastanien ihren schönen Glanz verloren, trocknen ein, und entsprechend rasch landen die von Mama und Papa zuvor noch so verlogen bewunderten Kunstwerke dann im Mülleimer. Was kein Kind so richtig zu bedauern scheint, denn draußen im Park warten bereits die nächsten herbstlichen Abenteuer. Das Herstellen von Rippengespenstern aus Kastanienblättern verspricht zum Beispiel wenigstens ein bisschen Action.

Die Altersgenossen in Großbritannien, Frankreich und Kanada haben dagegen mit den Früchten der Ende des 16. Jahrhunderts vom Balkan nach Mitteleuropa gelangten Rosskastanie wesentlich mehr Spaß. Der braun glänzende Samen, der übrigens mild giftig ist und nach Angaben der deutschen Vergiftungszentrale Saponine enthält, die zu Übelkeit, Erbrechen und Durchfall führen können, ist wesentlicher Bestandteil des Conker – außer in Puerto Rico, wo dasselbe Spiel mit der Nuss des Johannisbrotbaums gespielt wird.

Conker geht eigentlich ganz einfach: Mitten durch eine möglichst frische, symmetrische große Kastanie wird ein Loch gebohrt. Anschließend wird durch die so entstandene Öffnung eine 25 Zentimeter lange Schnur geführt, die an den Enden zusammengeknotet wird.

Dann kann das Spiel auch schon beginnen. Zwei Kontrahenten treten, die Schnur einmal um ein Handgelenk gewickelt, gegeneinander an. Einer der beiden wurde zuvor als erster Striker ausgelost, das heißt, er muss mit einem gezielten Schwung seiner Kastanie versuchen, das ruhig vor sich hin baumelnde Spielgerät des Gegners zu treffen. Klappt dies nicht, hat er zwei weitere Versuche, bevor das Zuschlagsrecht wechselt. Das Match endet, wenn eine der Kastanien komplett kaputt gegangen ist.

Wie bei jeder anderen richtigen Sportart gibt es natürlich auch noch weitere Regeln. Diese Vorschriften belohnen Reaktionsschnelligkeit, zum Beispiel dann, wenn sich die Schnüre der beiden Spieler verheddern. Da es im Conker weder professionelle Schiedsrichter noch den Videobeweis gibt, erhält derjenige, der die Lage zuerst erkennt und »Strings« ruft, so eben einen extra Strike. Wem dagegen im Spieleifer seine Kastanie aus der Hand rutscht, der muss nicht unbedingt damit rechnen, dass sein Gegner fair und großmütig wartet, bis er das Sportgerät aufgehoben hat. Denn in dieser Situation kommt es wieder auf Schnelligkeit an. Ruft der Kastanienverlierer »no stamps«, ist alles in Ordnung und der Wettkampf kann weitergehen. Aber reagiert sein Kontrahent ein wenig fixer und schreit »stamps«, dann darf er auf das hilflos am Boden liegende Teil springen und es genüsslich zertrampeln.

Wenn er es denn schafft: Gedopte Kastanien sind nämlich gar nicht so selten, auch wenn sie bei den jährlichen Weltmeisterschaften nicht zugelassen sind. Beim Straßen-Conker jedoch ist es üblich, mit speziell präparierten Früchten anzutreten. Rezepte zur Schalenhärtung gibt es viele, und alljährlich im Herbst machen Gerüchte über gerade entdeckte Superformeln die Runde. Letztlich sind sie dann doch meist nicht so super wie vermutet, so dass die Kastanien dann doch nur wieder mit bewährten Mitteln gehärtet werden. Dazu gehören das mehrtägige Bad in Essig, in mineralhaltigen Substanzen oder in Nagellackentferner ebenso wie das langsame Rösten im Backofen.

Die Profis halten von solchen Methoden gar nichts. Zu ihren alljährlich am zweiten Oktoberwochenende im englischen Ashton stattfindenden World Conker Championships, die sich streng an die Regeln der Wadard Conker Association (WCA) halten, sind nur frische, völlig unveränderte Kastanien zugelassen, die von den Organisatoren gestellt werden. Der in diesem Jahr zum 34. Mal – ein paarmal fiel er aus – stattfindende Wettkampf wurde 1965 von Einheimischen erfunden, »die eine Alternative zum Fischen suchten«, wie ein WCA-Sprecher in der BBC erklärte.

Urkundlich erwähnt wurde das Kastanienklicken erstmals im Jahr 1848 auf der Isle of Wright. Zuvor war es dort, anderen Schriften zufolge, jedoch bereits als Cobnuts bekannt, bei dem allerdings Haselnüsse verwendet wurden. Der Name Conker deutet an, dass das Spiel noch älter ist, so steht es jedenfalls im Shorter Oxford English Dictionary. Demnach kommt er aus dem Französischen und spielt darauf an, dass zunächst leere Schneckenhäuser zum Einsatz kamen.

Das dürfte echten Conkern jedoch herzlich egal sein, solange die Titelkämpfe stattfinden. In diesem Jahr hatte es lange Zeit so ausgesehen, als ob die WM ausfallen müsste. Daran ist nicht etwa die in Deutschland seit zwei Jahren weit verbreitete Kastanien tötende Miniermotte schuld, denn die ist in Großbritannien noch unbekannt. Vielmehr hatte der heiße Sommer schlicht dazu geführt, dass die ohnehin sehr alten und entsprechend wenig Früchte tragenden Ashtoner Kastanien in diesem Jahr ziemlich leer blieben. John Hadman, erster Sekretär des Ashton Conker Club, sandte deswegen einen Hilferuf aus, der sogar in Australien in einer Nachrichtensendung verbreitet wurde. Hadman klagte, der Kastaniennotstand werde nun sogar schon bei Ebay vermarktet. »Aber wir wollen nicht, dass sich jemand mit unserem Problem eine goldene Nase verdient.« Dabei sei der Bedarf wirklich beträchtlich: 3 000 »besonders große und schöne« Kastanien würden durchschnittlich von den Organisatoren vor der WM gesammelt, nur knapp die Hälfte schaffe es jedoch auch wirklich aufs Spielfeld.

Kurze Zeit später konnte Hadman Entwarnung geben: Entsetzte Fans aus aller Welt hatten daheim kurzerhand Conker-Werkzeuge gesammelt und nach Ashton geschickt.

So durften am vorletzten Wochenende fast 400 Briten, Franzosen, Kanadier, Ukrainer, Polen, Deutsche und Neuseeländer vor mehr als 5 000 Zuschauern um die Kastaniensport-Krone wetteifern. Am Ende sollten die englischsprachigen Zeitungen unisono eine nahe liegende Schlagzeile drucken können: »Britons conquer Conker.«

Die neue Titelträgerin, eine englische Anlageberaterin namens Liz Gibson, zeigte sich in ihrer ersten Rede als Weltmeisterin gebührend gerührt über den Erfolg. »Ich spiele nun schon mein ganzes Leben lang Conker«, sagte die 49jährige nach ihrem Finalsieg über die Polizistin Kitty Thompson zu Tränen gerührt. Die Sportart biete schließlich auch Erwachsenen eine ganze Menge: »Es ist einfach eine ganz wundervolle Möglichkeit, sich in einer entzückenden Umgebung so exzentrisch zu gebärden, wie man gerade Lust hat.«