Unter uns

Die Gesellschaft für Legalisierung will ein neues Kapitel der Migrationsgeschichte schreiben. von martin kröger

Du musst immer Angst haben, auf der Straße, in der U-Bahn, überall, immer hast du Angst, dass irgendwo die Polizei kommt.« Hugo Echenique*, der in seiner Jugend während seines Studiums aus politischen Gründen aus Peru fliehen musste, schildert seine Erfahrungen, die er als »Papierloser« in Deutschland machte. Echenique hat schon in mehreren europäischen Staaten ohne Papiere gelebt.

Ende der achtziger Jahre kam er für zwei Jahre in der Pariser Künstlerszene unter, ging danach nach Mailand, um die Vorlesungen von Umberto Eco zu hören. Um dann Anfang der neunziger Jahre nach Berlin zu ziehen. Hier hielt sich Echenique mit Tellerwaschen, Putzen und Pizzabacken über Wasser, um sich die Materialien für seine Passion, das Malen, zu finanzieren. Echenique heiratete aus aufenthaltsrechtlichen Gründen, die Schutzehe ging in die Brüche, er fand wieder Leute, wie schon in Paris und Mailand, die ihn unterstützten. Heute lebt er in einer Altbauwohnung in Berlin-Wilmersdorf und genießt die Gunst eines Kunstmäzens, der seine Bilder in New York vermittelt und ihm seine Berliner Wohnung zur Verfügung stellt. Durch erneute Heirat ist es ihm gelungen, wieder einen Aufenthaltstitel zu erlangen.

Die Geschichte von Echenique zeigt, neben den Gefahren, Einschränkungen und permanenten Bedrohungen, denen illegalisierte MigrantInnen in diesem Land ausgesetzt sind, dass sie keinesfalls Opfer sein müssen. Sie handeln als selbstbestimmte Subjekte und nehmen sich das, was sie brauchen oder bekommen können – so wie es in der Migrationsgeschichte immer der Fall war. Und so brutal und tödlich die Grenzregime überall auf der Welt sind, die Mauern sind nicht undurchlässig, sie werden von Menschen tagtäglich überschritten. Darunter sind immer mehr Frauen, beispielsweise aus Osteuropa, die in der Bundesrepublik als Pendelmigrantinnen Arbeit suchen.

»Wir sind unter euch.« So fasst die Gesellschaft für Legalisierung, ein Zusammenschluss von MigrantInnenorganisationen, Flüchtlings-, feministischen und antirassistischen Gruppen, die gegenwärtige Situation in Europa und der Bundesrepublik zusammen. Das Bündnis startet am 24. Oktober in Berlin seine Kampagne, mit der die Anerkennung des Rechts auf Legalisierung und Mobilität eingefordert und durchgesetzt werden soll.

Gleichzeitig geht es darum, auf schon bestehende Rechte, die auch in der Illegalität gelten, wie den Unfallschutz am Arbeitsplatz, und das Recht, Kinder in die Schule schicken zu dürfen, aufmerksam zu machen und »Legalisierungsstrategien zu promoten«, schreibt das Bündnis in seinem Aufruf.

»In Deutschland«, sagt Sandy Kaltenborn von der Gruppe KanakAttak, die sich an der Gesellschaft für Legalisierung beteiligt, »stehen wir am Anfang einer solchen Entwicklung, wie es sie in den europäischen Nachbarländern, beispielsweise in Frankreich, schon lange gibt.« Es geht aber nicht wie in dem französischen Nachbarland um partielle Stichtagsregelungen, wie sie die Sans Papiers unter anderem 1996 erkämpfen konnten, sondern um mehr: um die Etablierung einer dauerhaften Arbeitsteilung zwischen MigrantInnen, selbstorganisierten Flüchtlings-, Frauen-Lesben-, antifaschistischen und antirassistischen Gruppen. Derart, erzählt Sandy Kaltenborn, ließen sich vereinzelte Kämpfe bündeln und offensiv aufladen. Letztendlich sei es das Ziel, »eine soziale Bewegung zu initiieren«, die den defensiven und reaktiven Charakter der antirassistischen Bewegung der neunziger Jahre überwinden könne und somit in der Lage wäre, den Widerspruch zwischen bloß karitativer und unterstützender Flüchtlingsarbeit auf der einen und politischem Anspruch auf der anderen Seite aufzubrechen.

Und die Aussichten für ein solches Projekt – die Gesellschaft für Legalisierung sieht sich selbst als »globales Unternehmen« – sind ihrer Ansicht nach, trotz der neoliberal bestimmten Zuwanderungsdebatte, gut: »Im ganzen Land organisieren sich Flüchtlinge und fordern die Abschaffung rassistischer Sondergesetze. Illegalisierte Sexarbeiterinnen schließen sich in deutschen Großstädten zusammen. Roma und Sinti besetzen seit Jahrzehnten Kirchen, Parteibüros und Grenzübergänge für ihr Bleiberecht. Die Initiative Schwarzer Deutscher (ISD) und viele weitere Gruppen kämpfen seit langem für ein Antidiskriminierungsgesetz.« Tatsächlich scheint der Ansatz, die verschiedenen Stränge zu bündeln, Erfolg zu versprechen, wie eine gemeinsame Aktion von Bauarbeitern, selbstorganisierten Flüchtlingsgruppen und antirassistischen Gruppen im Juni dieses Jahres in Berlin zeigte. Dem Zusammenschluss gelang es, die Wohnungsbaugesellschaft Berlin-Mitte dazu zu zwingen, die ausstehenden Löhne von 19 schwarzen Arbeitern zu erstatten und damit gleichzeitig auf die unhaltbaren Zustände auf den Baustellen und die Prekarisierung der Beschäftigungsverhältnisse aufmerksam zu machen (Jungle World, 26/03).

»Das aktive Schweigen muss aufhören«, fordert auch das Berliner Netzwerk Respect, das ebenfalls in der Gesellschaft für Legalisierung vertreten ist. »Uns geht es vornehmlich darum, feministische Perspektiven auf Arbeit zu verdeutlichen, die leider kein Allgemeingut sind«, erzählt Marie Munier von Respect. Außerdem sei »Hausarbeit nochmals unsichtbarer als Arbeit auf dem Bau«, meint sie. Es gilt, den Schwerpunkt auf diese Arbeitsverhältnisse zu legen. Denn: Letztendlich ist Illegalisierung nur eine Variante von Prekarisierung. Dies hätte man gut an der Debatte über die Auswirkungen der Hartz-Gesetze sehen können, denn bei der nun beschlossenen Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe wird arbeitslosen MigrantInnen die Aussicht auf einen unbefristeten Aufenthaltsstatus oder die Einbürgerung entzogen.

Um etwas dagegen zu unternehmen, setzt sich Respect in der Gesellschaft für Legalisierung für die Ankopplung an die Gewerkschaften ein. Die Kampagne »Wir sind unter Euch« beginnt deshalb auch auf dem Bundeskongress der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi. »Wir wollen Verdi dazu bewegen, MigrantInnen als Personengruppen aufzunehmen.« Davon hätten auch die Gewerkschaften Vorteile, meint Munier. Verdi vertritt zwar inzwischen progressivere Positionen, was die Legalisierung von hier lebenden AusländerInnen mit befristetem Aufenthaltsstatus angeht, bei Menschen, die hier ohne Papiere leben, reiht sich die Gewerkschaft aber in die Front des Schweigens ein. Die Gesellschaft für Legalisierung appelliert deshalb an die kritischen GewerkschafterInnen bei Verdi, diese Politik zu stoppen und ihre gesamtgesellschaftliche Aufgabe wahrzunehmen. »Die Gewerkschaften müssen dahin gehen, wo sich Illegalisierte aufhalten und ihre Rechte vertreten«, fordert Munier.

Der Aktionstag der Gesellschaft für Legalisierung am 24. Oktober macht aber nicht nur bei den Gewerkschaften Station, weitere Aktionen der Stadtrundfahrt sind ein Heiratskorso durch Mitte, ein Ärztebesuch in der Charité, ein Fototermin am Roten Rathaus und ein Besuch bei der Ausländerbehörde. Am Abend wird dann noch gefeiert: erst am Kottbusser Tor, später im SO36.

Nächste Station der Tour der Gesellschaft für Legalisierung: Am 27. November in Hamburg.

www.rechtauflegalisierung.de* Name von der Redaktion geändert