Die harte Hand des Hexers

Die Menschenrechtsbilanz Kolumbiens ist alarmierend. Doch der internationalen Unterstützung für Präsident Uribe tut sie keinen Abbruch. von knut henkel

Gewerkschaftsrechte sind Menschenrechte«, sagt Bertha Rey Castelblanco, »aber unsere Rechte werden in Kolumbien nicht respektiert.« Die Schatzmeisterin der kolumbianischen Lehrergewerkschaft (Fecode) berichtet, dass seit Jahresbeginn 33 Lehrer ermordet wurden und dass die Gewalt gegen die gewerkschaftlich organisierten Pädagogen in den vergangenen Jahren stetig gestiegen ist. »Angehörige der Lehrer- und Erdölarbeitergewerkschaft, die sich gegen die so genannte Reform des Bildungssystems beziehungsweise gegen die Privatisierung des Erdölsektors stellen, sind in Kolumbien extrem gefährdet«, sagt Rey Castelblanco. In erster Linie macht sie die Paramilitärs für die zahlreichen Morde verantwortlich.

213 Gewerkschafter wurden weltweit im letzten Jahr ermordet, 184 von ihnen in Kolumbien, wie der Internationale Gewerkschaftsbund in seinem Jahresbericht 2002 feststellt. Angesichts der systematischen Verfolgung, der die drei kolumbianischen Gewerkschaftsdachverbände ausgesetzt sind, bringen immer weniger Arbeiter und Angestellte den Mut auf, sich zu organisieren.

Der Mitgliederschwund ist unübersehbar. Während der größte Dachverband, die Central Unitaria de Trabajadores (CUT), 1986 noch eine Million Mitglieder zählte, waren es zu Beginn dieses Jahres nur noch 545 000. Mit der Mitgliederzahl sinkt auch der Einfluss in den Betrieben und der Gesellschaft. Von vielen Gewerkschaftern wird dieser Entwicklung mit Humor begegnet. »In Kolumbien ist es leichter, eine Guerilla aufzubauen als eine Gewerkschaft«, heißt es.

Neue Gewerkschaften wie die Untraflores, die Organisation der Blumenarbeiter, entstehen selten. Für Aidé Silva, die Vorsitzende dieser kleinen Gewerkschaft, ist das kein Wunder. »Die Unternehmen reagieren sehr aggressiv auf unsere Bemühungen. Sie versuchen, unsere Organisation wieder zu zerstören«, sagt die 30jährige, um zu zeigen, dass sie das nicht mit sich machen lässt.

Vier Monate hat sie isoliert von den Kolleginnen in der Küche Kartoffeln geschält. Sie hat sich von den Einschüchterungsversuchen ihres Arbeitgebers aber nicht kleinkriegen lassen. »Morddrohungen und Anschläge hat es gegen uns jedoch nicht gegeben«, schränkt die Mutter zweier Kinder ein. »Menschenrechte werden in Kolumbien genauso wenig geachtet wie andere Rechte. Wir leben in einem Land der Straflosigkeit, und die Situation unter der neuen Regierung von Präsident Álvaro Uribe hat sich verschlechtert«, diagnostiziert die Frau, die im Rahmen einer Gewerkschaftsdelegation gerade Deutschland bereist.

Einen neuerlichen Beleg lieferte dafür der Präsident höchstpersönlich. In seiner Rede anlässlich der Amtseinführung des neuen Kommandanten der Luftwaffe, General Edgar Alfonso Lesmez, am 8. September bezeichnete Álvaro Uribe seine Politik »der demokratischen Sicherheit als Menschenrechtspolitik«. Gleichzeitig unterschied er zwischen guten und schlechten Menschenrechtsgruppen. Ersteren sicherte er die Unterstützung der Regierung zu, während er letztere als »Händler der Menschenrechte« und »schlechte Politiker des Terrorismus« beschimpfte und sie beschuldigte, unter dem Deckmantel der Menschenrechte politische Ziele zu verfolgen. Uribes Adressaten sind insbesondere jene Nichtregierungsorganisationen, die kürzlich in einem Buch (»Die autoritäre Verhexung«) eine kritische Bilanz seiner bisherigen Amtszeit zogen.

Uribe stellt die Autoren damit in die Nähe der Guerilla. Dieser Vorwurf hat in Kolumbien in der Vergangenheit allerdings zahlreiche Oppositionelle das Leben gekostet, sie wurden von paramilitärischen Todeskommandos ermordet. Die Bedrohung für die Autoren, unter anderem den Direktor der international renommierten kolumbianischen Juristenvereinigung, Gustavo Gallón Giraldo, oder den Menschenrechtsanwalt Alirio Uribe, der in diesem Jahr mit dem Menschenrechtspreis der Uno ausgezeichnet wurde, ist mit der Rede des Präsidenten sicherlich gestiegen.

Die von den Autoren aus dem NGO-Spektrum geschilderten Auswirkungen der Politik Uribes sind gerade im Bereich der Menschenrechte alles andere als ermutigend, wie auch das kolumbianische Büro der UN-Menschenrechtskommission in einer Presseerklärung Mitte September klarstellte. In der Erklärung wird die Regierung aufgefordert, für den Schutz der Menschenrechtsvertreter zu sorgen. Das Büro weist detailliert auf die entsprechenden internationalen Abkommen hin, die Kolumbien unterzeichnet hat, sowie auf die nationale Gesetzgebung zum Schutz der Grundrechte.

Faktisch herrscht in Kolumbien allerdings Straflosigkeit. Zwischen 97 und 99 Prozent der Menschenrechtsverletzungen werden nicht aufgeklärt, sagt Gustavo Gallón Giraldo. Gleichwohl erhält Präsident Uribe internationale Unterstützung für seine »Politik der harten Hand«, mittlerweile auch vom deutschen Parlament, das sich Ende September mit der Lage in Kolumbien beschäftigte.

Triumphierend zitierte der Bloque Central Bolívar von den Paramilitärs auf seiner Webpage Anfang Oktober, dass die Bundesregierung vom Parlament aufgefordert wurde, Uribe »bei seinem Auftrag, das Gewaltmonopol des Staates in Kolumbien wiederherzustellen«, unterstützen soll. Die Paramilitärs beklatschen die Wende in der deutschen Außenpolitik und attestieren dem Bundestag »Objektivität und die Fähigkeit, die kolumbianischen Probleme zu analysieren und zu verstehen«.

Beifall gab es von Seiten der Paramilitärs auch dafür, dass keine weiteren Beschuldigungen der Zusammenarbeit zwischen Paramilitärs und Armee erhoben wurden. Für zusätzliche Legitimation sorgte auch die Beauftragte für Menschenrechte der Bundesregierung, Claudia Roth. Sie besuchte in Kolumbien auch Zentren, wo ehemalige Paramilitärs und Guerilleros, die sich von ihren Organisationen losgesagt haben, untergebracht werden. Dies, so Werner Huffer-Kilian von der Deutschen Menschenrechtskoordination Kolumbien auf einem Kongress mit den kolumbianischen Gewerkschaftern im DGB-Bildungszentrum in Hattingen, sei ein Signal, dass die Bundesregierung auch dieses umstrittene Programm der Regierung unterstütze. Kritisiert wird, dass der Präsident Initiativen in Richtung Amnestie lanciere, womit die zahlreichen Menschenrechtsverletzungen sowohl der Paramilitärs als auch der Guerilla ungesühnt blieben. Allerdings hat sich Präsident Uribe bisher nur für die Straffreiheit für Paramilitärs stark gemacht.

An erfolgreiche Strafverfolgung zu denken, hat sich Aidé Silva ohnehin abgewöhnt. Sie kann es sich nicht vorstellen, dass die kolumbianische Justiz irgendwann einmal wieder diesen Namen verdient.