Doping, THG, USA

Der Sportskandal über die Designerdroge Tetrahydrogestrinon sagt vor allem viel über die Wahrnehmungsbereitschaft hiesiger Medien. von martin krauss

Das Kürzel klingt unschuldig, irgendwie nach Treuhandgesellschaft oder Turn-und Handballgemeinde, und es bedeutet Tetrahydrogestrinon. So richtig erregend klingt das Wort eigentlich nicht. Aber dahinter verbirgt sich »eine Verschwörung ungekannten Ausmaßes« (Süddeutsche), ein »Wirtschaftskrimi« (Berliner Zeitung), es geht um »den größten Skandal seit Aufdeckung des staatlich verordneten Dopings der DDR« (Welt).

Die Sache, um die es geht, ist recht schnell erzählt und gar nicht so aufregend. Im Juni dieses Jahres gab ein amerikanischer Leichtathletiktrainer der für Dopingkontrollen zuständigen Agentur Usada den anonymen Hinweis, bestimmte Sportler, die von seinen Trainerkonkurrenten betreut würden, nähmen ein bislang nicht nachweisbares Steroid. Weil die anonyme Denunziation nicht die gewünschten Folgen zeitigte, schickte der Trainer an die Usada ein wenig später eine Spritze mit der entsprechenden Substanz, und ein darauf spezialisiertes Labor in Los Angeles identifizierte sie als besagtes THG.

Das kannte man bislang nicht, aber die Sportorganisationen begannen zu suchen. Entwickelt wurde es vermutlich von einer Firma namens Bay Area Labatory Co-Operative, kurz Balco, und weil es auch um Steuervergehen geht, marschierte die Staatsanwaltschaft zu Balco und schaute sich die Kundenkartei des eigentlich auf Nahrungsergänzungsmittel spezialisierten Unternehmens an. Es fanden sich etliche Sportler, darunter die ohnehin unter Dopingverdacht stehende US-Sprinterin Kelli White. Ob diese Sportler – insgesamt fanden sich über 100 Sportlernamen in der Kundenkartei – auch wirklich Bezieher und, wenn ja, auch Konsumenten der Substanz THG sind, steht nicht fest. Nach Angaben der Washington Post wurde bislang ein einziger Sportler, der Kugelstoßer Kevin Toth, positiv auf THG getestet. Die englische Zeitung Guardian hat noch den britischen Sprinteuropameister Dwain Chambers als angeblich überführten THG-Sünder gemeldet. Mit Meldungen anderer Blätter sind insgesamt bislang fünf konkrete Fälle bekannt geworden, in keinem liegt bislang das zur Überführung vorgeschriebene Resultat der B-Probe vor.

So viel zur Dimension des Skandals, auch wenn die mediale Aufbereitung ihn wesentlich größer erscheinen lässt.

»Amerika glaubt an Chemie«, heißt auf Seite eins der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, der Spiegel berichtet vom »Doping-Sumpf USA«, die Süddeutsche Zeitung titelt von einer »Verschwörung ungekannten Ausmaßes«, die taz spricht von einer »neuen Dimension skrupelloser Athletenbetreuung«, und der NDR präsentiert in seinem Onlinedienst eine Überschrift, die beinah demokompatibel ist: »Doping, THG, USA«.

Hierzulande ist man sich einig, dass mit dem Aufkommen der Substanz THG eine neue Ära des Dopings angebrochen sei.

Genannt werden als Gründe, dass man »erstmals die Entscheidung, ein neues Produkt herzustellen, mit der Absicht getroffen hat, dass man den Nachweis unterwandern möchte«, wie der Dopinganalytiker Klaus Müller in einem taz-Interview ausführt. Außerdem sei neu, dass es kein von Sportlern missbräuchlich verwendetes Medikament mehr sei, sondern ein extra für den Spitzensportbereich hergestelltes. Und drittens schließlich sei mit der vermuteten Dimension des Falles – genannt werden zwischen 40 und 100 Sportlern, die THG-Konsumenten sein sollen – das US-Sportsystem delegitimiert.

Vergleichbar einzig dem der DDR, dem in der öffentlichen Wahrnehmung auch flächendeckendes Doping nachgesagt wird, auch wenn sich von offiziell vermuteten 10 000 durch Staatsdoping Geschädigten für einen Opferfonds bis zum Stichtag im Frühjahr dieses Jahres nur 31 Opfer gemeldet haben.

»Bisher hat der olympische Weltsport stets gekuscht, wenn Amerika, sein Hauptgeldgeber (US-Fernsehen und US-Sponsoren), Sonderrechte reklamierte«, freut sich die Süddeutsche, dass es diesmal die Richtigen trifft, denn schließlich gilt über den Sport hinaus: »Man kennt das aus anderen Gesellschaftssparten.« In einem anderen Kommentar des gleichen Blattes heißt es mit Blick auf die Olympischen Spiele 2004: »Saubere Amis in Athen? Die Antwort kennt – die Firma Balco.« Die Ärztezeitung teilt ihren Lesern mit, dass in den USA »die Doping-Bekämpfung bekanntermaßen noch in den Kinderschuhen« steckt und dass es neu sei, »dass amerikanische Sportfunktionäre eine Skandalmeldung über Manipulationen im Profisport nicht, wie bislang üblich, blockiert, sondern sogar selbst veröffentlicht haben«. Weswegen der deutsche Vizepräsident des Internationalen Olympischen Komitees, Thomas Bach, von einer »positiven Seite« des Skandals gesprochen habe.

In Amerika geht’s nämlich so zu, wie die Sonntags-FAZ herausfand: »Schüler schlucken anabole Steroide, Pharmafirmen sponsern Universitäten, und Pillen gibt es im Drugstore um die Ecke.« Aber es ist halt in Amerika genauso wie überall auf der Welt.

In der Sache ist der gerade diskutierte THG-Skandal in der Geschichte des Dopings also kein besonderer Meilenstein. So einer war schon eher zu finden, als vor wenigen Jahren Epo entwickelt wurde, genauer: als es gelang, den körpereigenen Wirkstoff Erythropoietin synthetisch herzustellen und somit in Dopingkontrollen zunächst nur der Nachweis gelingen konnte, dass Sportler eine Substanz im Körper haben, die in jedem menschlichen Körper enthalten ist.

Auch der Leiter des österreichischen Dopinglabors in Seibersdorf, Günter Gmeiner, vermag im THG-Fall partout keine »neue Dimension« zu entdecken. »Es gibt immer Substanzen, die in der Medizin nix zu suchen haben«, teilte er dem Standard mit. Ebenso in den von der Welt befragten Dopinglabors in Belgien und Finnland klagt man nur darüber, dass THG jetzt einen ungeheuren Arbeitsschub bedeute, weil so viele bereits untersuchte und für negativ befundene Proben nochmals analysiert werden müssten.

Von einem Medien-Hype spricht keiner, aber Wilhelm Schänzer, Leiter des Kölner Dopinglabors, spekuliert darauf, dass sein Institut künftig vielleicht besser gestellt würde. Man müsse »sich aber darum kümmern, wie wir das zukünftig finanziert bekommen«, klagte er in der Welt, »es kommen ja ständig neue Aufgaben hinzu.« Die bloße Analyse von Proben auf THG sei kein Problem. »Normalerweise werden für jede Probe fünf bis sechs Prozeduren gemacht«, sagt Schänzer, »für die THG-Analyse brauchen wir nur eine Prozedur.«

Das Besondere an THG scheint zu sein, dass es, anders als Epo, aus Amerika kommt. Das hat im hiesigen Diskurs zur Folge, dass über Firmen, die Epo-Substanzen an Sportler verkaufen und über die man mit beinah antikapitalistischem Unterton hätte berichten können, nicht viel bekannt wurde. Über die Firma Balco aber, die vermutlich THG auf den Markt geworfen hat, erfährt man genüsslich, dass sie und ihr Besitzer Victor Conte auch gegen Steuer- und Geldwäschegesetze verstoßen hätten.

Im aktuellen THG-Skandal um die Firma Balco kommt beinah alles zusammen, was aus einem kalifornischen Gesetzesverstoß einen weltweiten Skandal macht: die Vorstellung von grenzenloser Profitgier, die in Amerika verbreiteter sei als in anderen Ländern, und der feste Glaube an unterirdisch wirkende geheime Mächte. Für die Berliner Zeitung stellt sich der THG-Fall nämlich so dar: »Die Erlenmeyer-Kolben glühen nämlich schon wieder in den Geheimlabors.«