Parallele Bildwelten

Die Ausstellung »Berlin-Moskau« sucht das Politische in der Kunst. von tanja dückers

In Berlin und in Moskau, in Deutschland und in Russland, im Westen und im Osten war einiges los in den letzten 50 Jahren. Aber die Ausstellungsmacher von »Berlin-Moskau 1950–2000« im Martin-Gropius-Bau müssen das anders gesehen haben. Zumindest scheint ihnen der Versuch, zwei Weltmetropolen als repräsentative Schauplätze für »den« Westen und »den« Osten in einer Ausstellung gegenüberzustellen, nicht megaloman vorgekommen zu sein. Der Gropius-Bau ist bekannt für plakative Großausstellungen wie »Afrika«. Im Vergleich dazu nimmt sich das Projekt »Berlin-Moskau« mit 500 Werken von 180 Künstlern fast schon bescheiden aus.

Zumindest was die »russische Seite« der Ausstellung angeht, lassen sich viele lohnende Entdeckungen machen. Zum Beispiel existierte Anfang der sechziger Jahre eine Untergrundbewegung, die sich »Kapitalistischer Realismus« nannte; ihr namhaftester Vertreter, Michail Tschernyshow, malte in der späten Stalin-Ära poppig-bunte Kreise, die er »Schallplatten« nannte. Auch andere Konsumartikel fanden ihren Weg auf originelle Weise und meist unter dem Deckmäntelchen der Abstraktion in diese Gemälde. Man erfährt in »Berlin-Moskau« auch, dass »Transzendenz« in der russischen Kunst eine besondere Bedeutung hatte und bestaunt monochrom-weiße Papierbögen, deren poetische Titel stets variieren. Neben solchen unvermuteten Entdeckungen findet man viele Arbeiten, die sich konkreter mit dem politischen Alltag der damaligen UdSSR beschäftigen, z.B. Installationen von Irina Nachowa. Mit ihrer »Duschanlage«, aus der Tonbandaufnahmen von Stimmen von Diktatoren dringen, liefert sie eine groteske Allegorie des Themas »Gehirnwäsche«. Erik Bulatovs »Ich gehe« (1975) – diese Worte sind bei ihm in einen verlockend hellblauen Himmel gemalt – ist ein beredtes Beispiel für eskapistische Tendenzen.

Später, und erst recht nach 1990, gewinnt die Systemkritik an Direktheit. Ins Dämonische verzerrte Darstellungen von Parteitagen, Heldenskulpturen und jede Menge roter Fahnen tauchen auf. Die totalitäre Epoche scheint die Künstler durch die Wucht ihrer überdimensionierten Symbole, denen der Untergang schon eingeschrieben war, immer wieder fasziniert zu haben. Interessant auch Arbeiten wie die nachgestellten Fotos aus dem Leben der alternden Filmdiva der Stalin-Ära Ljubow Orlowa (1902–1975). Der Künstler ist in jedem Bild selbst in die Rolle der Schauspielerin geschlüpft, nimmt Kusshände, Stalin-Preise und auch gern mal ein charmantes Matrosenlächeln entgegen. Auch Viktor Piwowarows seltsame Studien »Entwürfe für einen einsamen Menschen« (1975) oder Ivan Chuikovs phantasievoll bemalte Fenster lassen die Abgründe einer fast vollkommen kontrollierten Gesellschaft erahnen, in der dem Wunsch nach individuellen Rückzugsorten nicht nachgegeben werden durfte.

Sehr sehenswert ist das »Kino der Subkulturen« mit seinen Filmen der siebziger und achtziger Jahre aus Dresden, Leningrad und Moskau. Bekannte Namen wie Via Lewandowsky, Jörg Herold oder Jewgeni Jugit mit seinem Film »Sanitäterwölfe« oder Cornelia Schleime mit »Unter weißen Tüchern« sind hier zu sehen. Um den Mut der russischen Filmemacher richtig einschätzen zu können, muss man etwas über die Vorgeschichte der sowjetischen »Filmindustrie« wissen.

Kurz vor Stalins Tod (1953) war der Höhepunkt der innenpolitischen Paranoia erreicht, die Zensur wütete so streng, dass im gesamten Jahr 1952 nicht ein Dutzend russischer Filme offiziell genehmigt wurde. Die nationale Filmproduktion kam fast vollständig zum Erliegen. In seiner Geheimrede auf dem XX. Parteitag läutete Chrutschow zwar die »Tauwetter«-Ära ein, aber nach Breschnews Machtantritt 1964 fand das kulturpolitische Zwischenhoch und damit auch der Aufbruch im Film vorläufig sein Ende. Dennoch bastelten im russischen Untergrund die Leningrader »Nekrorealisten« an einem neuen filmischen Ausdruck, ebenso in Moskau das Grüppchen, das sich zum »Parallelkino« zusammenschloss.

Die Ausstellung »Berlin-Moskau« trennt nicht nach Künstlern aus West und Ost, ein Umstand, der vielleicht einem sympathisch-freiheitlichen Grundgedanken zu verdanken ist, tatsächlich aber beim Betrachter eher Verwirrung auslöst, zumal auch die Chronologie vollkommen ignoriert wird und die Zusammenstellung willkürlich wirkt. Dem vereinnahmenden Gestus des »Alles-Durcheinanderwirbelns« haftet ein naiv wirkender, ungebrochener Glaube an postmoderne Egalität an – und eine befremdliche Ignoranz gegenüber der Geschichte. Schon jetzt hat der russische Kurator Pawel Choroschilow angekündigt, dass die historische Dimension stärker berücksichtig werden soll, wenn die Ausstellung in Moskau Station macht.

Doch nicht nur die Einordnung unterschiedlichster Künstler unter seltsamen Sammelbegriffen aus der poetisch-kulturhistorischen Phantasie der Kuratoren irritiert, auch dem Titel »Berlin-Moskau« wird in keiner Weise Rechnung getragen. Die meisten deutschen Künstler wie beispielsweise Beuys arbeiteten überhaupt nicht in Berlin. Und wieso werden die Jungen Wilden nur von Rainer Fetting vertreten? Wo bleiben Salomé und Middendorf? An die Stelle der Repräsentanten originär Berliner Positionen rücken die üblichen Verdächtigen: Beuys, Kiefer, Richter, Palermo, Knoebel. So schön viele dieser Arbeiten auch sein mögen, in diesem von den Kuratoren aufgezwungenen Kontext wirken sie seltsam deplaziert, viel lieber hätte man doch etwas über Berlins Subkultur, über die randständige Kunstszene erfahren. Bisweilen schimmert der Versuch der Kuratoren durch, Werke mit »politischer Aussage« auszuwählen. Aber auch dieses Kriterium wird nicht konsequent angewandt: Einzelne Arbeiten wie z.B. Via Lewandowskys großartiges »Berliner Zimmer« – ein spießiges Wohnzimmer, exakt in der Mitte zerteilt, mit durchteilter Katze, Sofa, Schrankwand und Sektglas – sind gelungene politische Statements, ebenso Martin Kippenbergers ironisches Ölgemälde »Sympathische Kommunistin« (1983). Aber was Thomas Schüttes »Kartoffelherzen« oder eine auf den Kosovo abzielende Arbeit hier zu suchen haben, erscheint dem Besucher genauso rätselhaft wie der peinliche Fokus auf Westberliner Arbeiten, die irgendwie Stacheldraht, Mauerstücke, Absperrungen und Ähnliches integrieren.

Mit noch größerer Verblüffung blickt der Besucher auf Werke von US-amerikanischen und mexikanischen Künstlern, die ohne erklärende Stelltafeln (»Siqueiros war Kommunist …«) gar nicht auskämen. Auch Barnett Newmans großartiges »Who’s Afraid of Red, Yellow and Blue Nr.IV« vertritt – obgleich es zum Bestand der permanenten Ausstellung der Berliner Nationalgalerie gehört – einfach keine Positionen Berliner Kunst nach 1945. Zumal Newman, der in New York lebte und dort starb, in seiner Suche nach bildnerischen Ausdrucksformen des Erhabenen die in seinen Augen klassisch-europäische »kleinteilige« Ästhetik scharf kritisierte und einen genuin amerikanischen Gegenentwurf der »Think Big«-Variante plante.

Wirklich interessant sind die wenigen Arbeiten aus Deutschland, die tatsächlich von politischen Inhalten Zeugnis ablegen. Eine bemerkenswerte politisch motivierte Arbeit ist die Fotokopie-Sammlung von Hans Peter Feldmann, die alle Opfer linksradikaler Bewegungen in Deutschland kurz porträtiert: Im Tod vereint werden Terroristen wie auch erschossene Polizeibeamte, Passanten und Prominente wie Schleyer und Ponto. Man staunt über die hohe Gesamtzahl und die zum Teil haarsträubenden Geschichten – wie die von Dora Bloch:

»Dora Bloch, 75. Geisel aus der Flugzeugentführung in Entebbe. Wurde nach Geiselhaft wegen Verletzung in ein Krankenhaus gebracht. Nachdem die anderen am Flughafen festgehaltenen Geiseln am 4. Juli 1976 durch die israelische Armee befreit worden waren, ging der damalige Staatspräsident Idi Amin zu Dora Bloch ins Krankenhaus und erwürgte sie eigenhändig.«

Solche Details sind es, die den Besucher der Ausstellung »Berlin-Moskau. 1950–2000« innehalten lassen und aufzeigen, wie ein spezifischer historischer Kontext Eingang in die Kunst eines Landes gefunden hat.

»Berlin-Moskau/Moskau-Berlin 1950–2000«. Martin-Gropius-Bau. Berlin. Bis 5. Januar