Rosa Halbmond

Zum Kongress türkeistämmiger Homosexueller am vorigen Wochenende kamen viele rot-grüne Politiker. Dafür blieb der türkische Botschafter zu Hause. von doris akrap

Türken raus!« steht auf der Titelseite der Novemberausgabe des Schwulenmagazins Siegessäule, das wenige Tage vor dem ersten Bundeskongress türkeistämmiger Homosexueller erschien. Dieser fand am vorigen Wochenende im Rathaus Schöneberg statt, und dort nahm man die freie Übersetzung von »coming out« alles andere als wohlwollend auf. »Das erinnert mich an früher, an Rostock«, meinte ein Teilnehmer des Kongresses aus Köln. Als Provokation an die Adresse der türkischen Community sei das Cover aber durchaus publicityträchtig. Das war es allerdings.

Publicity, das war auch das, was der Kongress im Wesentlichen suchte. Organisiert vom Lesben- und Schwulenverband in Deutschland, dem Zentrum für Migranten, Lesben und Schwule sowie der Gruppe Gays & Lesbians aus der Türkei, sollten erstmals in einem offiziellen Rahmen Migration, Integration und Homosexualität thematisiert werden.

Die Intention des Kongresses, die türkische Community mit dem Thema Homosexualität zu konfrontieren, tat dabei schon vorher ihre Wirkung. Auf einer Pressekonferenz hatten die Veranstalter angekündigt, die deutsche, die türkische und die Regenbogenfahne vor dem Rathaus zu hissen. Der Bürgermeister des Bezirks Tempelhof-Schöneberg, Ekkehard Band (SPD), musste dieses Vorhaben jedoch unterbinden, denn es hatte eine Vielzahl von Drohanrufen bei ihm gegeben, in denen dieses Vorhaben als »Beleidigung des türkischen Volkes« empfunden wurde.

Auf dem Kongress stand dann erst einmal die von der Schöneberger CDU-Abgeordneten Emine Demirbüken-Wegner so genannte »Aufklärungsfront« der Integration in Gestalt der deutschen Politprominenz im Vordergrund. Darunter befanden sich so schillernde Figuren wie Walter Momper (SPD), der ehemalige Regierende Bürgermeister von Berlin. Er könne zwar nicht den Charme eines Klaus Wowereit bieten, gestand er, jedoch habe er mal ein witziges Interview auf einer schwulen Veranstaltung in Schöneberg gegeben. Witzig würde hoffentlich auch diese Veranstaltung werden.

Zunächst ging es nicht um die türkische, sondern um die deutsche Befindlichkeit. Marieluise Beck (Grüne), die Ausländerbeauftragte der Bundesregierung, und Volker Beck, der parlamentarische Geschäftsführer der Grünen, überboten sich gegenseitig in Beteuerungen, die Emanzipation der türkischen Homosexuellen sei eine Bereicherung für die deutsche Gesellschaft.

Während Volker zum organisierten Kampf für Familienwerte aufrief (»Schwule können auch gute Väter sein«), war es für Marieluise »ausgesprochen beruhigend, dass wir beruhigt sein können«. Beunruhigt hingegen zeigte sich Claudia Roth, die ehemalige grüne Parteivorsitzende. Sie gab zu bedenken, dass die Diskriminierung der Homosexuellen negative Folgen für die deutsche Wirtschaft nach sich ziehe.

Die lesbische Kreuzberger DJane Ipek durfte nach all dem deutschen Paternalismus den inhaltlichen Part übernehmen und ein Referat über Mehrfachdiskriminierung migrantischer Homosexueller halten. Rassismus in der deutschen Mehrheitsgesellschaft und Homophobie in der türkischen community waren ihre Themen. Berauscht von der eigenen Gutmütigkeit und dem angebotenen Sekt, machten die deutschen Offiziellen einen derartigen Lärm, dass der Rest, die überwiegend männlichen türkischen Schwulen, kein Wort von dem verstehen konnte, was Ipek erzählte. Mehrfach forderte sie die Störer zum Verlassen des Saales auf.

Für den SPD-Europaabgeordneten Ozan Cehun stand jedoch etwas ganz anderes im Vordergrund. Er bedauerte das Fehlen des türkischen Botschafters. »Schließlich wollen wir doch alle in die EU«, gab er zu bedenken. Durch Abwesenheit auffallend, avancierte der türkische Botschafter auf dem Kongress zur gefragtesten Person. Mitte Oktober hatte die neue islamische Regierung der Türkei einen anderen Botschafter nach Berlin entsandt, der es abgelehnt hatte zu kommen.

Auffällig abwesend war auch das Thema Islam. Den einzigen Vortrag, der sich mit den Entwicklungen in den muslimischen Gemeinden beschäftigte, hielt der libanesische Islamwissenschaftler Ralph Ghadban am zweiten Tag des Kongresses. Die deutsche kulturalistische Haltung, die Toleranz gegenüber dem Islam, leistete der fundamentalistischen Bewegung einen großen Dienst, kritisierte Ghadban. Ein säkularer Staat habe sich mit den politischen Implikationen einer Religion zu beschäftigen, anstatt das Kopftuch als individuelle religiöse Angelegenheit zu behandeln. Die Deutschen sollten endlich das Zuwanderungsgesetz verabschieden und damit dem Identifikationsangebot Islam als Mittel der Selbstabgrenzung für migrantische Jugendliche den Boden entziehen. Von den deutschen Amtsträgern war jedoch schon niemand mehr da.

Für Gesprächsstoff in der türkischen Community dürfte das Podium sorgen, auf dem erstmals Vertreter türkischer Vereine und Verbände zum Thema Homosexualität sprachen. Die Sprecher türkischer Eltern und Unternehmer und des Türkischen Bundes Berlin-Brandenburg waren sich darin einig, dass Homosexualität, aber auch Heterosexualität Tabuthemen in der Community seien. Alle bis auf den Generalsekretär der Türkischen Gemeinde, Celal Altun, erklärten ihre Bereitschaft, etwas dagegen zu unternehmen.

Altun war der Auffassung, die Türken hier hätten wichtigere Probleme, und erst wenn diese gelöst seien, werde man sich auch diesem »Brennpunkt« zuwenden. Immerhin habe er sich schon mal gefragt, was wäre, wenn sein Sohn schwul wäre, gab er zu. »Bisher bin ich jedoch zu keiner Lösung gekommen.«

Das Podium einigte sich darauf, dass die Religion nicht das Problem sei, schließlich seien sie auch alle gläubige Muslime und trotzdem keine Taliban. Der eingeladene Vertreter der Islamischen Union war nicht erschienen, und das sei auch gut so. »Denn mit gebündelten migrantischen Kräften wollen wir gegen die Hardliner kämpfen«, sagte Sanem Kleff von der Initiative Schule ohne Rassismus

Yeter, eine Lesbe aus Stuttgart, vermisste allerdings das Thema Religion. »Das ist doch das eigentliche Problem! Wäre dieser Kongress in Stuttgart, würde ich nicht hingehen.« Bis voriges Jahr noch habe sie geglaubt, sie sei die einzige türkische Lesbe. Sie komme aus einer konservativen, streng gläubigen Familie, die nichts über ihren Aufenthalt in Berlin und schon gar nichts über ihre Sexualität wisse.

Sie faste gerade, aber da sie auf der Reise sei, dürfe sie eine Ausnahme machen. Yeter hatte gehofft zu erfahren, wie andere homosexuelle Muslime mit dem religiösen Alltag ihrer Community umgehen. Ob und mit welchen Kämpfen und Brüchen die anderen Teilnehmer sich aus ihren Familienverhältnissen gelöst haben, war aber tatsächlich kein Thema der Veranstaltung.