À la recherche

Auf dem Europäischen Sozialforum in Paris wurde viel gesucht: neue Widerstandsformen, das neue Subjekt der Kritik und vor allem die Veranstaltungsorte. von federica matteoni, paris

Erinnert sich noch jemand an den chaotischen Ausnahmezustand von Florenz vor einem Jahr? Alles vergessen. Mit Paris hat sich das Europäische Sozialforum in seinem zweiten Anlauf institutionell etabliert. Unter dem kleinsten gemeinsamen Nenner »Ein anderes Europa ist möglich« wurden von Donnerstag bis Samstag vergangener Woche in mehreren hundert Podiumsdiskussionen, Seminaren und Workshops die wichtigsten Punkte der Globalisierungskritik erörtert. So gab es Veranstaltungen für fast jeden Geschmack: vom globalen Krieg bis zum spirituellen Widerstand gegen die Globalisierung, von Widerstandsstrategien gegen die neoliberale Offensive in Europa und weltweit über den Ursprung des Yoga oder die Autonomie der Migration bis hin zu einer Diskussion über Freiheit und Religion.

Die plénières und seminaires waren verteilt auf vier Pariser Vororte, die mal mit modern-repräsentativer Architektur, mal mit ausgedehnten Fabrikanlagen oder auch einem Konsumtempel als Veranstaltungsort wie dem Multiplexkino im Einkaufszentrum in Ivry-sur-Seine beeindruckten.

Scheinbar war niemand auf die Idee gekommen, die Veranstaltungsorte nach Themenschwerpunkten zu sortieren. So stellte sich bei der langwierigen Suche nach dem Wunschseminar bisweilen ein Gefühl der Verlorenheit ein. Das zweite Europäische Sozialforum war vor allem eines: anstrengend.

In einigen Seminaren wurde versucht, den Begriff »soziale Bewegung« neu zu definieren. Doch nur selten ging es darum, auch das Subjekt dieser Kritik zu problematisieren. Angesichts der Krise der repräsentativen Demokratie und der organisierten Bewegungsformen scheint aber gerade dies eine notwendige Voraussetzung für eine Bewegung, die die Gegenwart verändern will. Denn eins ist klar: Um die Handlungsfähigkeit wieder zu gewinnen, sind heute neue theoretische Grundlagen notwendig. Die Bewegung hat in den vergangenen Jahren, spätestens seit dem WTO-Gipfel in Seattle, die Krise der repräsentativen Demokratie wahrgenommen. Doch bislang konnten keine autonomen Formen politischer Vertretung erarbeitet werden, die in der Lage wären, das Modell der repräsentativen Demokratie zu überwinden.

Ein erster Schritt hierzu wäre die Überwindung der politischen Dimension des Nationalstaats. In vielen Diskussionen herrschte Konsens über den globalen Kontext, in dem die Bewegung arbeiten muss. Viele der teilnehmenden Gruppen setzen ihre Hoffnung in einen »europäischen Raum«, der jedoch noch zu definieren ist. Eine kritische Diskussion jedoch, inwiefern dieser Raum für die europäische außerparlamentarische Linke schon jetzt als Hoffnung fungiert oder welche Auswirkungen dieser positive Bezug auf Europa haben könnte, fand nur am Rande statt.

Einen Versuch in diese Richtung unternimmt der italienische Verlag DeriveApprodi in der dreisprachigen Broschüre »Common places«, die im Rahmen des ESF verteilt wurde. Die europäische Bewegung wird darin als ein »Laboratorium des sozialen Konflikts« begriffen, das untrennbar mit Erfahrungen des globalen Widerstands und der selbst organisierten lebendigen Arbeit weltweit verbunden ist. Diese Bewegung befände sich derzeit auf der Suche nach Gegnern und entsprechenden Bezugspunkten, an denen Druck für Veränderungen ausgeübt werden kann. Aus dieser Perspektive ist Europa zunächst ein Raum, in dem es möglich werden kann, mit Transformationen zu experimentieren.

Auch in Paris standen sich zwei Positionen gegenüber: Diejenigen, die die Bewegung als Träger »einer anderen« Globalisierung betrachten, das heißt einer Globalisierung des Widerstands und der sozialen Kämpfe. Und auf der anderen Seite diejenigen, die auf eine Wiederbelebung des nationalen Sozialstaates setzen, um die neoliberale Globalisierung »abzumildern« oder sogar aufzuheben.

Ihre Argumente: Das politische Projekt Europa dürfe weder dazu dienen, nationale Hoffnungen auf die europäische Ebene zu übertragen. Noch dürfe »ein starkes« Europa zum Subjekt eines neuen Antiamerikanismus werden. Die Bewegung müsse ein komplexer und offener Raum der Politisierung bleiben, in dem die unterschiedlichen sozialen Konflikte, Erfahrungen und Sprachen zusammenkommen.

Was jedoch die verschiedenen Positionen vereint, sind die massiven Veränderungen der Arbeitsverhältnisse und -beziehungen in den vergangenen Jahren in Europa, gegen die die bisher bekannten Formen des Politikmachens ins Leere laufen.

Hier ist der Ausgangspunkt für eine neue Selbstdefinition der Bewegung. Europa ist dabei, sich eine Verfassung zu geben, die die Union als »politisches Wesen« besiegeln soll. Zum ersten Mal in der Geschichte werden die Entwicklung der Arbeit in Richtung Flexibilisierung und Prekarisierung sowie die Kontrolle über migrantische, intellektuelle und kognitive Arbeit nicht nur als politisches Programm angesprochen, sondern in einer Verfassung festgelegt. Der Neoliberalismus wird Verfassung.

Für die sozialen Bewegungen ergibt sich daraus die Suche nach neuen Widerstandsformen. Welche Widerstands- und Lebensstrategien, welche Formen der lebendigen Arbeit können wir uns heute vorstellen, um die geforderten Rechte zu erkämpfen und das vielfach beschworene »Europa von unten« aufzubauen?

Diese Frage stellt sich das Netzwerk Transform, das in Italien gestartet wurde und das auf europäischer Ebene die Transformationen der Arbeitsformen sowie die daraus folgende Entstehung neuer Subjektivität untersucht. Die entscheidende Frage lautet: Welche konkreten Widerstandsformen lassen sich anwenden? Denn wenn die neoliberalen Veränderungen die Grenzen des Nationalstaats sprengen, müssen die Kämpfe auf europäischer Ebene wirksam werden. Die Betroffenen dieser Prozesse – Migranten, Lohnabhängige, prekär Beschäftigte, Arbeitslose – müssen dazu die Opferrolle überwinden.

Das Netzwerk Transform arbeitet mit der militanten Untersuchung, die in den sechziger und siebziger Jahren, vor allem in Italien im Rahmen der fordistischen Fabrikarbeit, praktiziert wurde. Das Verfahren geht von den Arbeits- und Lebensformen, den existenziellen Bedürfnissen und der rechtlichen Stellung der Arbeiter aus. Die Fragestellung basiert nicht auf ideologisch vorgegebenen Gewissheiten und zielt nicht darauf ab, sozialwissenschaftliches Wissen zu produzieren. Stattdessen wird versucht, die betroffenen Akteure zu beteiligen und zu mobilisieren, um neue Widerstandsformen zu entwickeln. In diesem Prozess soll das kritische Denken der betroffenen Subjekte angeregt werden.

Für das Netzwerk geht es darum, dieses Verfahren anhand der neuen, auf transnationaler Ebene formierten Arbeits- und Lebensbedingungen neu zu definieren, um gemeinsame, vernetzte Kampfstrategien zu entwickeln. Doch vielleicht ist das europäische Sozialforum nicht mehr die geeignete Plattform für eine derartige Vernetzung »von unten«.

In Paris wurde nur zu deutlich, dass die reformistischen Kräfte zunehmend die Sozialforen in die Hand nehmen.