Mitmischen bei
Maischberger

Attac will eine große soziale Bewegung in Gang setzen. Wie das globalisierungskritische Netzwerk funktioniert, beschreibt martin kröger

Die Tobin-Steuer war nur ein Mobilisierungsinstrument, um die Menschen für Attac zu interessieren«, sagt Lutz Fricke. Seit dem Berliner Gründungskongress im Jahre 2001 ist er Mitglied im Netzwerk Attac, ab dem nächsten Jahr betreut er die Bildungsreihe »Gegenstimmen«. »Zurzeit lassen wir die Strukturdebatte hinter uns und erweitern uns thematisch«, sagt er zur gegenwärtigen Lage der Organisation.

»Auch das Wort Kapitalismus, das K-Wort, das von vielen bis jetzt nur halbherzig im Mund geführt wurde, ist des Öfteren zu hören«, erzählt er. Die Radikalisierung lasse sich nach seiner Meinung schon am Programm der Sommerakademien Attacs ablesen. Dominierten in den vergangenen Jahren vornehmlich klassische globalisierungskritische und ökologische Themen das Programm, standen in diesem Jahr erstmals Aktionstrainings, Seminare zu Geschlechterfragen, die Kapitalismuskritik von Marx, Rassismusanalysen sowie Veranstaltungen zur Zukunft der Arbeit auf der Tagesordnung. Es gebe eine größere Sensibilität für verschiedene Herrschaftsmechanismen wie Sexismus, Rassismus und Antisemitismus, sagt Fricke. »Wir haben uns der Kritik gestellt und versuchen eine fundiertere Kapitalismuskritik zu entwickeln.«

Außerdem beteilige man sich stärker an der Lokalpolitik und engagiere sich in den überall entstehenden Sozialforen, um den Widerstand gegen den Sozialabbau zu forcieren. »Der Kaltstart ist gelungen«, meint er, denn gemeinsam mit anderen Gruppen »haben wir es am 1. November geschafft, 100 000 Menschen in Berlin gegen den Sozialabbau auf die Straße zu bringen«.

Bei der Abschlusskundgebung am 1. November fiel vor allem eine Rednerin auf: Ilona Plattner, die eine flammende Rede hielt und drei Tage später von Sandra Maischberger in der ARD als neue Galionsfigur der entstehenden sozialen Bewegung aus Gewerkschaften, Initiativen der Erwerbslosen und SozialhilfeempfängerInnen und verschiedenen linken Gruppen und Parteien präsentiert wurde. Die junge Künstlerin, die im Koordinierungskreis und im Frauennetzwerk Attacs mitarbeitet, beeilt sich, die Rolle von sich zu weisen. »Attac ist eine Vermittlerin, die zwischen verschiedenen Milieus verhandelt und Bündnisse herstellt«, sagt Plattner. »Bei Attac kann jeder mitmischen. Hauptsache, es ergibt eine große Bewegung.«

Dass tatsächlich eine »große Bewegung« entsteht, beweist, dass die Gewerkschaften Verdi und IG Metall mit ihren insgesamt 5,2 Millionen Mitgliedern sich dem vergleichsweise winzigen globalisierungskritischen Netzwerk zuwenden. Gemeinsam sollen »Alternativen zur Regierungspolitik« aufgezeigt werden.

Derzeit sind rund 13 000 Personen in 160 Ortsgruppen in Attac organisiert. Die Zeiten, in denen nach den Protesten der globalisierungskritischen Bewegung in Genua im Sommer 2001 wöchentlich etwa 130 neue Mitglieder eintraten, sind aber längst vorbei.

Nach wie vor können neben Einzelpersonen auch Gruppen bei Attac Mitglied werden. So bildete sich ein sehr heterogenes Netzwerk heraus, das von NGO, Umweltgruppen, gewerkschaftlichen Landes- und Jugendverbänden und christlichen Gruppen wie Pax Christi bis zu linken, kapitalismuskritischen Initiativen reicht.

Diese Struktur ist wiederum ein Teil des globalen Attac-Netzwerks, das sich 1998 in Frankreich aus dem Umfeld der Monatszeitung Le Monde diplomatique gründete. Der Name Attac stammt aus dem Französischen und ist eine Abkürzung für: »Vereinigung zur Besteuerung von Finanztransaktionen im Interesse der BürgerInnen«. In 50 Ländern gibt es 90 000 Mitglieder. Die Schwerpunkte liegen in Frankreich, Schweden und Finnland. In den Vereinigten Staaten ist Attac fast unbekannt.

Höchstes Entscheidungsgremium der nach basisdemokratischen Prinzipien aufgebauten Organisation in Deutschland ist der halbjährlich stattfindende Attac-Ratschlag, eine Art Vollversammlung. Dort werden inhaltliche Ausrichtungen diskutiert und im Konsensverfahren beschlossen. Das heißt, wenn mehr als zehn Prozent gegen eine Entscheidung sind, wird diese nicht gefällt. Zudem werden hier die Gremien Koordinierungskreis und Rat gewählt.

Der Koordinierungskreis fungiert als ausführendes Organ und kümmert sich um die Durchführung und Koordination der Beschlüsse, er stellt die Außenkontakte her und kontrolliert die Büros und Finanzangelegenheiten. Das zweite Gremium, der Rat, besteht neben den Mitgliedern des Koordinierungskreises aus VertreterInnen der Regionalgruppen und dient somit als Schnittstelle zu den lokalen Gruppierungen.

Die hauptsächliche Arbeit findet allerdings in diesen Basisgruppen statt, die sich der inhaltlichen Fundierung der Globalisierungskritik verschrieben haben und Bildungs- und Informationsveranstaltungen organisieren. Seit geraumer Zeit beteiligen sich die Basisgruppen zudem immer mehr an der Lokalpolitik.

»Attac richtet sich neu aus«, meint der Soziologe Dieter Rucht, der selbst im wissenschaftlichen Beirat der Organisation engagiert ist und das Netzwerk in allen inhaltlichen Fragen unterstützt. Dass die großen Gewerkschaften den Anschluss an Attac suchen, wundert ihn nicht. »Die Gewerkschaften, mit ihrem derzeitigen schlechten öffentlichen Image, suchen die Nähe dieser jungen, dynamischen und optimistischen Organisation, weil sie ein echtes Nachwuchsproblem haben«, meint er. Gleichzeitig warnt er davor, dass der »Nimbus des Jung-Dynamischen« nicht ewig vorhalte, was sich schon an den zahlreicher werdenden Funktionärsschichten ablesen lasse. »Attac wird sich konventionalisieren«, prophezeit Rucht.

Attac wiederum profitiert von der Symbiose mit den Gewerkschaften, weil diese einen riesigen Apparat und Ressourcen zur Verfügung haben, die sich im nun entstehenden Widerstand gegen den Sozialabbau als sehr nützlich erweisen könnten.

Denn der Widerstand gegen den Sozialabbau ist derzeit nicht nur in der Berliner Sektion inhaltlicher Schwerpunkt. Auf dem letzten Ratschlag Mitte Oktober in Aachen wurde beschlossen, eine Kampagne gegen den Sozialabbau zu führen. »Die sozialen, politischen, ökonomischen Auswirkungen der neoliberalen Globalisierung dringen heute in unsere alltägliche Lebenswelt ein. Darum gehört die Beschäftigung mit Sozialabbau zu den ureigenen Themen der Globalisierungskritik«, begründete ein Vertreter der Organisation die Entscheidung.

Nach der Demonstration in Berlin beteiligt sich Attac auch an den Protesten gegen den SPD-Sonderparteitag in Bochum und die Sparpolitik der hessischen Landesregierung. Für das nächste Frühjahr ist ein globaler Protesttag gegen die sozialen Einschnitte geplant, der an den Antikriegstag im Februar dieses Jahres angelehnt sein soll.

»Wir als Attac können die integrierende Rolle spielen, um die Zersplitterung der einzelnen Fraktionen und Gruppen aufzuheben. Das wird unsere Hauptfunktion für die neue soziale Bewegung sein«, sagt Pedram Shahyar, die wie Ilona Plattner Mitglied im Koordinierungskreis ist.

Ausgenommen davon sind nur politische Parteien. Stuften früher viele Attac eher als kritischen Begleiter der rot-grünen Bundesregierung ein, gibt es inzwischen ernste Streitereien mit beiden Regierungsparteien. Und die PDS, die am 1. November noch gemeinsam mit Attac durch die Berliner Mitte zog, solle erst einmal den Sozialabbau über ihre Regierungsbeteiligungen in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern im Bundesrat stoppen, forderte das Netzwerk jüngst in einer Presseerklärung. Dann könne weiter mit ihr zusammengearbeitet werden.