Kein Land in Sicht

Ohne Landreform geht bald gar nichts mehr. Das eint die mittelamerikanischen Länder Nicaragua, El Salvador, Honduras und Guatemala. von knut henkel

Die einzige echte Entwicklungsoption Nicaraguas ist die Landwirtschaft«, sagt Bayardo Izabá Solís vom nicaraguanischen Menschenrechtszentrum (Cenidh). »Nur dort lassen sich im großen Stil Arbeitsplätze schaffen. Doch ohne die Landfrage neu zu thematisieren, kommen wir nicht weiter.« Nach wie vor ist die Landwirtschaft in Mittelamerika einer der wichtigsten Arbeitgeber, doch die Ackerfläche ist extrem ungleich verteilt. Nicht nur in Nicaragua, sondern auch in El Salvador, Honduras und Guatemala.

Zwei Drittel der ertragreichen Ackerflächen Guatemalas befinden sich in den Händen von wohlhabenden Familienclans, die maximal 1,5 Prozent der Bevölkerung ausmachen, so eine Studie des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen (UNDP). Zumeist sind es große, auf Monokulturen ausgerichtete Farmen, die nicht sonderlich flexibel auf Krisen reagieren. So wurde Guatemala genauso wie Nicaragua von der Kaffeekrise erwischt. Die internationalen Kaffee-, aber auch die Zuckerpreise decken teilweise nicht einmal mehr die Produktionskosten. Während 1997 die Einnahme pro amerikanisches Pfund (453 Gramm) der bitteren Bohnen noch über einem US-Dollar lag, war es zwischenzeitlich gerade etwas mehr als ein Drittel.

Wenig besser sieht es beim Zucker aus, dem zweiten traditionellen Exportprodukt des Landes. Die Einnahmeausfälle haben die Verelendung auf dem Land vorangetrieben, urteilt Daniel Pascual vom Dachverband der guatemaltekischen Bauernorganisationen (CNOC), der für strukturelle Reformen in der Landwirtschaft eintritt. Kleinere Güter seien rentabler, wesentlich flexibler und könnten schneller auf alternative Produkte umstellen. An Zitrusfrüchte, Schnittblumen und andere für den Export bestimmte Produkte wird dabei gedacht. Ökokaffee und hochwertiger Spitzenkaffee sind andere Optionen, die neue Arbeitsplätze schaffen könnten. Die sind dringend nötig, denn dem Dachverband der Kaffeepflanzer Guatemalas zufolge gingen allein in diesem Sektor 150 000 Arbeitsplätze verloren.

In Nicaraguas Norden, wo das Gros der Kaffeeproduktion eingefahren wird, waren es 96 000 Arbeitsplätze, die seit dem Beginn der Krise Ende der neunziger Jahre wegfielen. Hunger, Landflucht und Emigration sind die Folgen, und wie viele Menschen in der Region aufgrund der Kaffeekrise und der gleichzeitig auftretenden Dürre starben, ist nicht bekannt.

Nahrungsmittelprogramme haben die Regierungen der betroffenen Ländern vor allem Guatemala, Nicaragua, aber auch Honduras, erst nach langem Zögern aufgelegt. Doch die ohnehin spärliche Lebensmittelhilfe ändert nichts an den grundlegenden Problemen – den mangelnden Alternativen im ländlichen Raum. »Keine ländliche Entwicklung ohne eine Landreform.« Auf diesen schlichten Nenner bringt Daniel Pascual das Problem.

Die Landfrage, lange Jahre tabuisiert, wird wieder in der Presse des Landes thematisiert, und als am 12. Oktober 2001 der erste Marsch für die Agrarreform in Guatemala stattfand, landete das Thema auf den Titelseiten von Prensa Libre und Sieglo 21, den beiden wichtigsten Tageszeitungen des Landes. Dies ist ein erster Erfolg, aber nicht mehr, denn der politische Wille fehlt, das Problem anzugehen. Der Staat hat Pascual zufolge viel zur Landkonzentration beigetragen, und ein unstrittiges Landkataster gebe es bis heute nicht. Korruption und die wenig zuverlässige Justiz sind dafür mitverantwortlich, ergänzt Ursula Roldán, Generalkoordinatorin der guatemaltekischen Landpastorale.

Die schwache Justiz ist ein generelles Problem der Region, so auch in El Salvador, urteilt Abraham Abrego, Jurist am Rechtsinstitut Fespad in Sal Salvador. Keinerlei Sensibilität für das Gros der Bevölkerung bescheinigt er der Justiz seines Landes.

Dadurch wird nicht nur der Korruption Vorschub geleistet. In Guatemala sind selbst Gelder, die an Nichtregierungsorganisationen (NGO) fließen, vor dem Zugriff der Regierung nicht sicher. Ein Gesetz verlangt, dass 25 Prozent der Spenden abgeliefert werden müssen, klagen die NGO-Vertreter.

Direkt in die Tasche der NGO greift die Regierung in Nicaragua nicht, aber die Veruntreuung von internationalen Spendengeldern nach dem Hurrikan Mitch vor fünf Jahren hat international Schlagzeilen gemacht. »Ein erheblicher Teil der Spenden ist versickert«, erklärt Xavier Pérez vom Cenidh. »Zudem wurde zu wenig in den Wiederaufbau des produktiven Sektors investiert, so dass viele Arbeitsplätze verloren gingen«, kritisiert er. Die sozialen Folgen sind nicht zu übersehen: 82,3 Prozent der Einwohner Nicaraguas gelten dem UN-Entwicklungsprogramm zufolge als arm. Auf 49 Prozent beläuft sich die Arbeitslosenquote in dem mittelamerikanischen Land, ergänzt Pérez. Etwa eine halbe Million Einwohner sind emigriert, und schätzungsweise 300 000 Kinder arbeiten in Nicaragua, schildert er die soziale Katastrophe, die eine verarmte Gesellschaft ohne Perspektiven zurückgelassen habe. Demgegenüber steht eine gut bezahlte Elite im Regierungsapparat. 18 000 US-Dollar verdient der Präsident Enrique Bolaños monatlich, und diese Supergehälter der Regierung sind auch Thema in der öffentlichen Diskussion des Landes, so Pérez. International hat sich Bolaños mit seinem Vorgehen gegen den überaus korrupten Ex-Präsidenten Arnoldo Alemán hingegen einen guten Ruf erworben. Echte Reformen hat er nicht auf den Weg gebracht.

Einzig die Entschuldung des Landes über die HPIC-Initiative rechnet Pérez dem Präsidenten positiv an. Im Rahmen der Entschuldungsmaßnahme soll Nicaragua seine Auslandsverbindlichkeiten von 6,4 auf 1,3 Milliarden US-Dollar reduzieren, falls alles wie gewünscht läuft. Die Frage der Landrechte ließ Bolaños unangetastet, und auch über zwanzig Jahre nach dem Bürgerkrieg ist sie ungelöst. »Als ressourcenarmes Land hat Nicaragua jedoch wenig Ansatzpunkte, Arbeitsplätze außerhalb des landwirtschaftlichen Sektors zu schaffen«, sagt der Direktor der NGO. Der Ausbau der Textilindustrie, in den so genannten Maquilas, den Billiglohnmanufakturen, bietet für Pérez und seinen Kollegen Izabá wenig Perspektiven, da die Unternehmen schnell wieder verschwinden, wenn sie anderswo billiger produzieren können. Tourismus ist ein andere Option, die aber nicht die nötige Zahl an Arbeitsplätzen bringt. Bleibt der Agrarsektor. Doch der lässt sich nur im Interesse der Kleinbauern und Landlosen reformieren, wenn das Tabu der Agrarreform aufgebrochen wird.