Bits, Bytes and Rice

Wie sieht es aus in dem Land, aus dem die Computer-Inder kommen? Über die IT-Industrie des siebtgrößten Landes der Welt. von elke wittich

Weiße Industrie« wird die heimische Computerbranche in Indien genannt. Indische Medien verweisen immer wieder stolz darauf, dass eben diese weiße Industrie weltweit als Synonym für Entwicklungschancen durch die Nutzung neuer Technologien gebraucht werde.

Bereits im Jahr 1999 beschäftigte die Branche 280 000 sehr gut ausgebildete Spezialisten, damals wurden vier Milliarden Euro umgesetzt. 2008 soll das Exportvolumen 50 Milliarden Euro erreichen. Entsprechend bemüht ist die indische Regierung, den Industriezweig zu fördern. »Think big, think fast and think ahead« sei das Motto, betonen Offizielle immer wieder und erklären gleichzeitig, dass man sich von ähnlich ambitionierten asiatischen Nachbarn wie China auf keinen Fall einholen lassen wolle.

Dabei wird leicht übersehen, dass der Erfolg der indischen Computer- und Softwareindustrie vor allem daher rührt, dass sie weitgehend autark operiert und kaum Probleme mit der schlechten Infrastruktur des Landes hat, die anderen Branchen wie zum Beispiel der Textilindustrie das Konkurrieren auf den Weltmärkten so schwer macht. Regelmäßige Stomausfälle lassen eine kostensparende Just-in-Time-Produktion nicht zu, und chronisch verstopfte Straßen verhindern pünktliche Lieferungen.

Der Technologieboom beschränkt sich jedoch ausschließlich auf die großen Städte. Nach internationalen Erhebungen haben lediglich vier Prozent aller Inder einen eigenen Festnetzanschluss und Sozialwissenschaftler gehen davon aus, dass zum Ende des Jahres 2003 ungefähr 54 Millionen Inder über ein Mobiltelefon verfügen werden, das wäre jeder Zwanzigste. Eine genauere Zahl derjenigen, die einen eigenen Computer und Zugang zum Internet haben, ist noch nie erhoben worden.

Trotzdem sollen möglichst viele Menschen von den neuen Technologien profitieren. Indische Behörden etwa bieten Internet-Usern Serviceleistungen vom Formulare-Download bis zur Online-Hilfe bei Existenzgründungen.

Und diejenigen, die bisher keine Chance hatten, ins WorldWideWeb vorzudringen, können sich schon seit einigen Jahren weiterbilden. Die Universität Kalkutta bietet in Zusammenarbeit mit der örtlichen Selbsthilfegruppe Silence zum Beispiel Computerkurse für Schwerstbehinderte an; die Absolventen erhalten ein Zertifikat, das sie als EDV-Spezialisten ausweist.

Nicht nur auf eine Region beschränkt sind dagegen die Aktivitäten des NIC, des National Information Center. »From digital divide to digital opportunities« lautet das Motto des Projekts, das vom indischen Premierminister und vom Ministerium für Kommunikation und Informationstechnologie betrieben wird und das sich auf die Weiterbildung der Bevölkerung in den dörflichen Gebieten spezialisiert hat. Das NIC versteht sich nicht nur als regierungsamtliche Informationsstelle, es ist auch übergeordneter Träger der so genannten CIC, die beinahe wöchentlich in den Kreisstädten des Landes Büros eröffnen. Die ersten dieser »Community Information Centres« wurden im Februar 2001 in verschiedenen Distrikten des Bundesstaates Assam gegründet.

Hauptziel war es zunächst, in Zusammenarbeit mit der Indira-Ghandi-Universität Schulabsolventen aus den umliegenden Dörfern im Rahmen des »Computer Literacy Programme« den Umgang mit Computern und dem Internet beizubringen. Nach Hause zurückgekehrt, sollen die Absolventen dann mit Unterstützung der CIC Lösungen für die Probleme der Menschen vor Ort finden und zum Beispiel Websites aufbauen oder andere im Umgang mit Rechnern schulen. »Damals ahnte noch niemand, welches kreative Potenzial die Center haben würden«, erklärt Tasruddin Ahmed, einer der Initiatoren, rückblickend. »Mittlerweile gibt es so viele Erfolgsgeschichten, dass es kaum mehr möglich ist, sie alle aufzuzählen.«

In Dhakuakhana etwa bauten die CIC-Absolventen eine eigene Website auf. Die Bauern des Ortes hatten sich schon früh auf die Produktion von Bioreis spezialisiert, aber große Schwierigkeiten gehabt, ihre Waren gewinnbringend abzusetzen. Nun bieten sie den Dhakuakhana-Reis im Internet an, und seither werden ihre Waren nicht mehr nur in die nähere Umgebung verkauft, sondern landesweit. Sogar aus dem westlichen Ausland hätten sich schon Interessenten für den Bioreis gemeldet, berichten die Betreiber der Internetseite stolz.

Die globale Vernetzung sorge zudem dafür, dass immer weniger Kleinbauern auf betrügerische Abnehmer hereinfielen. »Wer sich über die tatsächlich in der nächsten Kleinstadt oder eben auch auf dem Weltmarkt für landwirtschaftliche Produkte gezahlten Preise informieren kann, weiß, wie viel die Produkte tatsächlich Wert sind. Und wird automatisch nicht mehr jedes Angebot akzeptieren«, freuen sich die CIC-Mitarbeiter über das gestiegene Selbstbewusstsein der Bauern. Der digitale Preisvergleich sei jedoch nicht das einzige Ziel der CIC: »Unsere Mission ist die Erstellung integrierter E-Plattformen, die der Bevölkerung in den ländlichen Gebieten Zugang zu allen benötigten Informationen erlaubt – zusätzlich werden die Serviceleistungen der Behörden praktisch nach Hause gebracht, lange Wartereien und umständliche, teure Fahrten in die Stadt entfallen.«

Die Websites der lokalen CIC, die sich ganz ausdrücklich als »Teil der IT-Revolution« sehen, legen schließlich vor allem Wert auf extreme Nutzerfreundlichkeit. Steuerformulare und Anträge auf Familienbeihilfe zum Downloaden, Artikel aus den jeweiligen Lokalzeitungen, Informationen zu den örtlichen Märkten, Informationen aus dem Gesundheitswesen oder Listen öffentlicher und privater Schulen finden sich dort ebenso wie digitale Telefonbücher und Links zu den wichtigsten Zeitungen und Zeitschriften. Zusätzlich werden auf den meisten der zu den mittlerweile 457 CICs gehörenden Websites freie Arbeitsplätze und Stellengesuche veröffentlicht.

Wie viele Inder von dieser staatlichen Sozial- und Arbeitsmarktpolitik real profitieren könnten, ist mit solchen Zahlen freilich nicht auszudrücken.

Das nächste große Ziel der CIC ist jedenfalls das so genannte Edutainment. Eigene Fernsehkanäle sollen unterhaltsame Bildungsprogramme ausstrahlen und die Zuschauer in speziellen Telekollegs auf höhere Schulabschlüsse vorbereiten oder ihnen per Fernlehrgang eine Berufsausbildung ermöglichen.

Und dann sind, so hoffen die NIC-Betreiber, die Krankenhäuser und Schulen dran. Sie sollen miteinander vernetzt werden – was dem Großteil der Nutzer jedoch vermutlich herzlich egal sein dürfte. Schließlich belegen die Clickrates, dass die meisten Surfer auf den CIC-Websites von völlig egoistischen Motiven geleitet werden. Heiratsanzeigen sind unter den Usern beiderlei Geschlechts der absolute Hit.