Offen für Geschäfte

Für die Privatisierung der irakischen Wirtschaft haben die Besatzungbehörden günstige Bedingungen geschaffen. Doch in den Betrieben wird der gewerkschaftliche Widerstand organisiert. von jörn schulz

Neue Herausforderungen führen manchmal zu überraschenden Erkenntnissen. »Die Zukunft des irakischen Volkes sollte nicht durch die enorme Bürde der Schulden belastet werden, die zur Bereicherung des Regimes Saddam Husseins aufgenommen wurden«, meint US-Präsident George W. Bush. Am Freitag der vergangenen Woche ernannte er den ehemaligen Finanz- und Außenminister James A. Baker zum Sonderbeauftragten für die Reduzierung dieser Last.

Nach einem regime change die Schulden eines Landes zu reduzieren oder gar zu streichen, hat in den vergangenen Jahrzehnten jede US-Regierung abgelehnt. Allein die irakischen Kreditschulden aber betragen etwa 120 Milliarden Dollar. Hinzu kommen Verbindlichkeiten aus nicht bezahlten Verträgen und Reparationsleistungen für durch den zweiten Golfkrieg entstandene Verluste in Höhe von mindestens 80 Milliarden Dollar.

Die Kehrtwende der US-Regierung bringt die Regierungen der EU, die sich in der Schuldenfrage gerne als im Vergleich zu den hartherzigen US-Kapitalisten generöse Partner der »Dritten Welt« präsentieren, in eine unbequeme Position. Die Bundesregierung, die nach dem Ende des Krieges noch darauf bestand, dass jede gelieferte Giftgasfabrik auch bezahlt wird, signalisiert nun Kompromissbereitschaft. »Ich will auch einen teilweisen Erlass von Schulden nicht ausschließen«, erklärte Bundeskanzler Gerhard Schröder.

Eine harte Haltung würde die bei den ehemaligen irakischen Oppositionellen ohnehin nicht beliebten deutschen Firmen ganz vom Wiederaufbaugeschäft ausschließen, und die neue Linie wurde wohl nicht zufällig verkündet, kurz nachdem am Freitag der vergangenen Woche 16 staatliche Exportbanken, die Besatzungsbehörde Coalition Provisional Authority (CPA) und die Trade Bank of Iraq in Rom ein Abkommen zur Bereitstellung von Krediten in Höhe von 2,4 Milliarden Dollar für Lieferungen in den Irak unterzeichnet hatten.

Bereits Ende Mai erklärte der US-Verwalter Paul Bremer, der Irak sei nun »offen für Geschäfte«. Die von ihm geleitetete CPA hat seitdem eine rege Gesetzgebungstätigkeit entfaltet, die jedoch keineswegs in allen Punkten den Idealen des »freien Marktes« entspricht. So gestattet das im September erlassene Dekret 39 ausländische Investitionen, nimmt aber die Nutzung natürlicher Ressourcen, aber auch die Banken- und Versicherungsbranche aus. Die Kontrolle des Finanzsektors garantiert der CPA Einfluss auf die Wirtschaft, und sehr schnell hat die US-Regierung erkannt, dass sie sich mit der ursprünglich geplanten Privatisierung der Ölwirtschaft dringend benötigte Gewinne entzogen hätte. »Sie werden für die Regierungsfinanzen sorgen«, erklärte US-Finanzminister John Snow. Damit wird die US-Regierung auch zu einem inoffiziellen Mitglied der Opec und kann Fördermenge und Preis beeinflussen.

Die staatliche Kontrolle der Ölwirtschaft ermöglicht auch die Privilegierung von staatsnahen US-Konzernen wie Halliburton und Bechtel. Sie operieren mit cost-plus contracts, ihnen wird ein prozentualer Profit staatlich garantiert und die Regierung zahlt entsprechend den von den Firmen berechneten Kosten.

Auf solche staatlichen Garantien müssen andere ausländische Firmen verzichten, ihnen wird jedoch in Dekret 37 eine extrem niedrige Besteuerung von höchstens 15 Prozent zugestanden. Die CPA hofft, mit günstigen Konditionen trotz des noch etwas rauen Investitionsklimas die Privatisierung der etwa 200 staatlichen Holdings schnell abwickeln zu können. Diese Betriebe, die etwa 700 000 Menschen beschäftigen, müssten Schätzungen zufolge mindestens die Hälfte ihres Personals entlassen, um profitabel arbeiten zu können. Die shock and awe-Politik bei der Privatisierung wird im Irak heftig kritisiert, nicht zuletzt von den Beschäftigten in den potenziell betroffenen Unternehmen.

»Der Sturz des Saddam-Regimes hat zu einer Explosion der Organisierungsaktivität geführt«, resümiert der US-Gewerkschafter David Bacon, der zahlreiche irakische Betriebe besuchte. Im Juni versammelten sich 400 Gewerkschafter in Bagdad, heute existieren in vielen Betrieben Gewerkschaftsgruppen.

»In dieser Firma waren wir daran gewöhnt, militärische Befehle zu erhalten, am Freitag oder an Feiertagen ohne Bezahlung zu arbeiten«, erklärte der Gewerkschafter Riyaad Hassan gegenüber Shoayiah al-Omalia, der Zeitung der Arbeiterkommunistischen Partei des Irak. Ende Oktober aber wählten die Beschäftigten der General Company for Cotton Industries Delegierte. »Unser wichtigstes Ziel war es, eine Vereinigung oder Gewerkschaft zur Verteidigung der Arbeiterrechte und zur Demokratisierung der irakischen Gesellschaft zu gründen.«

Doch starke Gewerkschaften sind in den Demokratisierungskonzepten der US-Regierung nicht vorgesehen, die CPA zeigt bei der Arbeitsgesetzgebung bislang wenig Reformfreude. 1987 ließ das Regime Saddam Husseins per Dekret alle Angestellten des öffentlichen Sektors zwangsweise verbeamten und entzog ihnen das Recht auf Bildung von Gewerkschaften. Auf die Frage David Bacons, ob dieses Gesetz widerrufen werden soll, mochte Vizearbeitsminister Nuri Jafer nicht antworten.

Den Recherchen David Bacons zufolge überschreiten die heutigen Löhne nicht die in den letzten Jahren des ba’athistischen Regimes gezahlten Beträge, ein Arbeiter erhält umgerechnet knapp 50 Euro. Die Arbeitslosigkeit wird auf mindestens 20 Prozent, in manchen Gebieten auf 70 Prozent geschätzt, und die meisten Lohnabhängigen sind die einzigen in ihrer Familie, die überhaupt ein Einkommen haben. Nuri Jafer wünscht die Einführung einer Arbeitslosenhilfe, muss aber bekennen: »Bis jetzt hat sich leider noch kein Land bereit erklärt, uns bei der Finanzierung zu helfen.« Die Arbeitslosengewerkschaft UUI fordert monatliche Zahlungen von 100 Dollar.

Die gewerkschaftliche Organisierung wird von den Besatzungsbehörden geduldet, doch selbst dort, wo das Management zum Abschluss eines Tarifvertrages bereit wäre, ist eine Einigung unmöglich, solange die ba’athistische Gesetzgebung gültig bleibt. Nicht zuletzt deshalb kommt es immer wieder zu Warnstreiks und Protestdemonstrationen.

Die Beschäftigten der General Company for Cotton Industries in Bagdad setzten einem Bericht von Shoayiah al-Omalia zufolge in einem dreitägigen Streik Anfang November sogar eine begrenzte Arbeiterkontrolle durch. Nachdem die Betriebsführung während der Verhandlungen Gewerkschaftsdelegierte und Angestellte bedroht hatte, blockierten die Beschäftigten kurzerhand die Fabrik und warfen die unbeliebtesten Manager hinaus. Ein Komitee von Gewerkschaftsdelegierten soll nun durch die Kontrolle des Verkaufs sicherstellen, dass die vereinbarten Prämien tatsächlich ausgezahlt werden.

Auch wenn in der »internationalen Gemeinschaft« schon eifrig über die Verteilung der Gewinne des Irakgeschäfts gestritten wird, ist also keineswegs sicher, dass die Privatisierung reibungslos ablaufen wird. In dieser Woche wollen Vertreter der irakischen Gewerkschaften ihren Entwurf für ein neues Arbeitsgesetz vorlegen.

Weitere Auseinandersetzungen mit der CPA dürften folgen. Nicht nur wegen deren gewerkschaftsfeindlicher Haltung fordern Vertreter der sozialen Bewegung im Irak die schnelle Übergabe der Macht an eine gewählte Regierung. Zugleich aber kämpfen sie gegen den rechtsextremen Terror, der die Diktatur wieder herstellen will. Nicht der von einem großen Teil der westlichen Linken bejubelte »Widerstand« ba’athistischer und islamistischer Gruppen, sondern die beginnenden sozialen Kämpfe stellen die kapitalistischen Pläne für die Zukunft des Irak in Frage.