Die norwegische Formel

Ein kleiner dicker Klempner wird Welt-Superstar. von elke wittich

Wahrscheinlich war der norwegische Staatsminister Kjell Magne Bondevik voll guter Absichten, als er das Glückwunschtelegramm an den Gewinner des World Idol Contest verfasste. Er gratuliere Kurt Nielsen herzlich, schrieb der Politiker, fügte dann jedoch hinzu, dass dieser Sieg gezeigt habe, »dass sich der Durchschnittsbürger nicht von Äußerlichkeiten beeinflussen lässt«.

Von den zahlreichen norwegischen Kurt-Fans – die Single »She’s so high« des pumucklesken Sängers verkaufte sich in Norwegen immerhin besser als jede Single zuvor – wurde dieser Zusatz gar nicht gut aufgenommen. Bondevik, der gerade erst in seiner viel beachteten Neujahrsrede staatliche Maßnahmen gegen Mobbing am Arbeitsplatz angekündigt hatte, habe Kurt indirekt als hässlich bezeichnet und ihn damit gemobbt, erklärten empörte Weblogger.

Bis User Anton schrieb: »Machen wir uns nichts vor, Kurt ist hässlich. Und da er es trotzdem geschafft hat, den geschmacklosesten Wettbewerb der Welt zu gewinnen, gegen die inkompetentesten Juroren der Welt – muss er also zumindestens Talent haben!«

Die Richter beim World Idol Contest, der von dem deutschen Moderatorenpaar Hunziker/Spengemann immer wieder beharrlich als »Deutschland sucht den Superstar weltweit« bezeichnet worden war, hatten den rothaarigen Klempner Kurt nach seinem Vortrag extrem gedisst. Er sänge wie ein Engel, erklärte der US-Juror Simon Cowell, »aber leider siehst du aus wie ein Hobbit. Wir machen hier jedoch nicht ›Mittelerde sucht den Superstar‹, und daher hast du keine Chance!«

Vielleicht war dies der Moment, in dem Millionen Teenies entschlossen zum Telefonhörer griffen. Die meisten Heranwachsenden wissen schließlich nur allzu gut, wie es ist, in den Spiegel zu schauen und darin eben nicht Shakira zu entdecken oder Justin Timberlake oder auch nur etwas, das eine gewisse Ähnlichkeit mit Britney Spears oder Oli P. hat. Nein, da ist immer nur dieser seltsame Körper mit den viel zu großen Füßen, knubbeligen Knien, ziemlich pickeliger Haut und extremem Rundrücken zu sehen, mit dem man zweifellos bis zum hoffentlich baldigen Ende zu leben gezwungen ist. Kurt wurde also gewählt, weil er so aussieht wie er aussieht und nicht obwohl.

Außer von den Idol-Fans der arabischen Länder, wo Teenager vielleicht per Gesetz von Spiegeln ferngehalten werden oder nicht telefonieren dürfen, wer weiß das schon. Die Araber voteten jedenfalls geschlossen für den deutschen Superstar Alexander. Über den waren alle Juroren derart hergezogen (»Es heißt immer, die Deutschen hätten keinen Humor, aber deine Präsentation beweist das Gegenteil. Sie war ein einziger großer Witz!«), dass RTL nur die nettesten Statements ausstrahlte, was die arabischen Wähler jedoch nicht zu stören schien. Sie verteilten ihre Punkte streng nach der Teilnehmerliste des Irakkriegs. Australien? War dabei, ein Punkt. Großbritannien? Zwei Punkte. Norwegen? Auch ganz, ganz böse, vier Punkte. Deutschland dagegen sehr, sehr nett, was macht’s da, wenn der Sänger nicht singen kann?

Aber das kennt man ja schließlich vom Grand Prix, und entsprechend war auch im Forum von »Deutschland sucht den Superstar« zu politisch-taktischem Abstimmungsverhalten aufgerufen worden (»Bush ärgern, für Diana aus Arabien voten!«).

Alex und Diana landeten schließlich auf einem geteilten vorletzten Platz, wobei sich die hard-supporter des Ruhrpott-Schnösels mit den zwölf arabischen Punkten trösteten. Mache er halt da Karriere, immerhin handele es sich ja um reiche Länder, die ganz sicher viel Geld für Alex-CDs ausgeben würden, hieß es dort. Bis User »Seven« die Punkteverteilung noch einmal nachdrücklich erklärte: »Einige arabische Länder suchen schon seit Jahren nach der ultimativen Waffe. Wahrscheinlich war das der Grund, denn Lächerlichkeit tötet. Es lag also durchaus nahe, dem Westen einen Alex noch länger zu erhalten.«

Solche Beiträge freuen die Fans eines »DsdS«-Teilnehmers, dem gerade ein Schicksal wie das Zlatkos droht. Daniel Küblböck, noch im Sommer notorisch gehypt, schaffte es bei seiner Herbst-Tour nicht mehr, Hallen wie das Berliner Columbia wenigstens zur Hälfte zu füllen. Maximal 500 Zuschauer wollten die Nervensäge pro Gig singen hören, ein in Dortmund geplantes Konzert musste aufgrund mangelnden Interesses gleich ganz abgesagt werden. In den Küblböck-Foren machte sich entsprechend eine gewisse Tristesse breit. Wobei die User ganz und gar nicht dem Bild entsprechen, das man so gemeinhin von ihnen hat. Sie sind nämlich nicht im besten Zahnspangenalter, sondern meist Mitte 30 oder älter – und verheiratet. »Mein Mann findet es total doof, dass ich so für Daniel schwärme, und er kann es nicht verstehen, dass ich 600 Kilometer weit für ein Konzert fahre.« Solche und ähnliche Klagen sind in den Küblböck-Foren an der Tagesordnung. Und bittere Beschwerden über den eigenen Nachwuchs: »Noch vor einigen Monaten war meine 13jährige Tochter auch ein Faniel (so bezeichnen sich die Daniel-Fans selbst), jetzt findet sie ihn doof.«

Entsprechend begeistert wurde die Niederlage von Alex aufgenommen. Kurt dagegen wird eher als Konkurrenz für den eigenen Star angesehen.

Wobei noch gar nicht mal klar ist, ob er überhaupt in Deutschland Erfolg haben wird. Die Bravo erklärte schließlich bereits, den Sieg des norwegischen Idols lediglich kurz zu melden, denn der Sänger sei wahrscheinlich »nicht Bravo-tauglich«. Nur dann, wenn die Leser dies wirklich verlangten, werde es Poster, Hintergrundberichte und vielleicht auch den obligatorischen Starschnitt geben.

Die Jugendzeitschrift muss aber in den nächsten Tagen mit ziemlich viel Post rechnen, das steht jetzt schon fest. Denn die deutschen Teenies haben wieder einmal beim Blick in den Spiegel festgestellt, dass sich da immer noch nichts Entscheidendes getan hat, ihren Küblböck-verehrenden Müttern einen verächtlichen Satz zugeworfen und das zu Weihnachten von der Oma geschenkte Briefpapier herausgekramt.

Darauf haben sie der Bravo ein paar Wahrheiten geschrieben, wie sie derzeit schon häufig in den einschlägigen Internet-Foren formuliert werden: »Anstatt mal ein bisschen geschmacksbildend zu wirken, hat man Angst, mit einem Kurt-Poster die Leser evtl. zu vergraulen.« »Schon traurig«, steht da, und »Schaltet einmal euer Gehirn ein, wonach ihr Leute beurteilt. Oder möchtet ihr später auch nur nach eurem Äußeren betrachtet werden, wenn ihr einen Job sucht?« Oder: »Lieber ein Hobbit, der singen kann, als ein Schluchzling, der nur ein paar schiefe Töne ins Mikro haucht!«