Satan im Gottesstaat

Erdbeben im Iran von jörn schulz

Die Bilder von der Verteilung von Decken, Zelten und Nahrungsmitteln aus Lastwagen suggerierten schnelle und unbürokratische Hilfe. Doch auch nach einer Katastrophe wie dem Erdbeben in Bam bleiben die gesellschaftlichen Hierarchien intakt. »Ich bin eine Frau. Ich kann nicht zu einem Lastwagen rennen und mit den Männern um Decken kämpfen«, sagt Mahdiyeh Tabatabayee. Wie viele andere Frauen, deren männliche Verwandte das Beben nicht überlebt hatten, ging sie bei der Verteilung von Hilfsgütern in den ersten Tagen nach der Katastrophe leer aus.

Nach Angaben des Student Movement Coordination Committee for Democracy in Iran kam es in Bam und anderen iranischen Städten zu Protesten gegen die unzureichende Hilfe. Nicht nur Oppositionsgruppen attestieren dem islamistischen Regime Unfähigkeit und korrupte Praktiken bei der Bewältigung der Katastrophe. NGO-Mitarbeiter berichteten, dass die Armee mehr mit der »Sicherung« der Stadt als mit Rettungsarbeiten beschäftigt war und die Entsendung von medizinischen Teams nur schleppend vorankam.

Vor der Katastrophe hatten die Ayatollahs auf sämtliche Vorsichtsmaßnahmen verzichtet. Bam wurde im vergangenen Jahrhundert von drei Erdbeben erschüttert, und Anfang der siebziger Jahre verbot die Regierung die Errichtung neuer Häuser. Von der Aufhebung dieses Verbots nach der islamistischen Machtübernahme, die ein reges Immobiliengeschäft ermöglichte, sollen auch einige Geistliche profitiert haben.

Am 26. Dezember stürzten dann 90 Prozent der Gebäude zusammen, mindestens 30 000 Menschen starben. Ein Beben der gleichen Stärke hatte vier Tage zuvor in Kalifornien zwei Todesopfer gefordert. Selbst Hamid Eskendar, Leiter eines Untersuchungsteams der Revolutionsgarden, kam nicht umhin, »einige Verstöße« gegen die Bauvorschriften festzustellen.

Korruption und Inkompetenz sind keine islamistischen Spezialitäten. Auch nach dem Erdbeben in der Türkei 1999 stellte sich heraus, dass sich die Armee mehr mit der Sicherung ihrer Kasernen als der Bergung von Verschütteten beschäftigt hatte und Tausende unter Gebäuden begraben wurden, weil man die Sicherheitsbestimmungen missachtet hatte. Das iranische Regime aber ist ohnehin mit dem lauter werdenden Ruf nach einem Rückzug der Mullahs in die Moscheen konfrontiert und muss eine weitere Entlegitimierung fürchten.

Vor allem deshalb nahm man Hilfe sogar vom »großen Satan«, den USA, an. Eine Zurückweisung hätte jene wachsende Zahl der Iraner, die den Hauptfeind im eigenen Land stehen sehen, noch mehr aufgebracht. Seit vor den US-Feldhospitälern im Iran das Sternenbanner wehen darf, wird über eine mögliche amerikanisch-iranische Annäherung spekuliert. Doch nach den ersten humanitären Gesten stellte die Regierung der USA Bedingungen für eine Verbesserung der Beziehungen, von iranischer Seite wurde der Empfang einer hochrangigen US-Delegation abgelehnt. Ob die Konfrontation beendet werden soll, ist auf beiden Seiten noch umstritten.

Von Juden mochte das Regime seine Bürger auch diesmal nicht retten lassen, die angebotene israelische Hilfe wurde abgelehnt. Eine Abkehr von den ideologischen Grundlagen des Islamismus lehnen alle Fraktionen des Regimes ab. Auch von einer stärker an den Interessen der Bevölkerung orientierten Zuteilung der Ressourcen, die etwa dem Bau von erdbebensicheren Gebäuden den Vorzug vor dem Streben nach Atombomben geben würde, wollen die Mullahs nichts wissen. Und die meisten iranischen Nuklearanlagen liegen, wie das Kernkraftwerk in Bushehr, das in diesem Jahr den Betrieb aufnehmen soll, in Erdbebengebieten.