Böser Wille

Antisemitismus und EU-Kommission

Drastischer hätte der Vorwurf von Edgar Bronfman, Präsident des World Jewish Congress (WJC), und Cobi Benatoff vom European Jewish Congress (EJC) kaum ausfallen können. »Antisemitismus kann sich auf zwei Arten ausdrücken: durch aktives und passives Handeln. Bemerkenswerterweise hat sich die Europäische Kommission beider Arten schuldig gemacht«, schrieben sie Anfang Januar in der Financial Times Deutschland. Der Beitrag sorgte für beleidigte Reaktionen der EU-Kommission.

Besonders kritisierten die beiden Autoren eine Umfrage der EU-Kommission, in der 59 Prozent der Befragten Israel als größte Bedrohung des Weltfriedens genannt hatten. Die Umfrage sei »fehlerhaft« und »gefährlich hetzerisch«, hieß es in dem Beitrag, da sie ein antiisraelisches Statement nahe gelegt habe. Denn die Frage, ob auch die palästinensische Seite den Frieden bedrohen könnte, tauchte gar nicht erst auf. Palästina sei schließlich kein Staat, lautete die schlichte Begründung der Kommission. Die Autoren sahen auch im Umgang mit einer EU-Auftragsstudie durch das European Monitoring Centre on Racism and Xenophobia (EUMC) in Wien zumindest eine passive Föderung des Antisemitismus. Die Untersuchung stellte einen starken Anstieg des Antisemitismus in Europa im Zusammenhang mit dem Nahostkonflikt fest, wobei insbesondere Tätergruppen mit islamischem Hintergrund genannt wurden.

Die Studie wurde vom EUMC erst nach einer unauthorisierten Veröffentlichung durch den EJC und andere jüdische Verbände zugänglich gemacht (Jungle World, 51/03). Benatoff und Bronfman kritisierten dieses Verhalten als »Zensur« und bezeichneten beide Vorgänge als »politisch motiviert, eine Demonstration des Versagens von Willen und Anstand«. Damit habe »der Krieg gegen den Antisemitismus eine enorme Niederlage erlitten«, resumierten sie. Gleichzeitig äußerten sie jedoch vorsichtige Hoffnungen auf die Resultate eines gemeinsamen Seminars von EU-Kommission und EJC, das schon seit längerem für Februar geplant ist.

EU-Kommissionspräsident Romano Prodi zeigte sich zunächst »schockiert« über die Anschuldigungen und stellte sogar vorübergehend das Seminar infrage. Der öffentliche Streit ist zwar mittlerweile wieder beigelegt, und auch das gemeinsame Seminar soll wie geplant stattfinden. Dennoch ist der Konflikt symptomatisch für den Umgang der EU mit dem Thema.

So sagte Prodis Pressespecher Reijo Kemppinen vergangene Woche der Financial Times Deutschland, die Kritik der jüdischen Verbände sei »nicht nachvollziehbar« und es sei fraglich, »ob der Antisemitismus in Europa wachse«. Er wischte damit den Umstand vom Tisch, dass jüdische Organisationen bereits seit Jahren ebenso hartnäckig wie vergeblich mehr Aktivitäten der Kommission gegen den Antisemitismus in Europa einklagen.

Dass der Vorwurf der Einseitigkeit alles andere als unbegründet ist, zeigt auch ein anderer Vorfall. Im Juni sprach sich die Kommission dagegen aus, Maßnahmen gegen die palästinensische Hamas zu ergreifen. Schließlich unterstütze der politische Flügel dieser Organisation auch zahlreiche »legitime« soziale Aktivitäten. Daher könne man »nicht sagen«, erklärte Kemppinen damals in der BBC, »dass die ganze Hamas eine terroristische Organisation« sei.

udo wolter