Weltkrieg, rette mich!

Nach fast 80 Jahren ist Ford Madox Fords Epochenroman »Manche tun es nicht« endlich auf Deutsch erhältlich. von maik söhler

Schlechte Übersetzungen englischsprachiger Prosa ins Deutsche gibt es zuhauf und auch an eigenwilligen Übertragungen mangelt es hierzulande nicht. Ärgerlicher aber, als etwa die peinliche Erstübersetzung von James Joyce’ »Ulysses« ins Deutsche durch Georg Goyert (1927) oder auch die seltsamen, im amerikanischen Original nicht vorhandenen Einschübe eines Marcus Ingendaay in William Gaddis’ »Das mechanische Klavier« (2003) sind, ist es, wenn ein bedeutender Roman gar nicht übersetzt wird.

Fast 80 Jahre nach der Erstauflage von Ford Madox Fords »Some Do Not« bei Duckworth in London hat Joachim Utz im Auftrag von Eichborn-Berlin mit »Manche tun es nicht« dieses Ärgernis nun beseitigt. Der neben »The Good Soldier« (dt.: »Die allertraurigste Geschichte«, Eichborn 1999) wichtigste Roman eines der Begründer der modernen britischen Belletristik wurde von Utz adäquat übersetzt und mit einem kenntnisreichen Nachwort zum Leben und Werk Fords versehen.

Der Titel bezieht sich aufs Fremdgehen, auf den Seitensprung, der im frühen 20. Jahrhundert genauso beliebt war wie heute, und von dem schon damals behauptet wurde: »Alle tun es.« Doch die beiden wichtigsten Figuren in Fords Roman wollen dabei nicht mitspielen; für den Landadeligen und leidenschaftlichen Statistiker Christopher Tietjens sowie seine Verehrte (und allenfalls gedankliche Geliebte), die Suffragette Valentine Wannop, gilt bis zum Schluss: »Manche tun es nicht.« Tietjens’ Ehefrau Sylvia betrügt und demütigt ihren Mann derweil ohne Pause, eine Scheidung will sie aber ebenso wenig wie er. »Das Fundament von Christopher Tietjens’ Gefühlsleben war nämlich seine völlige Verschwiegenheit – zumindest was eben seine Gefühle betraf«, so beschreibt Ford seinen Protagonisten, der niemals so recht zum Akteur werden will.

Tietjens geht es um hehre Grundsätze, noch mehr aber ums gesellschaftliche Gerede: »Ich stehe für Monogamie und Keuschheit. Und dafür, dass man nicht darüber spricht. Natürlich nimmt ein Mann, wenn er ein Mann ist, eine Frau, wenn er eine haben will. Und auch hier gilt: Man spricht nicht darüber.« Als Konservativer und Brite meint er zu wissen, was sich gehört, auch wenn es mittlerweile alle Welt anders sieht: »Gehören nicht zu denen, die sich die Hände schütteln … Ein Nicken! … Begegnung und Abschied! … Englisch eben …«

Ford präsentiert uns mit dem Tory Tietjens und seinem Freund Macmaster, einem bedingungslosen Opportunisten, zwei Gestalten, die passagenweise die subjektiven Lücken in den Geschichtsbüchern füllen können, weil sie in Perfektion als Typus ihrer Klasse (und Epoche) angelegt sind: »Ungebührliches Verhalten von Polizisten, mangelnde Höflichkeit von Gepäckträgern auf den Bahnhöfen, unzureichende Straßenbeleuchtungen, Unzulänglichkeiten in öffentlichen Einrichtungen oder fremden Ländern ließen sie sich persönlich angelegen sein, entweder mit der kühlen Stimme eines Oxford-Absolventen oder in Briefen an die Times, in denen sie mit dem Ausdruck bedauernder Indignation Auskunft darüber verlangten, ob es ›mit diesem oder jenem in Britannien schon so weit gekommen‹ sei.«

Dennoch ist Tietjens kein bloßes Abziehbild der Elite jener Jahre; die sich in ihm vereinenden Widersprüche lassen ihn zu einem dynamischen Altruisten und den Roman erst richtig interessant werden. Denn »es heißt, in der Tat, Schwierigkeiten heraufzubeschwören, wenn einer altruistischer ist als die ihn umgebende Gesellschaft«. Valentine Wannop ermöglicht er die Flucht, als seine Golfpartner kurz davor sind, sie zu lynchen, weil sie auf dem Golfplatz für die Einführung des Frauenwahlrechts demonstriert.

Vor seinen wachsenden finanziellen Schwierigkeiten und den sich seinem Schweigen zum Trotz rasant ausbreitenden Gerüchten über seine Verhältnisse flieht Tietjens schließlich an die Front. Der Beginn des Ersten Weltkriegs und der Kampf gegen die Deutschen sind ihm mehr als willkommen. Genauer: Es sind die Preußen und ihre viel beschworenen Tugenden, gegen die er zur Waffe greift: »Wenn man, mit dem Hut vor dem Bauch und aus steifem Kreuz sich verbeugend, brüllend auf seiner Meinung beharrt und dabei den ganzen Tag lang durchblicken lässt, seinen Gesprächspartner erschießen zu wollen«, dann muss man ein Preuße sein, denkt sich Tietjens, der aber ansonsten vom Krieg alles andere als begeistert ist.

Ford hat mit Tietjens auch deswegen eine interessante Figur geschaffen, weil sich in ihr die fast grenzenlose Lächerlichkeit und eine manchmal anrührende Moralität bis zur Unkenntlichkeit mischen; die eigene sexuelle Enthaltsamkeit trifft auf eine liberale Einstellung zur Sexualität anderer, düstere Grübeleien gehen einher mit luziden Analysen, Patriotismus und Standesdünkel vertragen sich mehr oder weniger mit Weltoffenheit und einem Sinn für Gerechtigkeit zwischen den Klassen und Geschlechtern.

Tietjens entspricht also der Figur eines mitfühlenden Konservativen, und wie dieser ist er nicht in der Lage, die selbst geschaffenen Widersprüche aufzulösen oder sich mit ihnen abzufinden. Die Flucht in den Krieg erscheint als Möglichkeit, alles und gleichzeitig nichts zu ändern. Es ist das alte und neue Elend des Konservatismus.

In seinem Nachwort verweist Joachim Utz auf die Ähnlichkeiten zwischen Tietjens und Ford, ohne dabei den Fehler zu machen, die Fiktion und den Schöpfer der Fiktion in eins zu setzen. Ford, dessen Vater ein Deutscher war, der nach England auswanderte und die britische Staatsbürgerschaft annahm, meldete sich im Juli 1915 zur britischen Armee und tauschte erst 1919 seinen deutschen Nachnamen Hueffer gegen Ford ein. Auch er war durch und durch ein Tory, der vom Ideal eines »christlichen Commonwealth« träumte, sich aber auch einen mit dem Christentum versöhnten paternalistischen Sozialismus als Gesellschaftsmodell vorstellen konnte.

Befreundet mit Henry James, Ezra Pound, Ernest Hemingway und Joseph Conrad, mit dem er gemeinsam drei Romane verfasste, gab er die seinerzeit bedeutenden Literaturzeitschriften English Review und Transatlantic Review heraus. Sein impressionistisch geprägtes Gesamtwerk besteht aus zahlreichen Büchern; so ist »Some Do Not« nur der erste, wenn auch in sich geschlossene Teil einer Tetralogie mit dem Titel »Parade’s End«, die den Ersten Weltkrieg als Epocheneinschnitt behandelt.

Wo aber der Dichter Ford wieder und wieder dieses Thema bearbeitete, da hatte der Konservative Ford schon längst aufgegeben. 1922 verließ er wegen allerlei Skandalen und den damit verbundenen Gerüchten sein geliebtes England für immer.

Ford Madox Ford: Manche tun es nicht. Aus dem Englischen von Joachim Utz. Eichborn, Berlin 2003, 340 S., 24,90 Euro