Der kleine Unterschied

In Frankreich geht der Streit über das Kopftuchverbot quer durch alle Parteien und Bewegungen. von bernhard schmid, paris

Ein Hauch von großer Koalition war in den letzten Tagen im französischen Parlament zu bemerken. Denn die beiden wichtigsten staatstragenden Parteien, die konservative UMP und die Sozialdemokratie, hatten sich zuvor in der derzeit wichtigsten innenpolitischen Streitfrage geeinigt.

Es geht um das Gesetz, das den laizistischen Anspruch des französischen Staates neu definieren soll und das in der Praxis vor allem ermöglichen wird, Schülerinnen, die ein Kopftuch tragen, aus dem Unterricht auszuschließen oder der Schule zu verweisen. Die Gesetzesvorlage wurde am Dienstag dieser Woche mit der Mehrheit der konservativen sowie der sozialistischen Abgeordneten angenommen.

Gleichzeitig hatte die Debatte um dieses Thema wie keine andere zuvor jede politische oder ideologische Strömung in Frankreich gespalten. Diese paradox wirkende Feststellung fasst am besten die innenpolitische Diskussion der letzten Monate zusammen.

Auch innerhalb der regierenden bürgerlichen Rechten kam es zu Kontroversen. Deswegen hob der UMP-Fraktionsvorsitzende Jacques Barrot für seine Abgeordneten die Fraktionsdisziplin in dieser Frage auf, so dass auch einige Konservative und Liberale gegen das Gesetz stimmten.

Wirtschaftsliberale wie Alain Madelin beispielsweise sind misstrauisch gegenüber allen etatistischen Vorstellungen, die in ihren Augen das gesellschaftliche Leben zu sehr regulieren. Ihnen schwebt eher eine Regelung wie in den USA vor, wo alle Religionsgruppen sich weitgehend frei betätigen können, sofern sie die staatliche Ordnung nicht bedrohen.

Aber auch bei der parlamentarischen und außerparlamentarischen Linken und bei den sozialen Bewegungen löste die Debatte um Laizismus und Kopftuch heftige Spaltungen aus. Die Furcht vor einer Stigmatisierung der Einwanderungsbevölkerung, feministische und antiklerikale Traditionen, antirassistische Essentials und in manchen Fällen auch eine Art Dritte-Welt-Romantik trafen dabei aufeinander.

Doch überwog bei der KP, bei den Grünen und der trotzkistisch-undogmatischen LCR trotz großer Kontroversen die Ablehnung der Gesetzesvorlage der Regierung. Dagegen befürwortete die traditionalistisch-klassenkämpferische Partei Lutte Ouvrière (Arbeiterkampf) grundsätzlich Verbotsmaßnahmen für Kopftücher an staatlichen Schulen.

Die Partei wollte zwar nicht auf die konservative Regierungspartei vertrauen, doch erklärte sie, in Wirklichkeit habe der Druck »von unten«, seitens der Lehrer, die Regierung zu dem Gesetz getrieben. Tatsächlich hatten bei jüngeren Streitfällen Lehrer, die LO-Mitglieder sind, in den Disziplinarausschüssen für Schulverweise bei Kopftuch tragenden Mädchen gestimmt.

Die Kritiker befürworten nicht in allen Fällen das Kopftuchtragen, viele von ihnen lehnen das Symbol ab oder sprechen sich zumindest gegen jede Form von Zwang aus – möge er von den Familien oder, in einem anderen politischen und gesellschaftlichen Kontext, von islamistischen Regimen und Gesetzen ausgehen.

Zugleich erklären sie, Maßnahmen wie Schulverweise lösten keinerlei Probleme, sondern könnten sie auch vom Standpunkt der Emanzipation aus nur vergrößern. So betonte auch die anarchosyndikalistische CNT: »Die Emanzipation der moslemischen Frauen wird nur das Werk dieser Frauen selbst sein – oder sie wird nicht sein.«

Viele Gesetzesgegner meinen, es sei absurd, Mädchen und Frauen als Opfer geschlechtsspezifischer Unterdrückung im Namen des Islam darzustellen, gleichzeitig aber eine spezifische Ausschlussmaßnahme zu befürworten, die allein Frauen und nicht Männer treffe.

Zudem sorge ein Schulverweis gerade dafür, dass junge Frauen – sofern man sie als Opfer ihrer Familie betrachte – noch viel stärker auf ihre jeweilige Community zurückgeworfen würden, da der Kontakt mit der Gruppe der Gleichaltrigen unterbrochen werde. Den ausgeschlossenen Schülerinnen bleibt die Möglichkeit, kostenpflichtigen Fernunterricht zu belegen oder sich in eine religiöse Privatschule einzuschreiben. Ob das als Sieg der Emanzipation zu betrachten ist, darf bezweifelt werden.

Auch die feministische Bewegung ist in der Frage gespalten. Das Spektrum reicht auf der einen Seite bis zur Zeitschrift ProChoix um Fiametta Venner und Caroline Fourest, die das Gesetz befürworten. Sie gehen von einer gemeinsamen, koordinierten Offensive von »christlichem, jüdischem und islamischem Fundamentalismus« gegen die Rechte der Frauen in der modernen Gesellschaft aus.

Anderen ist diese Erklärung zu einfach. Sie kritisieren, dass die Widersprüche zwischen den einzelnen Kulturen oder Ideologen mit ihrem jeweiligem Hegemonialanspruch unterschätzt würden und werfen dieser Position vor, einen neuen »Hauptwiderspruch« aufmachen zu wollen.

Auf der Gegenseite finden sich Feministinnen, die davon ausgehen, dass es notwendigerweise unterschiedliche Wege zur Emanzipation gebe. So etwa Christine Delphy, eine ehemalige Weggefährtin von Simone de Beauvoir, vom Collectif féministe pour l’égalité, das gegen den Gesetzentwurf kämpfte. Ihr zufolge sei ein »Feminismus im Islam« am Entstehen, so wie es seit langem jüdische und christliche Feministinnen gebe.

Zwischen beiden entgegengesetzten Polen finden sich eine Reihe von Zwischenpositionen. Nicht zuletzt opponieren jene feministischen Gruppen, die vorwiegend migrantische Frauen vertreten, wie etwa die Vereinigung Rebelles Voix d’Elles (Rebellinnen, Weibliche Stimmen) in Saint-Denis, oft scharf gegen den Gesetzentwurf.

Allerdings äußern nicht organisierte junge Frauen und Mädchen aus der maghrebinischen Community umgekehrt mitunter Sympathien für das geplante Verbotsgesetz, da sie es als einen Schutz vor eventuellen Ansprüchen ihrer Väter oder Familien betrachten. Mit dieser »Fernwirkung« eines Verbots nicht auf die unmittelbar von Schulverweisen betroffenen Mädchen, aber auf die anderen Schülerinnen rechtfertigen auch viele – linke und andere – Befürworter ihre Position zu dem Gesetz.

Jüngste Untersuchungen von Einzelfällen scheinen zu belegen, dass die jungen Kopftuchträgerinnen, die unter Druck und Zwang seitens ihrer Familie handeln, wie es bei den ersten »Kopftuch-Affären« 1989 wohl der Fall war, nur noch selten vorkommen.

Vielfach werden umgekehrt heute die Eltern, die eher Anpassung und Konzentration auf ihre schulische oder berufliche Zukunft von ihren Kindern fordern, von einer Form der Radikalisierung der jungen Generation überrannt. Jungen und Mädchen werfen ihren Eltern vor, dass »ihr 40 Jahre lang stumm gegenüber allen Benachteiligungen geblieben seid, weil ihr immer mit der Perspektive der Rückkehr ins Herkunftsland gelebt habt. Wir dagegen wollen offen zeigen, dass wir uns nichts mehr gefallen lassen.«

Das zentrale Problem dabei ist aber, dass sich diese Haltung in den achtziger Jahren noch vorwiegend mittels der Forderung nach »Gleichheit« ausdrückte. Angesichts des vielfachen Scheiterns dieser Perspektive, wegen der sozialen Situation in den Banlieues und der enormen Enttäuschung der Einwandererkinder durch mehrere Linksregierungen, drückt sich die Frustration der nachwachsenden Generation dagegen oft eher im Verlangen nach »Differenz« aus.

Ob das neue Verbotsgesetz daran etwas ändern wird, bezweifeln die Kritiker. Aber auch Bildungsminister Luc Ferry hatte vor dem Gesetzesausschuss des Parlaments, bei der Vorstellung des von ihm mitverfassten Gesetzentwurfs angemerkt, es würden jetzt eben neue Symbole gesucht.