Ende der Eiszeit

Laurent Gbagbo, der Präsident der Côte d’Ivoire, versöhnt sich mit Jacques Chirac, bevor ihm das Geld ausgeht. von alex veit
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Ich danke Frankreich und den französischen Autoritäten für die unschätzbare Unterstützung, die sie meinem Land seit Beginn dieser Krise ohne Unterlass gewährt haben«, erklärte der seinen eigenen Aussagen zufolge »glückliche und zufriedene« Laurent Gbagbo am vergangenen Mittwoch. Der Präsident der Côte d’Ivoire hatte sich gerade von seinem französischen Kollegen Jacques Chirac verabschiedet, mit dem er sich in Paris zu einem »Arbeitsbesuch« getroffen hatte. Eine erstaunliche Entwicklung, denn noch vor kurzem verbrannten Gbagbos Anhänger französische Fahnen, um gegen die Einmischung der ehemaligen Kolonialmacht in den Bürgerkrieg in ihrem Land zu protestieren.

Gbagbos letzter Besuch in Frankreich liegt ziemlich genau ein Jahr zurück. Damals vermittelte die französische Regierung im Pariser Vorort Marcoussis ein Abkommen zwischen Gbagbo und Rebellen, die versucht hatten, ihn zu stürzen. Das »Abkommen von Marcoussis« sah vor, dass eine Übergangsregierung mit den Rebellen eingerichtet werden solle, zentrale Vollmachten des Präsidenten an einen neutralen Premierminister übertragen und die wichtigsten politischen Anliegen der Rebellen erfüllt werden sollten. Gbagbo stimmte zunächst zu, änderte seine Meinung allerdings, als seine meist jugendlichen Anhänger in der Hauptstadt Abidjan wochenlang gegen die »Demütigung« ihres Präsidenten durch die »neokolonialistischen« französischen Vermittler demonstrierten.

Die Übergangsregierung wurde zwar eingesetzt, doch Gbagbo tat nun alles, um weitere Fortschritte bei der Umsetzung des Abkommens zu verhindern. Die französische Regierung, die 4 500 Soldaten zwischen den Frontlinien der regierungstreuen Truppen und den Rebellen der Forces Nouvelles stationiert hatte, betrachtete Gbagbo fortan als Haupthindernis für den Frieden in ihrer ehemaligen Kolonie und fror die Beziehungen zu ihm ein.

Ein Tiefpunkt wurde erreicht, als im Oktober 2003 ein Polizist den französischen Fotografen Jean Hélène vor dem Polizeihauptquartier in Abidjan erschoss. Paris interpretierte den Mord als eine gezielte Provokation, und der lange geplante Besuch Gbagbos in Paris wurde mehrmals verschoben. Erst als ein Gericht den Polizisten vor zwei Wochen zu einer langen Haftstrafe verurteilte, konnte Gbagbo endlich nach Paris reisen.

Dies war dringend nötig, denn ihm geht das Geld aus. Durch die faktische Teilung des Landes in den von den Rebellen kontrollierten Norden und den von Gbagbos Armee gehaltenen Süden entgehen dem Fiskus nicht nur die Einnahmen aus der nördlichen Baumwollproduktion. Die zunehmende Selbstbedienungsmentalität von Gendarmerie und Armee veranlasst auch viele Kakaobauern im Süden dazu, ihre Ernte ins benachbarte Ghana zu schmuggeln, wo höhere Preise erzielt werden können. Côte d’Ivoire ist zwar noch immer der weltgrößte Produzent von Kakao, doch die Ernte ist seit Beginn des Kriegs im September 2002 um ein Fünftel gefallen. Die durch Rekrutierungen nach Kriegsbeginn gewachsene Armee verschlingt viel Geld. Ende Januar kam es zu Schießereien, als Soldaten gegen das Ausbleiben ihres Solds protestierten.

Da aus der Landwirtschaft kurzfristig keine Steuereinnahmen zu erwarten sind, musste Gbagbo sich nun mit Frankreich versöhnen, dessen Politik gegenüber Côte d’Ivoire innerhalb der westlichen Industriestaaten grundlegend ist. Seit Beginn der politischen Krise 1999 erhält das Land vom Internationalen Währungsfonds (IWF) und von der Weltbank kein Geld mehr. Auch bereits geplante Hilfen der Europäischen Union sind bis zur vollständigen Umsetzung des Abkommens von Marcoussis eingefroren. »Wir haben Frankreich natürlich um Unterstützung bei Geldgebern wie dem IWF, der Weltbank und auch der Europäischen Union gebeten«, erklärte Gbagbo nach seinem Treffen mit Chirac.

Chirac ließ seine Sprecherin Catherine Colonna hingegen erklären, dass »wir zwar das Gefühl haben, dass eine wichtige Etappe im Prozess der Versöhnung zurückgelegt worden ist. Aber man muss die Umsetzung des Abkommens verfolgen.« Damit bezog sie sich auf die Änderungen in der ivorischen Verfassung, die im Abkommen von Marcoussis auf Drängen der Rebellen vereinbart worden sind.

Kern des Problems in dem westafrikanischen Staat sind Landkonflikte, die seit Beginn der neunziger Jahre zunehmend in ethno-chauvinistischen Diskursen um die so genannte Ivoirité ihren Ausdruck fanden. Damals sanken die Weltmarktpreise für Kaffee und Kakao stark ab. Einige Politiker nutzten die durch Strukturanpassungsprogramme des IWF verstärkte wirtschaftliche Krise dazu, gegen Migranten aus den nördlichen Nachbarländern zu hetzen, die zum Teil über mehrere Generationen hinweg in der landwirtschaftlichen Produktion im Süden engagiert gewesen waren.

1998 änderte der damalige Präsident Henri Bédié die Verfassung, so dass Personen, die keine Staatsbürgerschaft hatten, nicht länger Landeigentümer sein konnten. Bereits vier Jahre zuvor hatte Bédié die Verfassung so ändern lassen, dass Personen, deren Eltern nicht bereits die ivorische Staatsbürgerschaft besaßen, nicht mehr für die Präsidentschaft kandidieren konnten. Auch die Bestimmungen über den Erhalt der Staatsbürgerschaft wurden verschärft. Große Teile der Bevölkerung im von einer langen Migrationstradition geprägten Norden des Landes werteten dies als Affront.

Inzwischen hat das ivorische Parlament die Änderung der betreffenden Verfassungsartikel zwar beschlossen, doch Gbagbo beraumte anschließend ein Referendum darüber an. Nicht nur die Rebellen im Norden befürchten nun, dass eine solche Abstimmung die Spannungen noch einmal verstärken könnte. Denn nach Kriegsausbruch wurden viele Migranten von ihren Kakaoplantagen vertrieben, ihre Felder von anderen übernommen. Es ist mehr als unwahrscheinlich, dass die Bevölkerung im Süden für ein Recht auf Rückkehr ihrer ökonomischen Konkurrenten stimmen wird. Radikale Führer der chauvinistischen Jugendbewegung in der Hauptstadt, die zu den wichtigsten Stützen Gbagbos gehören, kündigten bereits ihren Widerstand gegen die Verfassungsänderungen an.

Wie die linksliberale französische Tageszeitung Libération unter Berufung auf diplomatische Kreise berichtete, soll Chirac von Gbagbo nun verlangt haben, das Referendum nur über das Wahlrecht und nicht über das Landeigentum und die Staatsbürgerschaft abzuhalten. Im Gegenzug werde er sich für eine Aufhebung der Finanzsperre bei den internationalen Organisationen einsetzen.

Mitunter um Geld ging es auch bei der Sitzung des Sicherheitsrats der UN in der vergangenen Woche, bei der die von Frankreich vorgeschlagene Entsendung einer 6 200 Soldaten umfassenden Blauhelmmission nach Côte d’Ivoire, die die Entwaffnung der Rebellen organisieren soll, vorerst verschoben wurde. Da auch nach Burundi und in den Sudan Blauhelme geschickt werden sollen und die USA ein Viertel der Kosten für diese Missionen übernehmen müssen, fragte die US-Regierung noch einmal nach, ob eine so große Mission denn nötig sei.

Frankreichs Außenminister Dominique de Villepin erinnerte auf einer Konferenz in New York daran, dass Frankreich die Entsendung von 15 000 Blauhelmen in Côte d’Ivoires Nachbarland Liberia im vergangenen Jahr »sofort akzeptiert« habe. Er versprach außerdem finanzielle Hilfen für den Wiederaufbau Liberias, der maßgeblich von den USA geleitet wird, über 25 Millionen Euro. Nun erwartet er die Hilfe der USA in Frankreichs wichtigster Ex-Kolonie südlich der Sahara: »Ich denke, dass die Vereinigten Staaten die Situation perfekt verstehen und wie wir denken, dass etwas getan werden muss.«