Märchen aus dem Supermarkt

Der pakistanische Atomingenieur Khan beteuert, allein für die Weitergabe nuklearer Technologie verantwortlich zu sein. Doch ohne Beteiligung der Regierung wären die Geschäfte nicht möglich gewesen. von martin schwarz, wien

Es war eine dramaturgische Meisterleistung, die da am vergangenen Mittwoch im pakistanischen Fernsehen zu sehen war. Staatsmännisch vor blauem Hintergrund platziert und in einen sehr modischen beigen Anzug gewandet, schüttete Abdul Qadeer Khan, 67 Jahre alt und wohl einer der wichtigsten Entwickler der pakistanischen Atombombe, der Nation sein Herz aus. »Meine Brüder und Schwestern, ich habe mich entschieden, vor euch zu treten, um einer traumatisierten Nation mein tiefstes Bedauern und meine uneingeschränkte Entschuldigung auszudrücken.«

Letztlich nämlich hatte der Mann seine Nation in arge Verlegenheit gebracht. Die Weitergabe sensiblen nuklearen Know-hows und die Lieferung von für die Anreicherung von Uran notwendigen Gaszentrifugen an Staaten wie Nordkorea, Libyen und den Iran ist gerade in Zeiten wie diesen kein Kavaliersdelikt. Dennoch war die TV-Show nicht allein für die pakistanischen Brüder und Schwestern gedacht, sondern vor allem für das internationale Publikum, denn Khan hielt seine kleine Ansprache in sanftem Englisch. Und beteuerte, dass er und nur er verantwortlich sei. Die pakistanische Regierung oder das Militär seien »zu keinem Zeitpunkt« in die Deals verwickelt gewesen.

Einen Tag danach zeigte man sich im Hauptquartier der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) in Wien von Khans umfassendem Geständnis relativ unbeeindruckt. »Das ist natürlich Unsinn, wenn er behauptet, er allein und ein paar Generäle hätten diesen Schmuggel auf eigene Faust geleitet«, sagte ein hochrangiger IAEA-Inspektor der Jungle World. »Welche Privatperson kann Militärmaschinen für solche Transaktionen nutzen, ohne dass die Regierung davon wüsste?« fragt der von jahrelangen Irak-Inspektionen abgehärtete Diplomat.

Viel eher glaubten die IAEA-Experten an einen Deal zwischen Khan und Pakistans Militärmachthaber Pervez Musharraf: Khan sollte die ganze Schuld auf sich nehmen, dadurch die Regierung vor internationalen Schwierigkeiten schützen und als Gegenleistung amnestiert werden. Tatsächlich begnadigte Pervez Musharraf schon einen Tag später Khan, und das für pakistanische Verhältnisse durchaus beachtliche Monatsgehalt von 2 000 US-Dollar wird ihm weiter überwiesen.

Ziemlich offen gab Musharraf zu, an einer vollständigen Aufklärung, welche hohen Militärs und Regierungsmitglieder in die Sache involviert sind, nicht interessiert zu sein. Auf einer Pressekonferenz in Islamabad betrieb der Präsident in erster Linie Journalistenschelte: »Zuallererst sollten Sie verantwortlich handeln, und selbst wenn man annehmen würde, dass die Regierung oder die Armee in diese Affäre verwickelt sind: Glauben Sie etwa, es ist in unserem nationalen Interesse, das laut von den Dächern zu pfeifen?« Auf die Frage, ob er bereit sei, alle relevanten Dokumente offen zu legen, antwortete Musharraf mit einem simplen »Nein«, erklärte sich allerdings bereit, einen Vertreter der IAEA zu empfangen und den Fall zu besprechen.

Bei der offensichtlichen Vertuschung der staatlichen Beteiligung am Atomschmuggel weiß Musharraf die US-Regierung auf seiner Seite. Washington nämlich ist nicht daran interessiert, das Regime, immerhin taktischer Verbündeter im »Kampf gegen den Terror«, in Schwierigkeiten zu bringen. Ermittlungen gegen das Offizierskorps, das die Nuklearanlagen kontrolliert, könnten die Position Musharrafs gefährden. Und auch der Präsident selbst, der seit 1998 Generalstabschef ist, dürfte über die Vorgänge im wichtigsten Sektor der pakistanischen Rüstung informiert gewesen sein.

»Wir denken, dass die von der pakistanischen Regierung durchgeführte Untersuchung demonstriert, dass sowohl Präsident Musharraf als auch die pakistanische Regierung ihre Verpflichtungen ernst nehmen, nicht zu erlauben, dass ihre Technologie anderen Staaten hilft, Massenvernichtungswaffen herzustellen«, fabulierte deshalb Richard Boucher, Sprecher des US-Außenministeriums. Die Sanftheit der Ausführungen sollte nicht verwundern. Für die Vereinigten Staaten ist die Aufdeckung der Machenschaften Khans und seiner Gehilfen eher ein politischer Kollateralschaden des weltweiten Kampfes gegen die nukleare Proliferation. »Washington wusste schon lange von dem Schmuggel, hat aber stillgehalten«, sagt ein weiterer IAEA-Mitarbeiter. Aufgeflogen ist die Sache tatsächlich bloß wegen der Umtriebigkeit der IAEA-Inspektoren im Iran und nun auch in Libyen.

Schon im November letzten Jahres gaben die Inspektoren bekannt, dass Teile des iranischen Nuklearprogramms pakistanischer Herkunft seien, und im Januar gaben die Libyer zu, sich vor allem bei Abdul Qadeer Khan bedient zu haben. Selbst das Regime Saddam Husseins soll sich im Oktober 1990 dafür interessiert haben, Khan als Entwicklungshelfer für das irakische Atomprogramm zu engagieren.

In einem geheimen Protokoll des irakischen Geheimdienstes Mukhabarat über ein Treffen eines Mittelsmanns Khans mit Geheimdienstmitarbeitern am 6. Oktober 1990 heißt es: »Er ist bereit, uns die Baupläne für eine Atombombe zu überlassen.« Und weiter: »Er sorgt für die Lieferung der nötigen Materialien aus westeuropäischen Ländern über eine Firma, die er in Dubai besitzt.« Wiewohl die Echtheit dieses Dokuments – es stammt vom ehemaligen IAEA-Inspektor David Albright – nicht überprüft wurde, könnten weitere Ermittlungen die Verwicklung westeuropäischer Unternehmen enthüllen.

Bekannt ist bis jetzt, dass die Blaupausen für die Konstruktion der in den Iran und nach Libyen exportierten Gaszentrifugen vom deutsch-niederländisch-britischen Konsortium Urenco stammen und dort, wie vom Unternehmen selbst zugegeben, schon 1976 entwendet wurden. Allerdings dürften weitere – auch deutsche Unternehmen – am pakistanischen Atomgeschäft beteiligt gewesen sein. »Wir müssen eine ganze Reihe von europäischen Unternehmen in den nächsten Wochen und Monaten untersuchen«, so ein IAEA-Mitarbeiter.

Die Hanauer Degussa-Tochter Leybold Heraeus etwa, die schon 1988 wegen des angeblichen Verkaufs sensibler Technologie an Pakistan in die Schlagzeilen geriet. Von iranischer Seite wurden der IAEA die Namen von drei Deutschen genannt, die, vermittelt von Khan, Atomtechnik weitergegeben haben sollen. Zwei von ihnen waren Angestellte von Leybold Heraeus.

Wie die Jungle World von Mitarbeitern des IAEA-Chefs Mohammed El Baradeis erfuhr, wird der für Ende Februar erwartete Bericht über die Kooperation des Iran mit der IAEA durchweg positiv ausfallen. Insbesondere wertete man jene Aussage Teherans als glaubwürdig, wonach im Iran gefundende Spuren hoch angereicherten Urans tatsächlich von kontaminierten Maschinenteilen aus dem Ausland stammten. In der IAEA hält man es deshalb für wenig wahrscheinlich, dass der Problemfall Iran nach der Sitzung des IAEA-Gouverneursrates Anfang März in Wien an den UN-Sicherheitsrat in New York weitergeleitet wird.

Dass derzeit offenbar keine Produktion von waffenfähigem Uran stattfindet, belegt allerdings noch nicht die friedlichen Absichten des iranischen Regimes. Die Abschirmung dubioser Praktiken durch Regierungen, die ihre eigenen Pläne, ihre Verbündeten oder die Exporte von Unternehmen schützen wollen, macht es für die Atomenergiebehörde nicht leichter, das ganze Netzwerk des Handels mit Nukleartechnologie aufzudecken. Es gebe einen internationalen »Supermarkt« des Atomschmuggels, erklärte El Baradei am vergangenen Donnerstag, und der Fall Khan sei dabei sicherlich nur die »Spitze des Eisberges«.

Von Martin Schwarz erscheint Anfang März im Verlag Droemer-Knaur das Buch »Atomterror. Schurken, Staaten, Terroristen: Die neue nukleare Bedrohung«.