Parodie mit Paras

Auf seiner Europareise wird Kolumbiens Präsident Álvaro Uribe auch mit Menschenrechtsverletzungen konfrontiert. von knut henkel

Werben um Investoren will Kolumbiens Präsident Álvaro Uribe bei seinem Deutschlandbesuch am 12. und 13. Februar in Berlin. Die wirtschaftlichen Kerndaten, mit denen er in Berlin eintreffen wird, sind besser als in den vergangenen Jahren. Allerdings muss sich Uribe Kritik wegen des Krieges gegen die linken Guerillagruppen und des allzu großzügigen Umgangs mit den Paramilitärs nicht nur von Menschenrechtsorganisationen gefallen lassen.

So hat die renommierte kolumbianische Juristenkommission wiederholt moniert, dass das so genannte Anti-Terrorstatut den Streitkräften polizeiliche Funktionen überträgt. Es ermöglicht etwa, ohne jede richterliche Anordnung den gesamten Briefverkehr und die gesamte private Kommunikation zu überwachen und auch Hausdurchsuchungen sowie Verhaftungen durchzuführen. Dadurch werde das Prinzip der Gewaltenteilung, aber auch die Unabhängigkeit der Justiz verletzt, so Gustavo Gallón Giraldo, Vorsitzender der Kommission, in einem offenen Brief an den Präsidenten.

Viel Respekt vor der Justiz des Landes hat der Präsident ohnehin nicht. Urteile wie die Entscheidung des Verwaltungsgerichtes Cundinamrca, das die Beendigung der Besprühung von Coca-Feldern wegen Umwelt- und Gesundheitsrisiken verfügte, wurden von Uribe öffentlich als inakzeptabel bezeichnet.

Auch die Demobilisierung von paramilitärischen Einheiten, wie im November in Medellín, findet ohne rechtliche Grundlage statt. »Niemand prüft, ob die 864 Paramilitärs der Einheit Cacique Nutibara an Menschenrechtsverletzungen beteiligt waren«, sagt Humberto Londoño, der Vorsitzende der Bauernvereinigung von Antioquia (ACA). »Die Straflosigkeit, in Kolumbien ohnehin weit verbreitet, wird so ausgeweitet.«

Das Ziel von ACA ist es, die Landrechte der Bauern zu wahren und deren Rückkehr auf die kleinen Farmen in den umkämpften Regionen zu ermöglichen. Für Londoño wurde diese Arbeit im März 2003 zu gefährlich. Damals forderten rund 20 000 Flüchtlinge, die sich im Nordosten Medellíns angesiedelt hatten, öffentlich Schutz von der Regierung vor paramilitärischen Angriffen.

60 Mitglieder der Bauerorganisation und anderer sozialer Träger, die sich für die Flüchtlinge einsetzten, wurden wenig später bei Razzien der kolumbianischen Sicherheitsorgane festgenommen. Londoños Name erschien hingegen auf den Todeslisten von paramilitärischen Einheiten; er musste untertauchen. »Vertreter von Menschenrechtsorganisationen und sozialen Netzwerken werden immer häufiger von der Regierung als fünfte Kolonne der Guerilla diffamiert und verfolgt«, klagt Londoño, der im Juni mit einem Stipendium der Hamburger Stiftung für politisch Verfolgte Kolumbien verließ.

Im Dezember flog er erstmals wieder nach Medellín und besuchte zahlreiche Stadtviertel, in denen seine Organisation präsent ist. In den Stadtvierteln Popular I und II im Nordwesten Medellíns sind mehrere Busladungen mit entwaffneten Paramilitärs eingetroffen. »Sie sollen dort angesiedelt werden«, sagt Londoño. Bewohner des Viertels haben ihm jedoch erzählt, dass die ehemaligen Paramilitärs sich wie Polizisten im Stadtviertel gebärden. »Sie kontrollieren die Leute und das ganze Viertel, sind mit Funkgeräten ausgerüstet und geben die gesammelten Informationen weiter«, so Londoño, der Ende Januar nach Hamburg zurückkehrte. »Ob an die Polizei oder an die ehemaligen Kollegen der AUC, kann ich nicht genau sagen.« Human Rights Watch hat die Demobilisierung der paramilitärischen Einheiten unter den gegebenen Vorraussetzungen als »Parodie« bezeichnet.

Kein Wunder, denn die Regierung kommt den rechtsextremen »Selbstverteidigern« weit entgegen. Am 20. Januar konnte Giovanno Marín, der ehemalige Kommandant des so genannten Blocks Cacique Nutibara, vor einer Kommission des Senats sprechen. Sie soll beleuchten, wie die Verbrechen der Paramilitärs und der Guerilla rechtlich zu behandeln sind und wie man diese dazu bewegen kann, ihre Waffen niederzulegen. Marín legte den Senatoren nahe, ein geeignetes Gesetz zu erlassen, um dem Friedensprozess, der bisher im rechtsfreien Raum stattfindet, eine legale Grundlage zu geben.

Politische Ambitionen dürften den Demobilisierten nicht verwehrt werden, fordert der Kommandant, der nicht zur höchsten Führungsebene des paramilitärischen Dachverbandes AUC (Autodefensas Unidas de Colombia) gehört. Öffentliche Ämter, so der Gesetzesentwurf, über den die Parlamentarier beraten, sollen allerdings den ehemaligen Kämpfern der rechten Paras wie der Guerilla versperrt bleiben. Ein Passus, der den paramilitärischen Anführern wie Carlos Castaño nicht schmecken wird, denn der hatte mehrfach seinen Willen bekundet, politisch aktiv zu werden. Ob er eine Haftstrafe akzeptieren würde, steht genauso zu bezweifeln, zumal die Liste der ihm zugeschriebenen Morde und Straftaten endlos ist.

Kritiker wie José Miguel Vivanco, der die Amerika-Abteilung von Human Rights Watch leitet, werfen der Regierung von Präsident Uribe vor, Straffreiheit für die Paramilitärs erlangen zu wollen, die für unzählige Massaker und Morde verantwortlich sind. Die in Kolumbien diskutierten Ablasszahlungen für Menschenrechtsverbrechen widersprechen allen internationalen Normen, so Vivanco auf einer Menschenrechtskonferenz in Bogotá im September 2003. Auch die Europäische Union hat Ende Januar darauf hingewiesen, dass Kolumbien sich an die juristischen Normen zu halten habe. Das bekräftigte auch EU-Kommissar Christopher Patten, der Mitte Juni in Bogotá war und die Einhaltung der UN-Empfehlungen für Menschenrechte ausdrücklich anmahnte.

Uribe hofft dennoch auf politische und finanzielle Unterstützung. Zumindest in Deutschland könnte er Gehör finden. Das Auswärtige Amt betont die »kritische, aber ausgewogene Haltung Deutschlands« in der Menschenrechtsdebatte, und im Oktober erklärte der Bundestag seine Unterstützung für Uribe bei der »Wiederherstellung des Gewaltmonopols« (Jungle World, 45/03).

Dennoch wird der kolumbianische Präsident auf seiner Europareise die ein oder andere unbequeme Frage beantworten müssen. Vor dem Europäischen Parlament soll er sprechen, und zahlreiche Parlamentarier haben angekündigt, den Besuch zu boykottieren. Sicherheitshalber hat Uribe, der sehr wohl weiß, dass seine Europabeziehungen nicht die besten sind, seinen Vorgänger Andrés Pastrana mitgebracht. Der verfügt über die besseren Kontakte und soll die Wogen glätten.