18.02.2004

Bochumer Märchentage

Die Genossen vermittelten Geschlossenheit, aber die Aussichten bleiben schlecht. Den Bochumer Parteitag der SPD besuchte pascal beucker

Klaus-Uwe Benneter tummelt sich im Foyer. Natürlich hat der designierte Generalsekretär dem Parteitag des mitgliederstärksten Landesverbandes seine Referenz zu erweisen. Am Stand der Arbeitsgemeinschaft Selbstständige lässt er sich mit zwei Schornsteinfegern fotografieren. Die sollen ja bekanntlich Glück bringen. Das kann er gebrauchen. Denn ihm scheint es offensichtlich noch etwas schwer zu fallen, der Basis die Verdienste seiner Partei zu vermitteln: »Wir waren es, die gerade die Finanzen der Kommunen gestört, äh, gestärkt haben.«

Eine Parteitagsdelegierte, die Benneter von ihrem Alter her eigentlich noch aus dessen wilder Juso-Zeit kennen müsste, schaut auf die Menschentraube, die ihn umringt. »Wer von denen ist denn der Benneter?«, fragt sie. »Kommt der eigentlich aus Ost- oder Westberlin?« Revolutionäre Flausen hatten die bodenständigen Genossen an Rhein und Ruhr auch zu ihren Jugendzeiten nicht im Kopf.

Sie konnten schon vorher in den Zeitungen lesen, was auf dem Spiel stand: Von einer Bewährungsprobe für das neue Führungsduo Gerhard Schröder und Franz Müntefering war da zu lesen, vom ersten großen Stimmungstest. Entsprechend gaben sich die rund 450 Delegierten der nordrhein-westfälischen SPD alle Mühe und bedachten ihren »Münte« ebenso wie ihren Kanzler mit Standing Ovations auf dem Bochumer Parteitag. »Wenn du den Rücken gestärkt haben willst, dann komm’ nach Bochum«, strahlte der Landesvorsitzende der SPD Harald Schartau.

Doch zum Strahlen gibt es keinen Grund. Die demonstrative Unterstützung für Schröder und Müntefering war alles andere als das erhoffte Signal des Aufbruchs. An den glaubt kaum mehr einer in der SPD Nordrhein-Westfalens, die einst als das Kraftzentrum der Partei galt. »Wir in NRW. Gemeinsam stark« hatten die Parteitagsstrategen zum Motto des Bochumer Events erkoren und damit einen Wunsch formuliert, keine Zustandsbeschreibung. Der große Applaus zeigte lediglich die Erleichterung der Parteibasis, mit dem Sauerländer Müntefering endlich wieder einen Parteichef zu bekommen, der die Politik der Bundesregierung im passenden Parteijargon darstellen kann und der es den Zweifelnden ermöglicht zu glauben, die Berliner »Reformpolitik« habe noch etwas mit den traditionellen sozialdemokratischen Grundüberzeugungen zu tun.

Die Gegenwart des Landesverbandes ist trostlos. Über 12 600 Austritte im Jahr 2002, mehr als 15 000 im vergangenen Jahr – das sind pro Jahr so viele Abgänge, wie die Landesverbände Thüringen, Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern zusammen an SPD-Mitgliedern zählen. Und der Aderlass hält an.

Wie dramatisch die Lage ist, zeigte die Rede, mit der SPD-Ministerpräsident Peer Steinbrück in Bochum zum Schulterschluss aufrief: »Wir haben uns in 140 Jahren nicht von Bismarcks Junkern, nicht von Hitlers Mördern und auch nicht von Stalins Schergen in die Knie zwingen lassen«, beschwörte er. »Wir haben das durchgestanden, Seit’ an Seit’, immer getragen von unseren Grundüberzeugungen: Freiheit, Gleichheit und soziale Gerechtigkeit.« Die SPD sei »nicht nur eine Partei, wir sind eine Schicksalsgemeinschaft«. Wie dreckig muss es der Partei gehen, wenn es solcher geschichtlicher Rückgriffe zur Motivation bedarf?

Im Herbst stehen die Kommunalwahlen an, und die Aussichten sind alles andere als rosig. »Bis dahin schaffen wir den Umschwung nicht mehr«, zeigt sich ein rheinischer Bundestagsabgeordneter skeptisch. Dabei waren schon die vergangenen Kommunalwahlen eine Katastrophe: Ob in Bielefeld oder Münster, Düsseldorf oder Köln, in Essen oder Gelsenkirchen, überall im Land wurden die roten Rathäuser geschleift. Bis zur Wahl 1999 hatte die SPD noch 20 der 23 Oberbürgermeister in den Großstädten gestellt, danach waren es nur noch 10. Von den 14 Landräten mit SPD-Parteibuch blieben zwei übrig, gegenüber 28 von der CDU. Erstmals seit Gründung des Bundeslandes bekamen die Christdemokraten im Landesdurchschnitt mit 50,3 Prozent der abgegebenen Stimmen die absolute Mehrheit, während die SPD auf 33,9 Prozent abstürzte.

Viele Genossen hielten das desaströse Abschneiden für einen einmaligen Betriebsunfall, der einer temporär schlechten »politischen Großwetterlage« geschuldet sei, wie der damalige SPD-Landesvorsitzende Franz Müntefering formulierte. Das glauben heute nur noch wenige Optimisten.

Die rot-grüne Landesregierung hat Akzeptanzprobleme. So wurde in der vergangenen Woche eine vernichtende Imagestudie aus der Staatskanzlei bekannt, nach der es Steinbrücks Profil an »Nähe und Wärme« fehle. Auch sei sein Landesverband »auf die Wahlkämpfe 2004 nicht vorbereitet«.

Dann sind da noch die nicht zu unterschätzenden hausgemachten Probleme: In Köln knapst die SPD seit zwei Jahren an ihrem Spendenskandal; Affären und staatsanwaltliche Ermittlungen plagen sie auch in Aachen, Wuppertal und Essen.

Ausgerechnet in Oberhausen, wo die SPD wie früher sowohl den Oberbürgermeister als auch die absolute Mehrheit im Stadtrat stellt, ist ihnen acht Monate vor der nächsten Wahl ihr Frontmann von der Fahne gegangen. Erst im Oktober vergangenen Jahres mit über 96 Prozent der Stimmen für die erneute Kandidatur nominiert, teilte der populäre OB Burkhard Drescher seiner Partei Anfang Februar überraschend mit, zukünftig lieber im Management des Kohle- und Chemiekonzerns RAG arbeiten zu wollen. Damit steht die Oberhausener SPD ohne Spitzenkandidat da.

Schließlich muss die nordrhein-westfälische SPD auch noch gegen ihr verstaubtes Image ankämpfen, wie Schartau in seiner Parteitagsrede beklagt. In »meinen, etwas laxen Worten« repetiert er eine Beschreibung der Partei, wie er sie in einer überregionalen Tageszeitung gelesen haben will: »Der männliche Teil der NRW-SPD fährt regelmäßig morgens in den Pütt ein, der weibliche Teil steht mittags mit einem Henkelmann vor den Toren, um das Essen vorbeizubringen. Und beide zusammen sitzen abends im Taubenzüchterverein und spielen Mensch-ärgere-dich-nicht, weil sie noch keine Fernsehapparate kennen.«

Der Nachwuchs vermag keinen frischen Wind in die Partei zu bringen. Dabei gehört der Landesvorsitzende der Jusos, Marc Herter, jener jungsozialistischen Fraktion an, die zu Benneters Zeiten noch »Stamokaps« hieß, heutzutage aber »Juso-Linke« genannt wird. In seinem pflichtgemäßen Beitrag in der Aussprache nach der Kanzlerrede mahnt Herter windelweich, der weitere Reformprozess müsse »sozial gerecht, wirtschaftlich vernünftig und nachvollziehbar für die Betroffenen« sein, und bedankt sich bei Schröder dafür, dass er der Partei Perspektiven gezeigt habe. Herter wird entsprechend belohnt. Bei den Wahlen für einen der 30 Beisitzerposten im Landesvorstand schneidet er mit dem fünftbesten Ergebnis ab. So sieht also die sozialdemokratische Zukunft aus.

Zur sozialdemokratischen Vergangenheit gehört hingegen Alexander von Cube. Der 76jährige frühere WDR-Redakteur ist so etwas wie das linke Gewissen der SPD in Nordrhein-Westfalen, ein Überbleibsel aus besseren Tagen. Aber auch der aufrechte Gewerkschafter wagt keine Attacke gegen Schröder & Co. Seinen Unmut über die unsoziale Politik der Bundesregierung verpackt von Cube lieber diplomatisch in ein Lob für den Landesvorsitzenden Schartau, der mit seiner vorsichtigen Kritik an der Verdoppelung der Krankenkassenbeiträge auf Betriebsrenten die »lähmende Heiligsprechung der Agenda 2010« aufgebrochen habe.

Bescheiden sind sie geworden, die linken Sozis. Aber was bleibt ihnen auch anderes, wollen sie nicht von den nach Geschlossenheit sich sehnenden Delegierten von der Bühne gepfiffen werden? Auf Harmonie setzen sie, die nordrhein-westfälischen Sozialdemokraten, deren hervorstechendste Eigenschaft schon immer das Parteisoldatentum war.