Die Friedensstreiter

In der DFG-VK tobt ein Streit über angebliche rassistische Äußerungen eines Delegierten. von jan süselbeck

Arbeiten in der Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte Kriegsgegner (DFG-VK) Rassisten? Ein »Paradebeispiel an Korpsgeist« sei der Bundessprecherkreis, heißt es in einer Presseerklärung des Berlin-Brandenburgischen Landesverbands. Eine latent rassistische »Augen-zu-und-durch-Haltung« präge die älteste deutsche Friedensorganisation, die 1892 von Bertha von Suttner gegründet wurde.

Den Anlass für derartig schrille Töne lieferte ein Redebeitrag des Soester Pfarrers und Sozialarbeiters Teja Heidenreich, der am 24. Januar beim Bundesausschuss der DFG-VK in Kassel zum Eklat führte. Es ging um die Frage nach der Zukunft einer Berliner Beratungsstelle für kurdische und türkische Kriegsdienstverweigerer. Heidenreich, ein Delegierter des nordrhein-westfälischen Landesverbandes, schlug vor, die Türken künftig stärker in die Finanzierung der Beratung einzubeziehen. Nach der Darstellung eines Mitarbeiters der DFG-VK, A. C., soll Heidenreich gesagt haben: »Ich kenne die Mentalität dieser Menschen. Ich habe zehn Jahre mit den Türken zusammengearbeitet. Sie nehmen Dienste in Anspruch, ohne dafür angemessen zu zahlen. Die Türken sollen sich selbst um ihre Kriegsdienstverweigerer kümmern. Ich mache für die Deutschen Politik.«

Gerit Ziegler, die Bundessprecherin der DFG-VK, die dem Berlin-Brandenburger Landesverband angehört, verließ nach diesen Äußerungen unter lautstarkem Protest den Saal, reiste mit ihren Kollegen ab und erklärte ihren Rücktritt vom Vorsitz. In ihrer Presseerklärung vom 25. Januar titelten die Berlin-Brandenburger reißerisch: »Ethnische Säuberungen in der DFG-VK«. In einer späteren Erklärung schrieben sie: »Die Bundeswehr hat früher ähnlich reagiert, wenn es um einen rechtsradikalen Vorfall in ihren Reihen ging: Ignorieren und leugnen war die Devise, zugegeben wurde nur so viel, wie öffentlich bereits bekannt war. Einiges spricht dafür, dass die Bundeswehr mittlerweile selbstkritischer ist als der Bundessprecherkreis der DFG-VK.«

Gerit Ziegler sieht in der Gleichgültigkeit, mit der die übrigen Teilnehmer der Kasseler Sitzung auf Heidenreichs Bemerkungen reagierten, ein Spiegelbild der Gesellschaft. »Der eigentliche Skandal liegt nicht darin, dass ein einzelner Delegierter solche rassistischen Äußerungen von sich gibt«, sagt sie. Viel schlimmer sei das Verhalten »der übergroßen Mehrheit der anderen Delegierten, das deutlich macht, dass die Äußerungen eine unterschwellig vorhandene rassistische Grundstimmung innerhalb der DFG-VK treffen«.

Seither attackieren sich nun die verfeindeten Lager der Organisation mit gegenseitigen öffentlichen Anschuldigungen. So wirft der Berlin-Brandenburgische Landesverband der DFG-VK vor, die Einrichtung einer Geschäftsführerstelle und die Bezahlung eines Internetredakteurs, die jährlich 80 000 Euro kosten sollen, geplant zu haben. Gleichzeitig habe man die Berliner Beratungsstelle, die lediglich ein Budget von 4 400 Euro im Jahr benötige, um Menschen zu helfen, die in ihrem Herkunftsland wegen ihrer Kriegsdienstverweigerung von Gefängnis, Tod und Folter bedroht seien, kurzerhand schließen wollen. Auch A. C., der Mitarbeiter der Beratungsstelle, kündigte deshalb nach dem Kasseler Vorfall umgehend und warf Heidenreich vor, das »Bedrohungsszenario durch die ausländischen Sozialschmarotzer« zu benutzen.

Der nordrhein-westfälische DFG-VK-Sprecher, Felix Oekentorp, sagte der Jungle World, die Behauptung, man habe 80 000 Euro für einen Online-Redakteur zahlen wollen, sei »vollkommen aus der Luft gegriffen«. Die Zahl sei im November 2003 im Zusammenhang mit der geplanten Stelle eines »hauptamtlichen politischen Geschäftsführers« erwähnt worden, für den man aber höchstens die Hälfte werde zahlen können. Für einen Online-Redakeur seien derzeit lediglich 5 000 Euro eingeplant.

Auch der Bundessprecherkreis verwahrte sich in einer Gegendarstellung gegen die Berliner Vorwürfe. Die Schließung der Beratungsstelle habe überhaupt nicht zur Debatte gestanden, lediglich die Art und Weise ihrer weiteren Finanzierung. Zieglers Behauptungen seien daher »sachlich unzutreffend, in jeder Beziehung unangemessen und in der Wortwahl maßlos überzogen«.

Ziegler habe sich mit ihren öffentlichen Anschuldigungen auf ein bedauernswert »niedriges Niveau« begeben. Die Berliner seien in Kassel offenbar mit dem festen Vorsatz angereist, bereits länger schwelende interne Zwistigkeiten in der DFG-VK eskalieren zu lassen und die Versammlung zu sprengen. Ziegler und C. wiesen diesen Vorwurf wiederholt zurück.

Der nordrhein-westfälische Landesverband unterstützte in seiner Erklärung Heidenreich und warf den Kritikern vor, aus »egoistischer Engstirnigkeit« eine verleumderische »Rufmordkampagne« gestartet zu haben: »Die böswilligen Unterstellungen haben bereits zu Gewaltanwendungen gegen Teja und seine Familie geführt. Unter anderem wurde sein Sohn verprügelt, sein Auto demoliert und ein Fenster eingeschmissen.« Die Formulierung »ethnische Säuberung« halte man »für eine geschmacklose Entgleisung«. Wer so argumentiere, diskreditiere sich selbst. »Er verhöhnt die wirklichen Opfer, die aus ethnischen Gründen tausendfach getötet werden. Er geht menschenverachtend mit einem langjährigen Friedensfreund und Pazifisten um, den er mit solchen Äußerungen mit Kriegsverbrechern wie Mladic und Co. auf eine Stufe stellt.«

Heidenreich sagte der Jungle World, dass für ihn Ziegler »linkssektiererische Positionen« vertrete. Sie sage zudem »nicht immer unbedingt die Wahrheit« und sei mit ihrer »radikalen antimilitaristischen Einstellung im Gesamtspektrum der DFG-VK« isoliert. Den Ausspruch, er mache »nur Politik für Deutsche«, habe ihm der Berliner Mitarbeiter Eugen Januschke in den Mund gelegt. Ohne die verdienstvolle frühere Arbeit C.s kritisieren zu wollen, fordert Heidenreich nach den gegen ihn erhobenen Vorwürfen einen Ausschluss C.s, Zieglers und Januschkes aus der DFG-VK.

Ziegler räumte indes ein, über ihren Vorwurf der »ethnischen Säuberung« ließe sich »in der Zuspitzung sicherlich streiten«. Sie könne es aber nicht verstehen, wie viel Blindheit in der DFG-VK gegenüber den »rassistischen Argumentationen Heidenreichs« vorherrsche, der seine Formulierungen bisher nicht zurückgenommen habe. »Das sind Verallgemeinerungen, wie sie zum Kosovo-Krieg geführt haben, aber das will keiner begreifen«, sagte Ziegler. Zudem werde es nun schwierig, einen kompetenten Nachfolger für C. zu finden. »Ein bloßer Dolmetscher kann die jahrelange Erfahrung Alpers jedenfalls nicht ersetzen«, meint Ziegler. Oekentorp zeigte sich optimistischer: »Wir haben die Stelle bundesweit ausgeschrieben und werden sicherlich einen geeigneten Kandidaten finden.«

Geändert: 15. April 2010