Lesbisch in Sofia

Homophobie ist in Bulgarien weit verbreitet. Auch das neue Antidiskriminierungsgesetz kann dagegen wenig ausrichten. von jutta sommerbauer

Es ist ganz in der Nähe«, sagt Asja Asenova bei unserem abendlichen Treffen in der Innenstadt. Wir gehen am Gerichtspalast der bulgarischen Hauptstadt Sofia vorbei, der sich am Beginn des Boulevard Vitosha, einer Einkaufsstraße mit unzähligen Nobelboutiquen und hell erleuchteten Schaufenstern, befindet. Unser Ziel liegt in einem der dunklen Nebengässchen. Meine Begleiterin geht auf ein Mietshaus zu, dessen Eingangstür offen steht. Wir betreten das Stiegenhaus und gehen einige Stufen hinab. Plötzlich stehen wir vor einer großen Eisentür, an der lediglich ein weißer Zettel hängt. »George – Private Mix Club«, ist darauf zu lesen. Daneben ist eine Klingel. Nachdem wir sie betätigt haben, öffnet uns eine Frau. Wir folgen ihr die Stufen hinunter, die steil hinab in ein Kellerlokal führen. Ein Lied von Prince tönt uns entgegen.

Die Bar ist längst nicht so abenteuerlich wie ihre Suche. Sie erinnert mit ihren Spiegelwänden und Stahlrohrhockern an den glatten, kühlen Stil der achtziger Jahre. Vor allem junge Lesben und Schwule treffen sich hier. Es ist voll, die Luft ist schlecht. »In fast allen Bars läuft es so«, erzählt Asja, »Eisentür, Klingel, Gesichtskontrolle – und die Stufen führen hinunter in den Keller. Ich weiß auch nicht, warum das so ist.«

Eine so genannte Gay Community wird man in Sofia vergeblich suchen. Gleichgeschlechtliche Lebensweisen gehören nicht zur großstädtischen Alltagskultur, wie dies in den meisten westlichen Metropolen der Fall ist. Die Stadt verfügt weder über einen Szenebezirk noch über die üblichen Angebote von Gesundheitsvorsorge bis Freizeitgestaltung. Von der Existenz massenkultureller Vereinnahmungsstrategien ganz zu schweigen.

Erst seit September 2002 stellt »homosexuelles Verhalten in der Öffentlichkeit« keinen Straftatbestand mehr dar. Bis dahin konnten Personen deswegen mit einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt werden. 2001 rügte die Europäische Kommission den Beitrittskandidaten wegen der Diskriminierung. Die Regierung, die mit allen Mitteln einen EU-Beitritt im Jahr 2007 anstrebt, strich daraufhin die kritisierte Stelle. Noch immer existieren allerdings zwei Paragraphen, die als »Sondergesetze« im Falle von Vergewaltigung und Prostitution zwischen Gleichgeschlechtlichen ein höheres Strafmaß ansetzen, als strafrechtliche Regelungen für Heterosexuelle es vorsehen. Gemäß der Antidiskriminierungsrichtlinien der EU ist am 1. Januar ein »Gesetz zum Schutz vor Diskriminierung« in Kraft getreten, das auch bei Benachteiligung aufgrund sexueller Orientierung rechtlichen Schutz bieten soll.

In der Bevölkerung ist die Homophobie allerdings weit verbreitet. 2001 gaben in einer Studie des Gesundheitsministeriums 81 Prozent der Befragten an, Homosexualität nicht zu akzeptieren. Nur fünf Prozent der Befragten äußerten keine ablehnende Einstellung gegenüber gleichgeschlechtlichen Beziehungsformen. Im Jahresreport 2001 der einzigen Gay-Organisation, Gemini, heißt es: »Eine unmittelbare Folge der Homophobie ist, dass sich die meisten Lesben und Schwulen wegen ihrer feindlichen Umgebung nicht outen wollen. Folglich können sie sich nicht ohne weiteres organisieren, um ihre Rechte zu verteidigen.«

Gemini wurde vor elf Jahren in Sofia gegründet und arbeitet heute als professionelle Nichtregierungsorganisation. In einigen anderen Städten gibt es lose Kontaktgruppen. Dennoch sei der Unterschied zwischen der Hauptstadt und der Provinz einer ums Ganze, meint Mitarbeiterin Asja Asenova. »In Sofia gibt es zumindest einige Gay-Treffpunkte, und in gewisser Weise sind Lesben und Schwule ein bisschen sichtbarer. Aber schon in den kleineren Städten sind sie total unsichtbar.«

Zwar haben die Massenmedien in den letzten Jahren vermehrt begonnen, Homosexualität zu thematisieren, meist geschieht dies aber im Zusammenhang mit kuriosen Einzelschicksalen, Exzentrizität, Kriminalität oder Pädophilie. »In den Medien wirst du immer einen Skandal finden, aber niemals eine Debatte. Deshalb ist es sehr schwierig für uns, mit ihnen zusammenzuarbeiten«, beschreibt Bogdan Stefan, ebenfalls Gemini-Mitarbeiter, die Situation.

Ähnliche Berührungsängste scheinen auch auf parteipolitischer Ebene zu existieren. Auf die Frage, ob sich Parteien zum Thema sexueller Orientierung äußern, zucken Stefan und Asenova mit den Schultern: »Politiker in Bulgarien haben überhaupt keine inhaltlichen Programme zum Thema Homosexualität. Sie sagen nichts dagegen, denn sie fürchten sich vor den europäischen Trends. Aber sie sagen auch nichts dafür, denn sie haben Angst vor den Wahlen und der öffentlichen Meinung.«

Bislang konnten in Bulgarien Polizeiübergriffe oder Diskriminierungen am Arbeitsplatz nicht vor Gericht gebracht werden, weil es keine rechtliche Möglichkeit dazu gab. Mit dem neuen Gesetz könnte dies anders werden. »Von einem rein rechtlichen Gesichtspunkt aus gesehen, ist es etwas Erstaunliches«, erklärt Stefan. Allerdings erwartet er nicht allzu viel von der neuen Regelung: »Hinsichtlich der öffentlichen Meinung glaube ich nicht, dass das Gesetz einen großen Unterschied machen wird. Du kannst die Leute nicht durch die Verabschiedung von Gesetzen verändern.« Und Asenova fügt hinzu: »Nach wie vor werden die Leute Diskriminierungen nicht melden. Sie werden vielleicht erst in einigen Jahren damit beginnen, sich um ihre Rechte zu kümmern.«

Allein die Implementierung von EU-Richtlinien wird die soziale Situation von sexuellen Minderheiten offensichtlich nicht verbessern. Dennoch scheint für Gemini die Forderung nach deren Einlösung die einzige Möglichkeit zu sein, um überhaupt auf nationaler Ebene politisch agieren zu können. Stefan beschreibt die Zwickmühle, in der sich die Organisation befindet: »Für uns ist es viel einfacher, mit jemandem in einem anderen europäischen Land zu sprechen als mit jemandem von hier. Ab einem gewissen Punkt ist das schon frustrierend. Trotzdem sind wir froh, die EU-Karte immer in unserer Tasche zu haben und sie hier auf den Tisch zu legen, wann immer wir wollen.« In einem Land, in dem die NGO so gut wie völlig von westlichen Geldgebern abhängig sind und in dem sich nach 1989 kaum emanzipatorische Bewegungen gebildet haben, ist das kompliziert genug. »Es ist nicht der EU-Beitritt, der alle Probleme lösen wird. Die Dinge sollten von innen angegangen werden. Das müsste aus der Gesellschaft kommen«, ist sich Stefan sicher. Gerade an solchen Initiativen scheint es aber nach wie vor zu fehlen.

Auf die Frage, ob es in Sofia einmal eine Gay Pride Parade geben werde, erntet man Lachen. »Da würden vielleicht 20, 30 Leute kommen«, sagt Asenova. »Und ganz sicher ein umso zahlreicheres und äußerst interessiertes Publikum«, fügt sie amüsiert hinzu. »Ich würde schon hingehen«, meint die Vorsitzende von Gemini, Desislava Petrova. »Aber vermutlich wäre ich die einzige Lesbe zwischen ein paar Drag Queens.«