Olaf muss reisen

Die europäische Anti-Betrugsbehörde ermittelt seit einem Jahr, ob Geld der EU von den palästinensischen Behörden für terroristische Aktivitäten verwendet wurde. Diese Erkenntnis würde der EU nicht in den Kram passen. von andré anchuelo

Olaf wollte schweigen. Vor einem Jahr hat das Europäische Amt für Betrugsbekämpfung, kurz Olaf, seine Ermittlungen zur Verwendung von EU-Geldern durch die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) aufgenommen. Das Amt ist formell unabhängig, doch sein Direktor wird von der EU-Kommission eingesetzt und dürfte somit für politischen Druck nicht unempfindlich sein. Gleich zu Beginn wurde erklärt, dass bis zum Abschluss der Untersuchungen keine öffentlichen Kommentare abgegeben werden sollten. Ende Januar erschienen dann zwei Artikel in der Welt, in denen anonyme EU-Quellen interne Informationen ausplauderten.

Demnach hat ein nach Jerusalem entsandtes Inspektorenteam die von der israelischen Regierung präsentierten Dokumente als »authentisch« eingestuft. Im Mai 2002 hatte die israelische Regierung der Europäischen Kommission umfangreiches Beweismaterial übergeben. Die Dokumente, die die israelische Armee im April 2002 in Arafats Hauptquartier sichergestellt hatte, belegen sowohl die Verbindung zwischen der Fatah und den Al-Aqsa-Brigaden als auch die unterschiedlichen verdeckten Mechanismen der Umlenkung von EU-Hilfsgeldern zur Finanzierung von Arafats Krieg gegen Israel (Jungle World 32/02 und 9/03).

In einer Pressemitteilung des Antibetrugsamtes hieß es daraufhin grimmig, man erwarte »von allen Organen, die von ihm unter Ausschluss der Öffentlichkeit informiert werden, dass sie von Kommentaren oder Spekulationen zu der Untersuchung absehen«, ansonsten könne die weitere »Zusammenarbeit (…) ernsthaft behindert« werden. Vergangene Woche stand dann plötzlich in der französischen Tageszeitung Libération unter Berufung auf den Olaf-Bericht, dass es keine Verwendung von EU-Mitteln für Terroranschläge gegeben habe.

Nach Informationen der Zeitung soll der Bericht Anfang März veröffentlicht werden. Doch eine Sprecherin von Olaf sagte der Jungle World nicht nur, dass dieser Termin nicht stimme, sondern auch, dass das Amt grundsätzlich keine Berichte veröffentliche. Vielmehr würden zu gegebener Zeit alle »laut Gesetz zu informierenden Parteien« die Untersuchungsergebnisse bekommen. Und sie fügte hinzu, auch wenn die Informationen aus Libération nicht bedeuten würden, dass mit den palästinensischen Finanzen alles in Ordnung sei, habe man »keine Beweise gefunden, dass EU-Mittel missbraucht« worden seien.

Kein Wunder, dass EU-Außenkommissar Christopher Patten, der sich nach dem Ende seiner Amtszeit im Herbst verstärkt seinem Garten widmen will, bereits erklärte, er sehe dem Olaf-Bericht »sehr gespannt entgegen«. In den vergangenen Monaten hatten sich die Berichte über dubiose Finanztransaktionen der Palästinensischen Autonomiebehörde gehäuft. Der Internationale Währungsfonds (IWF) veröffentlichte Mitte September einen umfangreichen Report. Demnach sind etwa 900 Milliarden Dollar aus dem Haushalt der PA auf ein israelisches Bankkonto »unter der Kontrolle von Präsident Arafat« umgelenkt worden. Von dort ist das Geld nach einem Bericht des US-Fernsehsenders CBS vom November auf ein Schweizer Konto geflossen. Inzwischen ermittelt die französische Justiz, weil von diesem Guthaben offenbar 11,5 Millionen Dollar an Arafats in Paris lebende Ehefrau Suha überwiesen wurden, um deren aufwändigen Lebensstil zu finanzieren, aber auch um Geld zu waschen und an »Aktivisten« in den palästinensischen Gebieten weiterzuleiten.

In dem Report stellt der IWF fest, dass die Hälfte der PA-Sicherheitsdienstangehörigen noch immer ihre Löhne in bar ausgezahlt bekommt – ein Verfahren, das die Abzweigung von Geldern für terroristische Aktivitäten ermöglicht. Zudem sollen viele dieser Lohnempfänger »überhaupt keine Sicherheitsdienste erbringen«, während »andere in noch fragwürdigere Aktivitäten verwickelt sein könnten«. Acht Prozent des PA-Haushalts, etwa 74 Millionen Dollar, werden sowieso direkt dem Büro von Arafat zur Verfügung gestellt. Ein Teil dieses Geldes ging laut IWF an Organisationen, die »Teil eines politisch bevorzugten Netzwerks« sind und unter »keinen Umständen solche Leistungen erhalten sollten«.

Ein im November ausgestrahlter Fernsehbericht der britischen BBC erhellte die Hintergründe dieses ominösen »Netzwerks«: Ein örtlicher Führer von Arafats Fatah-Bewegung in Jenin erklärte dort, die Al-Aqsa-Märtyrerbrigaden seien der »militärische Arm« der Fatah und Arafat der Chef sowohl des »politischen« als auch des »militärischen Arms«. »Es gibt keinen Unterschied zwischen Fatah und den Al-Aqsa-Märtyrerbrigaden«, so der Fatah-Politiker. Zakaria Zubaydi, ein Kommandeur der Al-Aqsa-Brigaden, ergänzte: »Wenn Arafat zu einem Waffenstillstand ruft, werden wir diese Entscheidung respektieren und aufhören.« Einen solchen Befehl habe Arafat bislang aber nicht gegeben. Der frühere PA-Minister für Sport und Jugend, Abdel Fattah Hamayel, erklärte, dass diejenigen Mitglieder der Brigaden, die nicht ohnehin schon auf der Gehaltsliste der Sicherheitsdienste standen, seit Sommer 2003 mit insgesamt 50 000 Dollar pro Monat unterstützt wurden.

Trotzdem hatte der zuständige EU-Außenkommissar Christopher Patten immer wieder erklärt, mit den EU-Zahlungen an Arafats Behörde sei alles in Ordnung. Zur Untermauerung seiner Behauptung verwies er unter anderem auf angeblich strenge Prüfungen des IWF. Hochrangige Mitarbeiter des IWF bestritten dagegen wiederholt, die Verwendung der einzelnen EU-Zahlungen kontrollieren zu können.

Als dann aber ein Viertel der Abgeordneten des Europäischen Parlaments vor einem Jahr die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses forderte, umgingen die Fraktionsvorsitzenden kurzerhand die Geschäftsordnung und riefen zur Beruhigung eine »Arbeitsgruppe« ins Leben. Diese Instanz – in der Geschäftsordnung des Parlaments nicht vorgesehen und daher völlig ohne Rechte und Pflichten – beschloss als erste Amtshandlung, fortan geheim zu tagen. Lediglich das Arbeitsprogramm der Gruppe wurde bekannt, demzufolge man sich nicht nur mit der Verwendung von EU-Geldern für Arafats Krieg gegen Israel, sondern gleichberechtigt mit Schadensersatzforderungen an Israel für von der israelischen Armee zerstörte EU-geförderte Infrastruktur befassen wollte.

Dass überhaupt noch einmal unangenehme Informationen über die Aktivitäten der PA an die Öffentlichkeit gelangten, dürfte daher nichts mit dem angeblichen Ermittlungseifer von Olaf zu tun haben, sondern mit den Machtkämpfen in der PA-und Fatah-Führung zwischen Arafats alter Garde und den Jüngeren wie Mohammed Dahlan und Marwan Barghouti. Die israelische Tageszeitung Ha‘aretz vermutet diese Personen als Quelle für immer neue Beweise über die Verwicklungen Arafats, die offenbar selbst von IWF und Olaf zumindest zeitweise nicht ignoriert werden konnten. Dass für Arafat und Patten der Übergang in den Ruhestand durch eine unehrenhafte Entlassung getrübt wird, ist dennoch unwahrscheinlich.