»Ich bezeichne mich nicht als Europäer«

Feridun Zaimoglu

Feridun Zaimoglu wurde 1964 im anatolischen Bolu geboren, seit 35 Jahren lebt er in Deutschland. In den neunziger Jahren wurde er mit »Kanak Sprak« berühmt, mit einem Buch, das ein neues Selbstbewusstsein von Migrantenkids artikulierte. In seinem neuen Buch »Zwölf Gramm Glück« schickt er nun einsame Glücksritter ins Feld.

Mit Zaimoglu sprach Olaf Neumann.

Um die Türkei gibt’s in Deutschland gerade Ärger. Ist das Land reif für die EU?

Es gibt Demokratiedefizite, es gibt Defizite in Menschenrechtsfragen. Aber amnesty international, auf die ich sehr viel gebe, hat festgestellt, dass wirklich große Fortschritte erzielt worden sind. Natürlich ist Skepsis angebracht. Ich selbst bin hin und her gerissen. Immer wenn ich in der Türkei bin, höre ich von linken progressiven Menschen, dass die Regierung die Defizite erst dann beheben wird, wenn das Land in die EU kommt. Ich möchte trotzdem zur Vorsicht mahnen.

Eine islamische Gesellschaft will ins christliche Abendland, heißt es oft. Wie stellt sich das für Sie dar, als Türke, der nach Deutschland gekommen ist?

In Deutschland ist nicht so bekannt, dass in der Türkei schon seit Jahrzehnten ein erbitterter Kampf gegen die Islamisten tobt. Wobei man diese Islamisten anfangs als politische Ausgleichskraft in Stellung gebracht hat, damit sie gegen linksradikale Gruppierungen zu Felde ziehen. Die haben ganze Arbeit geleistet. Der knallharte, staatlich verordnete Laizismus hat zudem zu Allergiereaktionen geführt. Dadurch konnte die amtierende Partei der gemäßigten Islamisten enorm zulegen. Wenn es um den EU-Beitritt der Türkei geht, werden in Deutschland gern Affekte bemüht. Die ehrlichste Meinung kam von der CSU: Die Türken gehören nicht in unseren christlichen Club! Da sage ich: Hut ab! Wenigstens ist es keine verschwurbelte Meinung.

»Gegen die Wand«, der neue Film des deutsch-türkischen Regisseurs Fatih Akin, wurde auf der Berlinale mit dem Goldenen Bären ausgezeichnet. Er handelt von den Problemen der deutschen Türken aus der zweiten Einwanderergeneration. Kann der Film zur Integration beitragen?

Zunächst einmal ist der Film ein großartiges Kunst- und Kulturmachwerk. Man würde dem Regisseur Unrecht tun, wenn man jetzt mit den ollen Floskeln aus der Integrationspolitik und –thematik versucht, seinen Film wie einen Hummer zu knacken. Dieser Streifen ist eine Zäsur, weil hier eine amour fatale gezeigt wird. Ein solch grandioses Liebesepos, dass man hungrig fletschend aus dem Kino kommt und um Worte ringt.

Um die Hauptdarstellerin Sibel Kekilli ist ein Skandal entbrannt. Sie hat früher Pornos gedreht. Was sagt uns dieser Skandal?

Er hat vieles zu Tage gebracht. Die Affekte im Zusammenhang mit der Enthüllung sagen ganz viel darüber, wie komplex und kompliziert das Leben der Türken der ersten Generation in Deutschland ist. Um Begriffe wie Ehrenmord und Familienrat geht es auch in »Gegen die Wand«. Der Film taugt zwar auch als Anschauungsmaterial für all die deutsch-türkischen Missverständnisse und für die türkische Heuchelei, die selbst nach 40 Jahren Migration in der Diaspora kein Ende nimmt. Aber die eigentliche Stärke besteht in dem existenziellen Drama. Fatih Akin hat Mut zum Wahnsinn bewiesen.

Sie wollen Akins Film nicht mit Floskeln zur Integrationspolitik kommen. Aber über sich selbst haben Sie mal gesagt, Ihre Lesungen trügen mehr zur Integration bei, als »interkulturelle Verständigungsspiele«. Wie erreichen Sie denn Ihre türkischen Leser?

In Literaturhäuser gehen die jedenfalls nicht. Ich erreiche sie aber sofort mit meinem Stoff, wenn ich zu ihnen gehe. Es kommt ganz auf den Ort der Veranstaltung an. So banal ist es.

In Ihrem neuen Buch »Zwölf Gramm Glück« sind die Männer Vertreter der knallharten Heterosexualität. Gehört das zur Realität der deutschen Einwanderungsgesellschaft?

Natürlich will ich Geschichten und Figuren aus dem Leben greifen. Als Anhänger des romantischen Ausdrucksgefühls und der Liebesanrufung der Frau fällt es mir leichter, mich in Männer einzufühlen, die einen herben Ausdruck pflegen. Ich wollte über Männer schreiben, die in ihrem Alltag feststecken. Es sind zuweilen altmodische Typen, die nicht in der Werbung vorkommen und die zu geradezu archaischen Gesetzen greifen.

Zum Beispiel männliche Sexsklaven an der griechisch-türkischen Ägäis. Wo findet man die denn?

Da muss man gar nicht groß recherchieren, dort unten hat man es unweigerlich mit solchen Leuten zu tun. Diese Gigolos sind ganz leicht zu erkennen. Es gibt bestimmte Orte, wo sie sich an die Europäerinnen ranmachen und mit ihnen ganz schnell handelseinig werden. Diese Gigolos leben gefährlich. In der Türkei bekommt man es immer noch mit einer brachialen Moral zu tun, die nicht Halt macht vor Gewalt.

Eine andere Geschichte dreht sich um eine Frau, die von »zwei Südländern« vergewaltigt wird. Bedienen Sie nicht das Klischee vom kriminellen Ausländer?

Ich will nichts unter den Teppich kehren. Es gibt sie ja tatsächlich. Ich bin auf ein paar Fälle von verzweifelten Männern gestoßen, die entweder selber geprügelt oder deren Frauen von Südländern vergewaltigt worden sind. Ich greife das auf, obwohl ich weiß, dass es zu Missverständnissen führen könnte. Ich will die Monster der Moderne in meine Geschichten einflechten. Mein Job ist es, über Menschen zu schreiben, die versuchen, vor stürzenden Kulissen ihren Weg zu gehen. Integrationsfördernde Maßnahmen sind dabei zweitrangig.

Im Kapitel »Diesseits« schildern Sie anfangs die deutsche Gegenwart, im »Jenseits« geht es anschließend um Schächter, Heilige, Jungfrauen, den Blutfleck auf dem Leinentuch. Warum plötzlich das Alte?

Wenn das Leben in der Moderne nicht mehr überschaubar ist, zählen wieder die alten Formeln. Die Menschen suchen Zuflucht bei Ritualen. Die real existierende Archaik jenseits der Festung Europa hält plötzlich Einzug.

Das barbarische Moment ist nicht tot, es kommt sogar wieder.

Seit 35 Jahren leben Sie in Deutschland. Woher kommt der Rückgriff auf archaische Rituale einer anderen Gesellschaft?

Selbstverständlich. Ich bin orientalischer Deutscher, es würde mir nie einfallen, mich als Europäer zu bezeichnen. Eine komische Koalition. Das deutsche Wesen lebt von der Angst, der Barbar stünde vor den sieben Bergen und würde gleich die Hänge heruntergelaufen kommen. Also verschanzt man sich in seiner Wagenburg. Da sich das Barbarische aber mit dem neuen deutschen Milieu verträgt, habe ich nie ein Unbehagen gespürt.

Bitte?

Die Postmoderne hat uns weisgemacht, dass die singuläre Identität unmöglich sei, dass man problemlos eine Flickenidentität annehmen könne. Wenn die Eindeutigkeit aufgehoben ist, wird man aber instabil. Ein unbehagliches Gefühl, im falschen Leben zu stecken. Die Risiken und Nebenwirkungen sind beachtlich. In dem Moment, wo die Globalisierung inszeniert worden ist, hat es angefangen zu knallen.

Rund um Europa steht ein Wall. Auf dem Markt der Identitätsfindungen sehen wir uns konfrontiert mit Wahnsinn, Aberglaube, Extremismus und Aufklärungsfetischismus. Die Zeiten werden härter.

Ist das eine Erklärung für solche Typen wie Steven Smyrek aus Detmold, der zur Hizbollah gegangen ist?

Vielleicht, es gibt ja sehr viele deutsche Konvertiten. Das wird kaum angesprochen. In dem Buch erzähle ich ja auch von einem Deutsch-Amerikaner. Ein Neo-Moslem, der sich einer sektenähnlichen Gemeinschaft angeschlossen hat und der keinen Hehl daraus macht, dass er nicht mehr in die Zivilisation zurückkehren will. Identität ist für ihn völlig unbedeutend, es geht nur noch um eine knallharte Einstellung. Man kann es mir glauben oder nicht, aber ich habe diese Geschichte vor dem 11. September 2001 geschrieben.