»Ich attackiere das Zenitgefühl«

Matthias Horx

Was verändert sich, wenn Horst Köhler Bundespräsident wird? Liegen schwarz-grüne Bündnisse im Trend? Matthias Horx nennt sich »Zukunfts- und Trendforscher« (www.zukunftsinstitut.de). Seine Karriere begann er bei den Spontis in Frankfurt am Main Ende der siebziger Jahre. Er war Redakteur des Pflasterstrand und tummelte sich im Umfeld der Fischer-Gang. Später zog es ihn zum Zeitgeistmagazin Tempo. 1997 gründete er das Zukunftsinstitut in Frankfurt am Main. Mit ihm sprach Stefan Wirner.

Wie finden Sie es, dass der bisherige Direktor des IWF, Horst Köhler, Bundespräsident werden soll? Ist »versöhnen statt spalten« out?

Ich denke, dass es der Versuch eines neuen Modells eines Präsidenten ist, das sich deutlich vom Landesvatermodell unterscheidet. Wir haben Präsidenten gehabt, die zwar gemahnt und gewarnt, aber die Dinge weder zugespitzt noch energetisch aufgeladen haben. Das finde ich an ihm interessant, dass er ein ökonomischer Kopf, aber doch mit einem relativ weiten Horizont ist, der auch gesellschaftliche Probleme, Globalisierungsprobleme wahrnimmt und sich damit beschäftigt. Die Frage, ob das mit diesem merkwürdigen Bundespräsidialamt zusammenpasst, kann ich nicht beantworten. Aber es gab ja auch schon Präsidenten, die in diese Richtung gingen. Heinemann hat auch ein paar schöne Reden gehalten, bei denen es um mehr ging als nur um Repräsentation.

Die Lohnabhängigen zittern bereits, weil Köhler die Reformen vorantreiben will.

Alle zittern, das ist ja eine Gesellschaft der weichen Knie, in der unentwegt gezittert wird. Das ist in der Tat »in«.

In den Umfragen stehen die CDU und die Grünen gerade besonders gut da. Entsteht da eine neue Mitte, auch wenn sie politisch noch nicht zusammengefunden hat?

Vielleicht nicht eine Mitte, sondern eine neue Richtung. Die Idee einer schwarz-grünen Allianz ist bestechend, weil es hier um ein neues, traversales Bündnis geht, das nicht mehr mit diesen alten Kategorien von links und rechts sich beschäftigt, sondern letzten Endes die gesellschaftlichen Fragen in einer neuen Hinsicht versuchen könnte zu beantworten. Ich sehe da am Horizont durchaus einen Kern von Modernisierungspolitik entstehen, den man so in dieser Form bisher noch nicht gesehen hat. So könnte man diesen alten langweiligen Konflikt tatsächlich überwinden.

Die zukünftigen Klassenkämpfe werden an anderen Fronten stattfinden. Es gibt eigentlich einen Aufstand der kreativen Klassen, also derjenigen, die die Wirtschaft vorantreiben, die Selbstständige sind, egal ob die viel oder wenig Geld verdienen, und die aus den alten Großorganisationen staatlicher oder auch ökonomischer Art sich herauslösen. Die FDP hat sich bei diesen Schichten als Apothekerpartei längst abgemeldet.

Und da gibt es ein Traditionsmilieu in der CDU, den klassischen Unternehmer, für den die Partei ja nach dem Krieg entstanden ist, den sie geschützt und vorangebracht hat, und es gibt einen Teil des grünen Milieus, das klassische Mitglied der kreativen Klasse, von der Werbung angefangen bis zu Selbstunternehmern, Ich-AGs, Medienschaffenden, die der grünen Partei immer von den Werten her zugeneigt haben. Aber durch beide Parteien geht auch ein Riss. Es gibt Reaktionäre in der CDU wie auch Modernisierer, und es gibt auch Reaktionäre bei den Grünen und auch Teile der kreativen Klasse.

Johannes Agnoli hat einmal gesagt, jeglicher Versuch, das Links-Rechts-Schema aufzuheben, sei per se ein rechter Versuch.

Das ist regressives Denken in der alten Form. Das würde ich auch sagen, wenn ich Besitzstandswahrer wäre. Man kann ja auch Besitzstandswahrer mit Ideen sein. Es gibt in unserer Gesellschaft sehr viele Menschen, die dieses alte Denken verteidigen und dann eine Zeitung machen, die Leute zurechtweisen, die ideologischen Grenzen verteidigen, aber im Grunde genommen im Nirvana stehen, weil sich die gesellschaftlichen Verhältnisse im Übergang zur Wissengesellschaft ändern.

Sie vertraten kürzlich die These, dass es den Deutschen eigentlich besser ginge, wenn sie sich nicht so wohlhabend wären. Die Leute in Botswana seien glücklicher, weil Glück nicht nur mit Wohlstand zu tun habe. Ist das nicht ein bisschen zynisch?

Botswana hat immerhin ein mittleres Einkommen von 4 500 Dollar im Jahr. Das Land ist eine der Erfolgsgeschichten in Afrika. Aber das war natürlich eine Glosse. Und diese Glosse kritisierte eben diesen Untergangsdrang, den es in Deutschland gibt. Ich habe versucht, diese tief verwurzelte Sehnsucht nach unten zu attackieren. Dieses permanente Zenitgefühl. Das ist im Grunde genommen das Standortproblem selbst geworden. Dass wir gar keinen Zukunftsbegriff mehr haben, dass wir uns nicht mehr vorstellen können, dass es in Gesellschaften nach wie vor Transformationen gibt, dass nach einer spätindustriellen Gesellschaft auch eine Gesellschaft der Wissensökonomie kommen könnte.

Wenn wir das nicht verstehen, dass es diese Transformation geben kann, dass es auch lohnen kann, dafür zu kämpfen, dann werden wir wahrscheinlich mit den alten Rezepten und den alten Denkformen, wie links und rechts zum Beispiel, zurückfallen auf frühindustrielle Produktionsformen. Dann werden wir die verlängerte Werkbank der Chinesen. Aber dann haben wir vielleicht wieder sichere Arbeitsplätze.

Sie sprechen von einem »Hang zum inszenierten Selbstmitleid« in Deutschland. Aber betrifft der Sozialabbau nicht konkret Menschen, die sowieso schon im unteren Teil der Gesellschaft leben, was das Finanzielle betrifft? Inszenieren die nur ihr Selbstmitleid?

Das inszenierte Selbstmitleid bemühen die Lobbies, die im Namen dieses Konfliktes auftreten. Ist es denn realistisch, worüber wir hier reden? Wenn wir uns vergleichen mit anderen Gesellschaften der Welt, dann werden wir merken, dass wir ein soziales Umverteilungssystem haben, das weder die Gleichheit noch die Chancen der Menschen erhöht hat, sondern das eher kontraproduktiv ist.

Manchmal kann es im Leben auch sein, dass man durch eine Härtephase hindurchgehen muss, um wieder andere Kräfte zu wecken. Das würde ich doch zumindest mal ins weitere Umfeld des Denkens rücken. Etwa den Gedanken, dass man eine gerechtere Gesellschaft nicht unbedingt damit schafft, dass man die alten Konzepte immer weiter propagiert. In Deutschland von einem Neoliberalismus zu reden, ist angesichts dieser üppigen Umverteilungsmaschinerie eigenartig.

Sie sehen eine Umverteilung von oben nach unten. Ich denke, sie findet eher in die andere Richtung statt.

Das hat, fürchte ich, mit oben und unten nichts zu tun. Das sehen Sie so, weil Sie ein gebürstetes Weltbild haben. In Deutschland wird vor allem in Richtung Bürokratie umverteilt, die immer fetter wird.

Die Frage ist eben, wie man die Welt sieht. Und da muss man den Horizont ein bisschen verändern. Ich glaube, dass eine gerechte Gesellschaft eine vitale Gesellschaft ist, in der die Menschen versuchen, von unten nach oben hochzukommen. Und in der man ihnen das überlässt und in der Eigentumsfragen gleichzeitig geregelt sind. Eine Gesellschaft, die die vitalen Kräfte der Menschen nicht behindert.

Die globalen Widersprüche als auch die Widersprüche in der neuen Ökonomie werden in den alten Modellen nicht mitbedacht. Der Antagonismus von Kapital und Arbeit aus der Industriegesellschaft wandelt sich in den Antagonismus zwischen Wissen und Kreativität auf der einen Seite, Besitzstandswahrung auf der anderen Seite. Das sind neue »Hauptwidersprüche«, mit denen man im alten, von industriellen Klassenverhältnissen geprägten Weltbild nicht recht umgehen kann.

Mir scheint, das »alte Denken« liefert doch die bessere Analyse.

Das ist das, was für Sie zählt, das ist schon klar.