Zum Salat die Kuchengabel

Cicero ist das Magazin für Leute mit kleinem Latinum und ohne Manieren. von jörg sundermeier

Ein neues Magazin ist seit der vergangenen Woche am Kiosk zu finden, monatlich erscheint es, es soll eine »meinungsbildende Monatszeitschrift« sein. Anders als bei den vielen neuen Magazinen dieser Art steht hinter Cicero ein größerer Verlag, der Schweizer Ringier Verlag, der allerdings bislang vor allem mit Boulevard-Zeitungen auf sich aufmerksam machte. Doch der Verleger Michael Ringier hat nun offensichtlich ein paar Millionen Euro für die »Seriosität« übrig, und er glaubt auch, dass die Berliner Republik ein derartiges Magazin braucht. Eines für Meinung, Haltung, Politik. Für ein halbes Jahr jedenfalls sind die Mittel da, und wenn rund 50 000 Hefte verkauft werden, dann wird sich Ringier Cicero wohl noch ein bisschen länger leisten.

Wenn mit Firmenmillionen hantiert wird und nicht, wie im Fall der anderen neuen Magazine Monopol, Voss, Dummy oder Zoo, mit Privatvermögen, dann darf man davon ausgehen, dass genau kalkuliert wurde und dass die Verantwortlichen zu wissen glauben, was sie tun. Doch Cicero sieht nicht so aus. Dabei waren die Bedingungen nicht einmal schlecht.

Als Chefredakteur und »Gründer« wurde Wolfram Weimer ausgesucht, ehemals FAZ-Redakteur und Redaktionsleiter der Welt. Er versucht nun, mit seinen Leuten von Potsdam aus Meinung zu bilden. Doch bereits ein Blick ins Impressum lässt stutzen. Dort gibt es neben Weimer noch einen stellvertretenden Chefredakteur, zwei Ressortleiter, zwei Berater, einen Online-Redakteur, zwei Korrespondenten und immerhin eine Korrespondentin. Die Art Direction dann liegt ganz in den Händen einer Frau. Für ein »meinungsbildendes Magazin« ist eine derartige redaktionelle Besetzung allerdings ein bisschen dünn. Aber scheinbar arbeitet der Ringier Verlag wie die Werbeagenturen in Berlin-Mitte: Viele freie Zuträger sparen Personalkosten. Was wiederum diese Zuträgerinnen und Zuträger angeht, die der schmalen Redaktion das Heft machen sollen, so haben sie es durchaus in sich. In der ersten Ausgabe schreiben unter anderem: Arthur Miller, Gesine Schwan, Umberto Eco, Georgia Tornow, Klaus Harpprecht, Fritz J. Raddatz, Wladimir Kaminer, Milton Friedman, Günter Schabowski, Roger de Weck, Christoph Stölzl, Maxim Biller, der ehemalige Wirtschaftsminister Werner Müller, sein damaliger Kabinettskollege Rudolf Scharping und sogar Madeleine Albright

All diese Leute ergreifen nicht gerade für Zweifünfzig und ein Lob ihre Füller. Als Interviewpartner sind zudem Gerhard Schröder, Jörg Immendorff (der auch das Coverbild, nun ja, malte) und Roland Koch aufgetan worden.

Interessant ist jedoch, dass bei all den großen Namen nicht viel herauskommt. Auf der großzügig gestalteten Seite, die man Frau Albright eingeräumt hat, erfährt man, dass Kim Jong Il ein gefährlicher Mann ist, gefährlicher als Saddam, und dass man gegen ihn vorgehen müsse, doch verbindlicher oder analytischer wird die Dame nicht.

Scharping müht sich an einer etwas müden Schelte seiner Nachfolger als Parteivorsitzende, Schröder und Müntefering, doch, wie so oft, wenn Scharping sich äußert, bleibt im Dunklen, ob er wenigstens selbst an das glaubt, was er schreibt. Der Beitrag Maxim Billers heißt »Berlin – ein schöner, großer, tiefer Schmerz« und liest sich auch so. Die dürftigen Auslassungen Ecos über Antisemitismus kann man bestenfall als eine Invektive werten.

Auch andere reden über große Themen, doch reden sie eher darüber hinweg. Eine Debatte gibt es nicht, Ideen fehlen, selbst die Rede vom »Reformstau« wird von ihren eigenen Erfindern nicht als Ideologie begriffen. Die Redaktion wiederum hat nicht eingegriffen oder nachgefragt, sie hat sich ausgeruht. Die großen Namen werden es schon machen, scheint man sich gedacht zu haben, und so gibt es nur weniges, das sich zu lesen lohnt und das man noch nicht kennt, etwa Judka Strittmachers Reportage über den Schweizer Wohnort des Bankmanagers Josef Ackermann.

Cicero ist ein Magazin, das, sei es, weil für Recherche doch kein Etat da war, sei es, weil es sich nach allen Seiten absichern will, nichts sagt als das Wohlbekannte. Mit seiner ersten Ausgabe jedenfalls hat das Magazin die Chance vertan, als originell wahrgenommen werden zu können. Ganz im Gegenteil: Das Layout ist fast peinlich altbacken und kann schon deshalb nicht verdecken, dass die Texte, die hier eine Seite füllen, nicht gerade lang sind. Die Karikaturen sind nicht selten aus anderen – die Redaktion würde vermutlich sagen, »gleichwertigen« – Magazinen vor allem aus den USA übernommen, die Bilder von Jim Rakete sind merkwürdig steif, da hat man schon bessere von ihm gesehen.

Man kann, da hier ein großer Verlag dahintersteht, an dieser Zeitschrift vielleicht die ganze Misere des hiesigen Bürgertums ablesen, denn dieses Heft ist ja kein Privatvergnügen von Neureichen. Der Anspruch an Bildung fehlt, Kritik gleich welcher Couleur gilt als Miesmacherei, Quengelei wiederum gilt als Kritik. Alle Autorinnen werden gern mit ihrem neusten Buch oder anderen, namhaften Publikationsorten vorgestellt, für Understatement ist kein Raum in Cicero. Um es in ein Bild zu fassen: Man muss fürchten, dass die Cicero-Redaktion, wenn man sie zum Essen einlädt, mit der Kuchengabel den Salat isst. Großbürgerliche Sitten jedenfalls sind ihr fremd.

Dass ein solches Blatt dennoch wohlwollend besprochen wird, liegt daran, dass das Bürgertum in Deutschland nurmehr eine Imitation ist. Cicero also bedient sich frech eines Namens, der in einer bürgerlichen Sphäre für so große Worte wie Staat oder Demokratie steht, von denen man allerdings nicht viel weiß. Das reicht dann schon.

In den Eingangsseiten namens »Cicerone« heißt es über den Politiker Cicero: »Er verkörpert die Macht des Wortes. Beharrlich stellte er die Verhältnisse infrage und nahm sich doch niemals heraus, die endgültigen Antworten zu kennen.« Als wäre das nicht bereits genug des Bankrotts, fragt die Redaktion auch noch ganz unschuldig-verschmitzt: »Wer könnte Deutschlands Magazin für politische Kultur einen besseren Namen geben als Cicero?«

Die Antwort fällt leicht. Tacitus. Der Historiker wusste schon um 98 nach Christus, wie es um die Germanen steht: »Wild blickende blaue Augen, rötliches Haar und große Gestalten, die allerdings nur zum Angriff taugen. Für Strapazen und Mühen bringen sie nicht dieselbe Ausdauer auf … Das Würfelspiel betreiben sie seltsamerweise in voller Nüchternheit, ganz wie ein ernsthaftes Geschäft; ihre Leidenschaft im Gewinnen und Verlieren ist so hemmungslos, dass sie, wenn sie alles verspielt haben, mit dem äußersten und letzten Wurf um die Freiheit und ihren eigenen Leib kämpfen. Der Verlierer begibt sich willig in die Knechtschaft, mag er auch jünger, mag er kräftiger sein, er lässt sich binden und verkaufen. So groß ist ihr Starrsinn an verkehrter Stelle; sie selbst reden von Treue.«