Der Lara-Croft-Effekt

Der Thriller »Taking Lives« mit Angelina Jolie und Ethan Hawke ist eher solide, überrascht aber durch einen besonderen Schluss. von ulrike mattern

Als Angelina Jolie 1999 Denzel Washington in dem Thriller »Der Knochenjäger« zur Hand ging, war sie eher die »Quotenfrau im Heldenteam« (Georg Seeßlen) und ein erotisches Accessoire in Polizeiuniform. Nach dem Oscar für ihre dem Titel entsprechende Darstellung in »Durchgeknallt« (1999) sowie zweimaligem Auftritt mit Knarre und Wonderbra als zu üppigem Fleisch gewordene Computer-Figur Lara Croft in »Tomb Raider« hatte sich die Schauspielerin für die Position einer leading lady im Thriller-Genre qualifiziert.

In dem jetzt startenden Film »Taking Lives« jagt Angelina Jolie als weiblicher Profiler einem Serienmörder in Kanada nach. Dieser schlüpft nach dem Mord in die Rolle seines Opfers und legt dessen soziale Identität wie eine zweite Haut an: Er wohnt in seinem Apartement, bezahlt mit seiner Kreditkarte und fährt sein Auto. Die Chronologie der Opfer liest sich wie ein gespenstischer Lebenslauf, hinter dem die originäre Existenz des Täters zur Schimäre wird.

Der Nerven kitzelnde Thriller wurde sowohl in der Haupt-, als auch in den Nebenrollen prominent besetzt: mit Ethan Hawke, Kiefer Sutherland, Olivier Martinez und Gena Rowlands. Tchéky Karyo spielt den verständnisvollen Abteilungsleiter der Polizei in Montréal, Jean-Hugues Anglade die Softie-Version eines Cops. Eine Doppelbesetzung, die sich als Filmzitat lesen lässt: Beide Darsteller sind, in Würde ergraut, noch in bester Erinnerung aus dem Klassiker (dem französischen Original, nicht dem Remake!) mit einer zwangsweise durch den Geheimdienst rekrutierten, um sich ballernden Action-Heldin: »Nikita« von Luc Bresson.

Die FBI-Agentin Illeana Scott (Jolie) wird nach Kanada gerufen, um das Morddezernat bei der Suche nach dem Killer zu unterstützen. Die Idee, dass sich ein psychologisch geschulter Polizist in die gestörte Persönlichkeit eines Serientäters versetzt und fernab der üblichen Fahndungswege versucht, dessen Profil zu entschlüsseln, und ihm so auf die Spur kommt, ist nicht gerade taufrisch. Das einschlägige Repertoire amerikanischer Fernsehserien mit diesem Stoff wird in endlosen Wiederholungsschleifen im Abendprogramm diverser deutscher TV-Kanäle abgenudelt – wie etwa »Pretender«, »Profiler« und »Crossing Jordan«, die beiden zuletzt genannten mit einer weiblichen Besetzung in der Hauptrolle.

Regisseur D. J. Caruso bediente sich für die Drehbuchvorlage bei dem Roman von Michael Pye (»Der sechste Mann«). Parallel plünderte er das populäre Arsenal der Kino- und Fernseh-Vorbilder für die Bildsprache: In der Titelsequenz zitiert er beispielsweise den weitaus innovativeren Serienkiller-Thriller »Sieben« (1995) von David Fincher. Die Rolle des Special Agent Scott ist an die FBI-Agentin Sterling (Jodie Foster) in einem ähnlichen Fall von »Identitätsraub« in dem Jonathan-Demme-Film »Das Schweigen der Lämmer« (1991) angelehnt. Der bereits erwähnte »Knochenjäger« des australischen Regisseurs Phillip Noyce oder die Serienmörder-Ballade mit Schauspielerin Ashley Judd, »Denn zum Küssen sind sie da« (1997), fügt sich ebenfalls in diese Reihe mit abnehmendem Kultpotenzial ein.

Mit weniger persönlichem Ballast als Job-Vorbild Sterling ausgestattet, startet Illeana Scott in Montréal. Ihre private Seite bleibt von Anfang an ohne Konturen. Ihre regelwidrigen Methoden führt der Film umso drastischer vor Augen: Als die Kollegen sie das erste Mal treffen, liegt sie in der Grube, in der das letzte Opfer gefunden wurde. Souverän steigt sie aus dem Loch, klopft sich den Dreck vom Anzug – und stürzt sich in die Arbeit.

Für weibliche Helden hält das Thriller-Genre auch im 21. Jahrhundert standardisierte Konfliktfelder wie in jedem stinknormalen Büro parat: Die Platzhirsche im Morddezernat, besonders Olivier Martinez als rüpeliger Detective Joseph Paquette, würden liebend gern auf die weiblich Mithilfe außerhalb ihrer eigenen Reihen verzichten. Unflätiges Benehmen und rüde Bemerkungen zeigen bei der Beamtin jedoch keine Wirkung.

Der Kunsthändler James Costa (Ethan Hawke), den man am Tatort über das Opfer gebeugt antrifft, wird nach einem Verhör auf Grund der Einschätzung von Scott vom Tatverdächtigen zum Köder. Er will den Täter gesehen haben. Da er der einzige Zeuge ist und in der zeitlichen Abfolge der Morde das zur jetzigen Lebensphase des Killers passende Alter besitzt, nehmen die Kriminalisten an, dass er der Nächste auf der Abschussliste ist.

In ihrer beruflichen Funktion übernimmt Illeana Scott den Schutz des Zeugen. Es ist interessant zu beobachten, wie der Film an dieser Stelle das Action-Image von Angelina Jolie kolportiert, um diese Umkehrung des klassischen Rollenmodells zu legitimieren. In einer Szene bleibt sie an der Tür zur Wohnung des Kunsthändlers stehen. Die deutliche Betonung ihrer Oberweite unter der Businesskleidung erinnert an ihre überzeichnete weibliche Darstellung als Lara Croft. Gleichzeitig karikieren ihr diskretes Auftreten und ein Anflug von Unsicherheit diesen Bezug. Bis dato wirkte die Agentin eher androgyn, ausschließlich im geschützten Umfeld ihres Hotelzimmers löst sich die geschlechtsneutrale Darstellung auf, werden ihre Konturen weicher. Ihrer Feminisierung im privaten Raum läuft nur die Inszenierung als Workaholic zuwider: Selbst beim abendlichen Dinner allein auf dem Zimmer oder beim Baden betrachtet sie die wenig appetitlichen Tatortfotos.

Bei der Korrektur des tradierten role models bleibt es nicht. Die weibliche Disposition zu Gefühlen, welche Illeana Scott bislang erfolgreich zur professionellen Intuition umwidmen konnte, kommt der Arbeit in die Quere. Als wenn der Regisseur das flackernde Kerzenlicht und die schwüle Hitze aus dem Südstaatendrama »Original Sin« – in dem Angelina Jolie 2001 Antonio Banderas als femme fatale um sein Geld bringt – in das kühle europäische Ambiente von Montréal transportieren wollte, verrät er seine Darstellerin in diesem weiteren Filmzitat zu Gunsten der Erotik-Quote. Bei einem stürmischen Quickie im Hotel lässt sie die Klamotten fallen. Als Illeana Scott tags darauf im Polizeigebäude vor dem neuen Opfer des Killers steht, wird ihr klar, mit wem sie das Bett teilte. Sie bricht zusammen.

Handwerklich überzeugt der Film durch ein gegen die Zuschauererwartungen besetztes Ensemble in den männlichen Nebenrollen. Kiefer Sutherland ist traditionell auf die Rolle des Bösewichts abonniert. Ethan Hawke bleibt wohl bis ins Greisenalter der ewige naive Jüngling mit unschuldsvollem Blick, und Olivier Martinez kann seit »Der Husar auf dem Dach« und »Untreu« mit seinem einlullenden französischen Akzent nur Frauenherzen brechen.

Dass alle drei Männer mit den entsprechenden Schockeffekten gegen ihren Typ besetzt werden können, zeigt »Taking Lives« – und das ist mehr, als man von einem Thriller erwartet hätte, der seinen Titelsong von der Band U2 einspielen lässt (»Bad«). Allein Angelina Jolie, der leading lady, sollte man empfehlen, bei ihrem kommenden Einsatz an der männerharten Action-Front die Hosen anzubehalten.

»Taking Lives« (USA 2004) Regie: DJcaruso; Darsteller: Angelina Jolie, Ethan Hawke. Filmstart: 8. April