»Die Vereinte Linke begeht Selbstmord«

Manuel Monereo

Nur drei Tage nach den Attentaten am 11. März fanden in Spanien Parlamentswahlen statt. Die Wähler schickten die konservative Volkspartei auf die Oppositionsbank. Doch von dem Stimmungsumschwung profitierte nur die sozialdemokratische Psoe. Die Izquierda Unida (IU, Vereinte Linke) verlor so viele Stimmen, dass sie in der Bedeutungslosigkeit zu versinken droht. Manuel Monereo ist seit 1990 Präsidiumsmitglied der IU. In den siebziger Jahren stieß er zur Kommunistischen Partei, dessen Politbüro er seit 1988 angehört. Im IU-Vorstand ist er für die theoretische Debatte und Bildung zuständig. Das Interview führte Tom Kucharz.

Existiert die IU noch?

Mit einem sozialen Umfeld von 1,2 Millionen Wählern, einer starken politischen Aktivität, einer jetzt kleinen parlamentarischen Gruppe und einer interessanten institutionellen Präsenz in verschiedenen Teilen des Landes kann man schon sagen, dass die IU weiter existiert. Trotzdem stimmt es, dass wir uns seit 1996 in einer tiefen politischen Krise befinden.

Ihr Koordinator Gaspar Llamazares sieht diese Krise nicht.

Er glaubt selber nicht, was er sagt. Man kann doch nicht erklären, es gibt eine Wählerkrise, die nicht politisch ist. Ich denke, wir haben es nicht nur mit einem politischen Problem zu tun, sondern mit einer Krise des Projekts allgemein. Die Wahlen dienten der internen Krise nur als Katalysator. Jetzt steht der König nackt da.

Vor den Parlamentswahlen 2000 ging die IU einen Pakt mit den Sozialdemokraten ein. Wurde die IU für ihre Anbiederung an die politische Mitte bestraft?

Ich glaube ja. Die IU hat seit etwa acht Jahren ihre Identität verloren und ist nicht mehr die glaubhafte Referenz, die wir einmal für viele Menschen waren.

Was, glauben Sie, waren die Gründe für den Einbruch des Projekts?

Erstens die politische Führung; Die »politische Pluralität«, von der momentan gesprochen wird, ist ein Desaster. Wir haben uns praktisch in den linken Flügel der Psoe verwandelt. Für einen Großteil der Wähler sind wir nutzlos geworden. Und wenn es darum geht, wie im Falle dieser Wahlen, die Volkspartei rauszuschmeißen, dann gehen die Leute auf Nummer sicher und wählen die Psoe. Die IU war nicht in der Lage, ein autonomes Projekt gegenüber der Psoe und ein eigenes Profil zu behalten. Zweitens war die Wahlkampagne grauenhaft, und drittens haben wir es mit einer Identitätskrise zu tun. Wir wissen nicht, was die IU heute ist. Sind wir ein ökopazifistisches Projekt, ökosozialistisch, grün, rot? Die politische Vielfalt, die die IU ausmacht, ist nicht definiert. Viertens haben wir in den letzten Jahren tausende Aktivisten verloren, und was noch viel schlimmer ist, die Mitglieder engagieren sich immer weniger für ihre Partei. Und fünftens haben wir an sozialer Realität verloren, unsere organisierte Präsenz in den sozialen Strukturen ist schwach.

In der Opposition zu einer Psoe-Regierung könnte man sich wieder klar abgrenzen, oder nicht?

Llamazares gab öffentlich bekannt, beim Amtsantritt der neuen Regierung für Zapatero zu stimmen, noch bevor dieser seine Vorhaben als neuer Ministerpräsident vorgestellt hatte. Diese Art von Unterordnung ist erschreckend. Die Parteimehrheit um Llamazares hat sich entschlossen, so zu tun, als ob nichts passiert sei, und droht damit, Selbstmord zu begehen.

Wie schätzen Sie die Ergebnisse der Wahlen ein?

Ich denke, sie haben gezeigt, dass die Mobilisierungsfähigkeit der Gesellschaft in den letzten vier Jahren eine kritische Masse hervorgebracht hat, die sich am 12. und 13. März in einem aktiven Protest gegen die Volkspartei PP entfaltete. Viele soziale Kämpfe, seien es der Generalstreik, die Friedensdemonstrationen, die Antiglobalisierungsbewegung oder die Proteste gegen die Bildungsreformen, haben ein soziales und kulturelles Erbe hinterlassen. Es ist eine Art Protestbewegung, eine außerparlamentarische Opposition entstanden, die zwar nicht in der Lage ist, einen alternativen Vorschlag zu den Machtverhältnissen zu unterbreiten, die aber fähig ist, gegen die Macht zu mobilisieren. Wie es sich nach den blutigen Attentaten am 11. März zeigte. Die Wut über die Medienmanipulation der PP entlud sich vor den Türen der PP. Dieser Protest wurde von einer sozial breiten Avantgarde getragen. So wurde ein Teil der öffentlichen Meinung mobilisiert, der sonst nicht wählen gegangen wäre. Die drei Millionen neuen Wähler haben den Wechsel möglich gemacht.

Sie sind also nicht der Meinung, al-Qaida habe die Wahlen gewonnen, wie es viele Medien kommentierten?

Ich glaube, es war die Antwort auf die Manipulation der Regierung, die die Wahlen umkippen ließ. Nach dem 11. September 2001 erlebten wir einen Rechtsruck. Jeder vermutete also, dass die Gesellschaft nach den Ereignissen des 11. März nach Sicherheit und Ordnung schreien und noch weiter nach rechts abdriften könnte. Und die ersten Reaktionen der Regierung schienen diesen Befürchtungen Recht zu geben. Aber die PP trieb es zu weit, so dass die Menschen merkten, wie sie instrumentalisiert und manipuliert wurden, wie überheblich und anmaßend die Regierung reagierte. Man entschied sich, die PP aus der Regierung zu schmeißen, indem man die Psoe wählte.

Llamazares beschuldigte anfangs die Eta als Urheberin der Anschläge, während die internationalen Medien von al-Qaida sprachen. Am 12. März lief er neben dem König und dem PP-Chef Aznar auf dem Trauermarsch.

Psoe und IU waren vom Terrorismus gelähmt, reagierten nicht. Wie immer sind wir zu spät gekommen. Die Aktivisten der IU demonstrierten auf der Straße gegen Krieg, Gewalt und Machtmissbrauch, während ihre politischen Repräsentanten nicht wussten, was zu tun war. Der kritische Sektor in der Gesellschaft überholte die IU und kann gut ohne uns leben. Viele IU-Wähler kehrten uns den Rücken, weil wir offenbar austauschbar sind.

Wenn sich etwa 500 000 IU-Wähler für die Psoe entschieden, ist anzunehmen, dass die radikale Linke, die sonst nie wählen geht, die IU rettete?

Es gab einen merkwürdigen Stimmenaustausch, Nichtwähler stimmten für die IU, und die IU-Wähler stimmten für die Sozialdemokraten. Es ging darum, um jeden Preis die PP abzuwählen. Mit dieser Ausnahmesituation wusste die IU-Führung nicht umzugehen.

Die PP baut aber immer noch auf fast zehn Millionen Wähler.

Es existiert in diesem Land ein »soziologischer Faschismus«. Die francistische Diktatur ist heute leider immer noch in der Angstkultur präsent. Aznar ist es gelungen, eine Partei zu formen, in der die extreme und die gemäßigte Rechte verschmelzen. Und er prägte einen Diskurs, mit einer Mischung aus erzkonservativen Werten und einem dynamischen spanischen Kapitalismus. Verbunden mit einer internationalen Politik, die auf seriöse Allianzen setzte.

Wird die Psoe einen Unterschied zur PP ausmachen hinsichtlich der Militärpolitik, der Nationalitätenfrage, der Migration oder der Wirtschaftspolitik?

Natürlich nicht. Die PP wurde von einer Partei bezwungen, die politisch in der Mitte steht, und unsere Erfahrung mit der Psoe hat gezeigt, dass sie die aktuellen Verhältnisse nicht in Frage stellt. Vielleicht schließt die Psoe sogar wieder einen Staatspakt mit der PP.

Welche Rolle spielt die IU in dieser Situation?

Wir haben keinen Einfluss. Nicht nur, weil die IU wenige Abgeordnete hat, sondern auch weil wir gesellschaftlich unbedeutend geworden sind. Entweder gibt es in der IU eine Wende um 180 Grad, oder die IU wiederholt die Entwicklung der Grünen in Deutschland und verkommt zu einer trübseligen Partei.