Jetzt wird denunziert

Die Arbeitsgesellschaft hat mit der Schwarzarbeit einen neuen Sündenbock für ihre Probleme gefunden. von winfried rust

Es war ein cooler Job: bei einem Althippie Holz für Kunsthandwerk sägen. Ab und zu ein Bier oder ein Joint extra. Als die Fingerkuppe weg war, fuhr ihn der Chef in die Klinik. Dann brach der Kontakt ab.

Solche Geschichten aus der Welt der Schwarzarbeit werden bei den Feierlichkeiten zum 1. Mai selten erwähnt. Dabei gibt es in Deutschland sieben bis neun Millionen Schwarzarbeiter, und mehr als die Hälfte der Bevölkerung zeigt zumindest Verständnis dafür, dass Privatleute Schwarzarbeiter beschäftigen.

Auf Großbaustellen, im Taxi- und Mietwagengewerbe, im Reinigungsgewerbe, in Spielhallen, Hotels und Gaststätten stellte die Oberfinanzdirektion Karlsruhe jüngst 14 bis 25 Prozent Verdachtsfälle fest. In der Arbeitsmarktkrise ist die Schwarzarbeit mit jährlich vier bis fünf Prozent eine der wenigen wachsenden »Branchen«. Doch genaue Zahlen sind schwer zu bekommen. Nach einer Studie der Rockwool Stiftung mit Sitz in Dänemark liegt die Wertschöpfung aus Schwarzarbeit in Deutschland bei 27 Milliarden Euro, andere setzen die Zahl noch wesentlich höher an.

Nun hat Bundesfinanzminister Hans Eichel den Kampf gegen die Schwarzarbeit intensiviert. Die Einnahmeausfälle an Steuern und Sozialausgaben liegen nach Einschätzungen des Volkswirtschaftsprofessors Wolfgang Schneider bei 70 Milliarden Euro. Künftig soll die neue Abteilung »Finanzkontrolle Schwarzarbeit« beim Zoll zuständig sein und mit 7 000 Fahndern auf die Jagd nach illegalen Arbeitern gehen. Auch Privathaushalte müssen sich auf Kontrollen einstellen, und private Hausbesitzer müssen ihre Rechnungsbelege zur Überprüfung aufbewahren.

Die Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU) feiert dieses Jahr den 1. Mai nicht. Mit einem Minus von 5,8 Prozent hatte die IG BAU den höchsten Mitgliederschwund der deutschen Einzelgewerkschaften im vergangenen Jahr und bekam die »rote Laterne«. Das hängt mit den dramatischen Arbeitsmarktproblemen am Bau zusammen. Innerhalb eines Jahrzehntes hat sich die Zahl der offiziell Beschäftigten von 1,4 Millionen auf 800 000 nahezu halbiert. Die sinkenden Beschäftigungsraten in der Bauindustrie zeigen, wie sich die Arbeit mit wachsender Produktivität und Rationalisierung dezimiert. Immer mehr Firmen konkurrieren mit Dumpingangeboten um die Aufträge, eine Folge der hohen Arbeitslosigkeit. Deshalb hat in Ostdeutschland in weiten Teilen der Mindestlohn den Tariflohn ersetzt und die Schattenwirtschaft boomt.

Aber auch im Westen sieht es düster aus. Für die Baustellen in Südbaden fasste Ende April der Geschäftsführer der IG BAU, Frank Koch, die Misere zusammen. Es werde massiv gegen die geltenden Tarifverträge verstoßen: »Manche Beschäftigte haben keine gültigen Ausweispapiere. Andere werden bei Sozialversicherung, Behörden und Sozialkasse nicht angemeldet. Und den ausländischen Kollegen ziehen die Firmen häufig horrende Summen für Unterkunft und Verpflegung ab.« Aber auch bei tariflich entlohnten Arbeitnehmern komme es häufig vor, dass ihre Überstunden nicht abgegolten würden.

Vor diesem Hintergrund verzichtet die IG BAU zum ersten Mal darauf, den auslaufenden Tarifvertrag zu kündigen und klassische Lohnforderungen zu erheben. Ist die IG BAU bankrott? Oder ist nicht eigentlich alles in bester Ordnung? Schließlich macht die Produktivitätssteigerung auf dem Bausektor die alten Arbeitszeiten obsolet; trotz des Baubooms in den neunziger Jahren konnte der Arbeitskraftverbrauch fast halbiert werden.

In einem System, das bei rarer werdenden Arbeitsplätzen die Konkurrenz um diese erhöht, ist das allerdings ein Problem. Dagegen setzt die IG BAU nun eine Telefon-Hotline gegen Schwarzarbeit, wo sich melden kann, wer Schwarzarbeit beobachtet. Gleichzeitig erweitert sie ihre Kampagne »Ohne Regeln geht es nicht!«. Die Schwarzarbeiter werden zu den Sündenböcken für eine Krise, deren Symptom sie sind.

Im März des Jahres 2002 berichtete die Badische Zeitung über eine Baustellenkontrolle. Zwei Arbeiter ausländischer Herkunft konnten keine Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigungen vorweisen. Im Verlauf des Artikels wurden sie als »Arbeiter« in Anführungsstrichen betitelt. Wie viel sie auch für ihre Pflasterbaufirma geschuftet haben mögen – der Ehrbegriff Arbeit sollte für sie nicht gelten. Schwarzarbeit ist der dunkle Abgrund jenseits der ehrlichen Arbeit.

Tatsächlich ist Schwarzarbeit nicht die Ausnahme, sondern weit verbreitet. In ihr manifestiert sich eine Lebenslüge der bürgerlichen Gesellschaft und sie polarisiert. Die widersprüchlichen sozialen Realitäten der Schwarzarbeit werden selten betrachtet.

Zwischen den Lebenswirklichkeiten des sozial eingebundenen Handwerkers, des Freaks und der Illegalisierten liegen Welten. Während die einen die Schwarzarbeit als Lebensabschnitt betrachten können, bekommen MigrantInnen in der Regel niedrigere Löhne und haben keine Perspektive auf eine Veränderung ihrer Situation. Für die einen ist Schwarzarbeit eine einträgliche Sache, für die anderen cool, aber viele MigrantInnen stecken in einer grauenvollen Mühle. Putzen, putzen, putzen an wechselnden Orten, immer isoliert und in der Angst, entdeckt zu werden.

Schwarzarbeit kann sozial sein. Wie Normalverdiener eine qualifizierte häusliche Pflegekraft bezahlen sollen, ist oft ein Rätsel. Das Verschwinden von Schwarzarbeit in diesem Bereich würde das Leiden der Pflegebedürftigen erhöhen. Es gibt Schwarzarbeit, deren Nützlichkeit konstatiert werden kann, genauso wie es Lohnarbeit gibt, die alles andere als nützlich ist.

Das ändert nichts daran, dass Schwarzarbeit die Musterschülerin der kapitalistischen Vergesellschaftung ist: isoliertes Gewinnstreben bei größtmöglicher Abgeschiedenheit von kollektiven Rechten und Pflichten. Es gibt keinen Grund, sie zu rehabilitieren. Die SchwarzarbeiterInnen konkurrieren sich gegenseitig die Löhne nach unten. »Dem Afrikaner« auf der Baustelle wird gesagt, dass »der Russe« für vier Euro die Stunde arbeite, deshalb solle er seine sechs Euro vergessen. Doch solange die Verhältnisse die Einzelnen in die Schwarzarbeit drängen, ist die Jagd auf Schwarzarbeiter zurückzuweisen.

Die Heranführung der heutigen EmpfängerInnen von Arbeitslosenhilfe an den Sozialhilfesatz über das Arbeitslosengeld II wird einen Armutsschub bedeuten. Der Sozialabbau wird Brigaden neuer Schwarzarbeiter in Bewegung setzen, auf die die Regierung dann wieder schimpfen wird. Kaum fassbar ist, wie die Situation durch die neuen Regelungen zum Nebeneinkommen noch verschärft wird: Bei geringem und bei höherem Zuverdienst darf eine Bezieherin von Arbeitslosengeld II nur 15 Prozent des Nebeneinkommens behalten. In der mittleren Stufe, also bei einem Nebenverdienst zwischen 400 und 900 Euro, dürfte sie 30 Prozent behalten. Das Ziel des neuen Gesetzes ist es, möglichst viele Arbeitslose in niedrig entlohnte Jobs abzuschieben. Aber mangels einkommenssichernder Jobs werden die »Nebeneinkommen« wohl in der Regel zu Schwarzarbeit – es sei denn, die EmpfängerInnen des knappen Arbeitslosengelds II haben die Muße, für lau zu arbeiten.

Das Ende der Schwarzarbeit ist daher nicht in Sicht. Zu einer Organisierung der Beschäftigten in prekären Arbeitsverhältnissen gibt es also keine Alternative. Die prekarisierte Arbeit gegenüber der regulären als minderwertig zu qualifizieren, anstatt fehlende Rechte, Pflichten und Anerkennung der prekär oder schwarz Beschäftigten zu benennen, setzt die Ursache der Misere positiv: die Lohnarbeit. Stattdessen wäre die Überschneidung der Interessen von regulär und prekär Arbeitenden und Arbeitslosen hervorzuheben und die Abschaffung des gemeinsamen Jochs anzustreben.