Langer Samstag

Wegen der Aktionen vor dem 1. Mai könnte der Tag so politisch wie selten zuvor ausfallen, wäre da nicht die Revolutionäre 1. Mai-Demo. von ivo bozic
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Kein Thema bestimmt über so lange Zeit die Gespräche in Berliner Szenelokalitäten wie der 1. Mai. Jedes Jahr dreht sich spätestens ab Anfang April alles um den Tag der Arbeit, und frühestens Ende Mai ebben die Diskussionen, die Emotionen und die umfangreichen Projektionen wieder ab.

Dieses Jahr allerdings herrscht relative Gelassenheit in der linksradikalen Szene, denn nach dem schon ans Groteske heranreichenden Demochaos der vergangenen Jahre ist diesmal wieder alles ganz einfach, fast wie früher. Es wird neben der Kundgebung maoistischer und stalinistischer Sekten rund um die Rim (Revolutionary Internationalist Movement) am Oranienplatz nur eine Revolutionäre 1. Mai-Demonstration geben, beginnend um 16 Uhr am Potsdamer Platz. Das Bündnis reicht wie in alten Tagen von undogmatischen Autonomen über postautonome Antifas, antiimperialistische Freunde des »irakischen Widerstands« bis zur PDS-Jugend Solid. Es ist ganz so, als wäre all die Jahre nichts geschehen, als hätte es keine Aufspaltung der Szene gegeben, keine Debatten und Differenzierungen, keine Weiterentwicklung, so als hätte sich der Anspruch der letzten Jahre, nicht mehr mit jedem politischen Deppen zusammen auf die Straße zu gehen, wieder erledigt.

Das linke Bündnis, das im vorigen Jahr eine eigenständige und auch die größte Berliner 1. Mai-Demonstration vom Rosa-Luxemburg-Platz aus organisierte, verzichtet dieses Jahr darauf, am Tag der Tage Präsenz zu zeigen. Dafür plant die ehemalige AAB-Fraktion Kritik & Praxis (KP Berlin) zusammen mit zwei anderen Gruppen bereits am 30. April eine Demo anlässlich der Feierlichkeiten zur EU-Erweiterung am Gendarmenmarkt.

Sowieso wird der 1. Mai in diesem Jahr zwar nicht so lange und kontrovers diskutiert wie sonst, dafür scheint er ewig zu dauern. Nicht nur, dass bereits der Vortag zum Aktionstag wird, was bereits eine gewisse Tradition hat. Das neue linksradikale Aktionsnetzwerk ACT! hat mit seiner Kampagne »Mai-Steine« bereits Mitte April begonnen, die Szene und die Öffentlichkeit auf den 1. Mai hin zu orientieren. Wie seit Jahren versuchen linke Politaktivisten, die ewig gleiche Mai-Randale zu politisieren, mit Inhalten zu füllen. Nachdem die Autonomen das nicht geschafft hatten, erbarmte sich vor zwei Jahren sogar die etablierte Linke um den Politologieprofessor Peter Grottian und versuchte, dem 1. Mai wieder einen politischen Anspruch einzuhauchen.

Dieses Jahr hingegen, ohne die üblichen Szenestreitereien im Vorfeld, scheint es wenigstens teilweise zu gelingen. Die Aktionen der Mai-Steine-Kampagne beziehen sich allesamt auf Politikfelder, in denen Widerstand Not tut. Viele Aktionen reihen sich in die in vielen Städten stattfindenden »Umsonst«-Kampagnen ein, aber auch originelle Proteste gegen die hohen Fahrpreise der BVG, gegen die Amtswillkür in einem Weddinger Arbeitsamt oder gegen die Berliner Bankgesellschaft zeigen, dass es zumindest der linken Szene am 1. Mai um mehr geht als ein paar kaputt geschlagene Telefonzellen. Mit einem Wettbewerb im Barrikadenbau wurde darüber hinaus an den Weddinger Blutmai vor 75 Jahren erinnert.

Schade nur, dass die verdienstvolle inhaltliche Aufladung des 1. Mai durch die Aktionen von ACT! mit der Breite des Mai-Bündnisses wieder in Frage gestellt wird. Wer mit Gruppen wie der Arbeitermacht, die im letzten Jahr vor dem Krieg die »bedingungslose militärische Unterstützung des Irak« Saddam Husseins forderte, zusammen eine Demo organisiert, der darf sich nicht wundern, wenn dort dann ein politisches Potpourri jede inhaltliche Zuspitzung zunichte macht oder wenn dort fragwürdige oder politisch inakzeptable Parolen das Bild bestimmen. Das Bündnismotto klingt denn auch im Gegensatz zum flotten »Sag Ja zum Nein« der Mai-Steine-Kampagne gefährlich altlinks: »Unsere Agenda heißt Widerstand! Zusammen kämpfen gegen Sozialterror und imperialistisches Morden!« Das ist schon fast kompatibel mit den Losungen der Rim, die unter anderem »für das Selbstbestimmungsrecht aller unterdrückten Nationen« eintritt und fordert: »Imperialisten und Reaktionäre – Hände weg von Nepal!« Eine Politisierung des 1. Mai hat nur eine Chance, wenn man ihn nicht zu einem Krämerladen für altlinke Wahrheiten und überholte Parolen verkommen lässt.

Dem 1. Mai einen politischen Gehalt zu geben, jenseits einer willkürlichen und über die Grenzen des Anstands reichenden Bündnispolitik, versuchen in diesem Jahr die Gruppen KP Berlin, PostpessimistInnen und BgR Leipzig mit ihrer Demo am 30. April. »Kommunismus statt Europa« lautet das Motto. In dem umfangreichen Aufruf bezeichnen die Gruppen Europa als »Akteur der neoliberalen Globalisierungspolitik« und als »Sachverwalter von Kapitalinteressen im globalen Maßstab«. Man distanziert sich eindeutig von dem Teil der Friedensbewegung, der seine antiamerikanischen Aversionen in eine Identifikation mit dem »alten Europa« münden lässt. Eben nicht vor allem gegen Amerika, sondern bewusst gegen den Feind im eigenen Land soll sich die Demo richten und sich damit von den meisten anderen linken Demos der letzten Zeit unterscheiden.

Doch wie das mit Aufrufen nun mal so ist: Kein Mensch liest sie. Auf dem Plakat sind nur ein europäischer Stier im Kampf mit einer roten Fahne zu sehen und die Losung: »Kommunismus statt Europa«. Doch damit lässt sich kaum die differenzierte Kritik an Europa vermitteln, die in dem Aufruf versucht wird. Will man bewusst die anlässlich des 1. Mai anwesenden Globalisierungskritiker und andere Demotouristen abfischen? Und was hat das alles mit dem offiziellen Festakt anlässlich der EU-Erweiterung zu tun? Zwar werden im Aufruf ausführlich die ambivalenten Auswirkungen der Ausdehnung und die politischen und wirtschaftlichen Interessen Deutschlands beleuchtet, aber das Plakat wirkt so, als mobilisierten Linke gegen die EU-Erweiterung am 1. Mai. Das aber könnte auch Nazis und andere Wohlstandschauvinisten ansprechen.

Die an sich gute Idee, mit einem kleinen Bündnis eine inhaltlich versierte Demo dem politisch diffusen Massenauflauf am nächsten Tag entgegenzusetzen, wird sich in der Praxis als schwer vermittelbar erweisen. Und wenn dem anspruchsvollen Aufruf lediglich nichts sagende Sprüche folgen – »Gegen ein Europa der Nationen, gegen eine Nation Europa! Let’s push things forward! Für den Kommunismus!« – dann kann man das nicht gerade als inhaltliche Zuspitzung werten. Interne Kritik am Aufruf gibt es vom Bündnispartner BgR Leipzig. Ein Sprecher kritisierte gegenüber der Jungle World, dass zu positiv Bezug auf die Anti-Globalisierungsbewegung und die Proteste gegen das Europäische Wirtschaftsforum in Warschau genommen werde. Dadurch öffne man das Tor zu einer Szene, von deren verkürzter Kapitalismuskritik man sich ja gerade abgrenzen wolle.

Die Demo wird um 18 Uhr am S-Bahnhof Friedrichstraße, also in der Nähe des Festaktes der EU, beginnen und zum Mauerpark ziehen, wo am Abend ein Open-Air-Konzert stattfindet.