Die Steinzeitrechten

Die isolationistische Traditionsrechte in den USA reagiert mit Häme auf die aktuelle Krise der Neokonservativen. Doch wer sind die so genannten Paleocons um Pat Buchanan? von richard gebhardt

Im Frühjahr 2002, als die Vorbereitungen für einen Krieg gegen den Irak bereits auf Hochtouren liefen, häuften sich im politischen Feuilleton die Berichte über eine bis dato in Europa nur wenig bekannte politische Formation, welche Präsident George W. Bush angeblich ihre Ideen, Strategien und Pläne soufflierte. Die Neocons, jene von Vize-Verteidigungsminister Paul Wolfowitz angeführte konservative Gruppierung, die publizistisch flankiert wird von Periodika wie dem von Rupert Murdoch finanzierten Weekly Standard, gelten als die entscheidenden Hintermänner des Krieges. Die Neocons, die Neokonservativen, sind dem Tenor der Berichte zufolge jene intellektuellen Masterminds, die durch geschicktes Networking über Organisationen wie das American Enterprise Institute oder das u.a. von Donald Rumsfeld unterstützte »Project for the New American Century« die Politik der USA bestimmen.

Schnell wanderten zahlreiche Mythen und Zeitungsenten über den großen Teich. So wurde als geistiger Übervater der US-Außenpolitik der altehrwürdige Plato-Exeget Leo Strauss (1899 bis 1973) entdeckt. Dieser vor den Nazis aus Deutschland geflohene Denker lehrte, dass die »Wahrheit« nicht für die Massen bestimmt sei. Weshalb, so die Schlussfolgerung der Strauss-Interpreten im Feuilleton, die Bush-Administration die »Beweise« für die Existenz von Massenvernichtungswaffen im Irak zwecks Täuschung der Weltöffentlichkeit fälschte.

Als politische Traditionslinie der Neocons wurde der Trotzkismus entdeckt, und führende Neokonservative wie Richard Perle geisterten plötzlich als »demokratische Bolschewisten« durch die Presselandschaft. Als Beleg für diese Einschätzung, welche hinter der »Befreiung des Nahen Ostens« Trotzkis Konzept der »permanenten Revolution« entdeckt, gilt die kurze Mitgliedschaft des Essayisten und Journalisten Irving Kristol in einer trotzkistischen Partei in den vierziger Jahren. Kristol, der auch der »godfather« der Neokonservativen genannt wird, war einer der wenigen frühen Vertreter der Neocons, die sich positiv auf diesen Begriff bezogen und ihn zugleich prägnant definierte: »A Neocon is a liberal mugged by reality.« (»Ein Neocon ist ein Liberaler, der von der Realität überfallen wurde.«)

Diese Aussage ist vor allem dem Umstand geschuldet, dass nicht wenige Gründer der damals vor allem an innenpolitischen Fragen interessierten Neocons wie der entschiedene Vietnamkriegsgegner Norman Podhoretz aus der Linken oder wie Ronald Reagans Botschafterin bei den UN, Jeane J. Kirkpatrick, vom antikommunistischen Flügel der Demokratischen Partei zum Neokonservatismus fanden.

Der Rekurs auf die Neocons versetzte die Journalisten in die bequeme Lage, die Triebkräfte der aktuellen US-Politik auf die durchschlagende Wirkungskraft politischer Ideen zurückführen zu können. Manchmal reichte ein schlichter Verweis auf einen entsprechenden Internetlink als Referenz, um den Einfluss der Philosophie von Leo Strauss auf die Bush-Administration zu »belegen«. Auch die einfältige Trotzki-Interpretation wurde, um ein paar Varianten angereichert, auf die deutsche Debatte übertragen. Dass Weltpolitik den Vorgaben einer trotzkistisch inspirierten, nicht selten auch jüdischen Intelligenz und ihrer Kombattanten folgt, galt meist als ausgemacht. Zu verführerisch schien wohl die Möglichkeit, die Weltpolitik mit einem Verweis auf Kabalen, Masterpläne und Intrigen zu erklären.

Dass Bush aufgrund der eskalierenden Situation im Irak die häufiger werdenden historischen Analogien zu Vietnam abwehren muss, dass weder der »preemptive strike« noch das Nation Building bislang die gewünschten Erfolge bei der Befriedung der Region und dem Aufbau einer funktionierenden Infrastruktur erzielen konnten, wird nicht nur in Old Europe mit einer gewissen Häme zur Kenntnis genommen.

In den USA sind es vor allem die traditionellen Paläokonservativen, die mit Spott auf die Vordenker der Bush-Regierung und deren Träume von einer Liberalisierung der Welt durch Kriege für »Demokratie und Menschenrechte« reagieren. Wortführer dieser isolationistisch ausgerichteten Fraktion des US-Konservatismus ist der ehemalige Redenschreiber Nixons und Berater Reagans, Pat Buchanan. Der gelernte Journalist, der während seiner Präsidentschaftskandidatur für die Republikanische Partei bei den Vorwahlen 1992 einige Achtungserfolge erzielen konnte, zählt seit langer Zeit zu den Lautsprechern jener sprichwörtlichen US-Konservativen, für die der von den Neocons mitgeprägte »mitfühlende Konservatismus« eines George W. Bush nichts als watteweiches Schwulengequatsche ist.

In seiner berühmt-berüchtigten Rede auf dem Republikanischen Parteikonvent in Houston, Texas, sprach Buchanan 1992 gar von einem »cultural war«, den das »wahre Amerika« gegen alle führen müsse, die vom konservativen Kanon abweichen. Ob militante Umweltschützer oder radikale Feministinnen, schwule Aktivisten für die Homoehe oder liberale Verteidiger von affirmative action – der Katholik Buchanan hat den Kreuzzug für ein reines, christliches Amerika auf seine Fahnen geschrieben, und seine Artikel sowie die durchaus schlagfertigen öffentlichen Auftritte sind durchdrungen von den unverhüllten Ressentiments eines alten Reaktionärs, der seinen ehemaligen Mitstreitern den »liberalen« Kurswechsel nicht verzeiht.

Sein Magazin, das im September 2002 mit der geringen Anfangsauflage von 15 000 Exemplaren gegründete The American Conservative, wirbt auf seiner Homepage (www.amconmag.com) mit einem Zitat aus der New York Times vom 8. September 2002, in dem Buchanan seinen Austritt aus der Republikanischen Partei begründet. Er streitet gegen die »Entführung« der Grand Old Party und deren Umwandlung in eine globalistische und interventionistische Partei.

Die scharfe Anklage der Bush-Administration wegen der Kriegsführung seit Afghanistan war das zentrale Thema der letzten Monate, vor allem der Einsatz im Irak ist für den ehemaligen Unterstützer der nicaraguanischen Contra geradezu ein Sündenfall. Wenn Buchanan sich aber nicht gerade dem Irak-Krieg widmet oder den Verlust religiöser Werte beklagt – derzeit führt er bibelfest die Feder gegen die Kritiker von Mel Gibsons Jesus-Film »Passion« –, streitet er mit »antikapitalistischen« Parolen für die Rechte des einfachen, fleißigen US-amerikanischen Arbeiters, dem durch Outsourcing der nationale Boden unter den Füßen weggerissen wird. Typisch für Buchanan ist dabei die Mischung aus rechtskonservativen Themen und »klassenkämpferischen« Phrasen, mit denen er seine Polemik gegen billige Arbeitskräfte aus Mexiko und die »vaterlandslosen« multinationalen Konzerne versieht. Wegen dieser Rhetorik hat das linksliberale Magazin The Nation ihn 1995 den »ersten marxistischen Präsidentschaftskandidaten« genannt. Time bezeichnete ihn damals in einer Titelstory gar als den einzigen Kandidaten, der die Interessen der Arbeiter ernst nehme, da er Ausgleichstarife gegen Billiglohn und Sonderzölle auf Importgüter fordert.

Ob in der Abwehr des Multikulturalismus, der Rechte von Homosexuellen oder in der Kritik des Freihandels – Buchanan sieht sich als den wahren Verteidiger von »god’s own country«, als aufrechten Streiter gegen die Auswüchse der liberalen Dekadenz, die von den »linken« Neocons nicht verhindert, sondern gefördert werde. Hatte Buchanan 2000 als Kandidat der Reformpartei des Milliardärs Ross Perot deren Unterstützer gespalten und eine katastrophale Wahlschlappe erlitten, werden angesichts des Terrors im Irak und des wirtschaftlichen Wachstums ohne neue Jobs isolationistische Positionen und protektionistische Forderungen immer populärer. Während die kulturellen Themen im Präsidentschaftswahlkampf wegen der gefürchteten konservativen Kampagnen ohnehin nicht offensiv verhandelt werden – auch die »progressiven« Strategen der Graswurzelkampagne des früheren demokratischen Favoriten Howard Dean warnten vor einer Thematisierung von »god, guns and gays« –, Buchanan hier also bereits den äußersten rechten Flügel der öffentlichen Meinung bildet, ist eine zunehmende Zustimmung auch für seinen Antikriegskurs nicht unwahrscheinlich.

Wenn sich die Lage im Irak verschlimmert, ist nicht auszuschließen, dass Buchanans Klage, die Neocons wollten »amerikanisches Blut vergießen, um die Welt sicherer für Israel zu machen«, in weiteren Kreisen Gehör findet. Und das ist ein wichtiger Unterschied zu früheren Zeiten: Als der Franco-Verehrer Buchanan sich 1999 auf Demonstrationen den Globalisierungskritikern anschließen wollte, wurde er von den people of Seattle noch vom Platz gewiesen. Auf den heutigen Demonstrationen gegen den Krieg würden seine anti-israelischen Parolen kaum auffallen.

Buchanans »America First!«-Rhetorik ist zudem längst Bestandteil der offiziellen Diskussion über den Freihandel. Als etwa Bushs Chefökonom Gregory Mankiw Mitte Februar meinte, Outsourcing nütze der US-Wirtschaft deutlich mehr, als es schade, forderten ihn selbst Parteifreunde zum Rücktritt auf. Präsident Bush distanzierte sich ebenfalls. Sein demokratischer Herausforderer John Kerry wiederum schlägt im Wahlkampf vor, alle Freihandelsverträge einer 120tägigen Prüfung zu unterziehen. Entgegen dem offiziellen Lob der freien Märkte gibt es einen realen »America First«-Protektionismus, der Strafzölle für Konkurrenten und starre Agrarsubventionen längst realisiert hat. Dass aber Buchanans Kampfkatholiken Bush und Kerry hier die Positionen diktieren, war dem enthüllungsfreudigen politischen Feuilleton bislang noch nicht zu entnehmen.