Ein Reförmchen kommt

Neue Maßnahmen für Prekäre und Arbeitslose in Frankreich

»Bis Mittwoch, in Cannes!« grüßten sich in der vergangenen Woche viele Teilnehmer an den Internet-Diskussionsforen der Intermittents du spectacle. Nicht dass die prekären Kulturschaffenden alle Aussicht darauf hätten, bei der Preisverleihung in Cannes die berühmte Treppe hochzusteigen. Doch das Filmfestival an der Côte d’Azur, das am heutigen Mittwoch beginnt, könnte in diesem Jahr nicht ganz störungsfrei ablaufen.

Nachdem Kulturminister Renaud Donnedieu de Vabres vor einer Woche die neuen Maßnahmen für die Intermittents verkündete, kocht erneut die Wut bei den Kulturleuten. Am vorigen Freitag verhinderten engagierte Kulturschaffende in der Pariser Vorstadt Garges-les-Gonesse das Aufladen von Filmrollen und anderem Material für das Festival von Cannes. Erst das Versprechen der Festivalleitung, der Protestbewegung einen Redebeitrag bei der Eröffnungszeremonie zu gewähren, konnte die Lage beruhigen. Mit Tumulten in Cannes wird trotzdem gerechnet.

Präsident Jacques Chirac hatte am 1. April in einer Fernsehansprache eine teilweise Rücknahme der Reform von 2003 angekündigt, nach der viele prekäre Kulturschaffende ihr Recht auf Überbrückungsgelder aus der Arbeitslosenversicherung – und damit ihre Existenzgrundlage – zu verlieren drohten. Doch heraus kam eine »schwindsüchtige Maßnahme«, wie die Gewerkschaft CGT Kultur beklagt. Der Staat will jährlich 20 Millionen Euro in einen Sonderfonds zuschießen, mit dessen Hilfe die dringendsten sozialen Notfälle gemildert werden sollen. Aber das macht derzeit nur monatlich 93 Euro für jeden Betroffenen aus.

Dass der Präsident und die Regierung überhaupt etwas an der Reform änderten, dürfte vor allem auch daran liegen, dass sie ohnehin durch die Gerichte gekippt zu werden drohte. Im Vorjahr hatten die so genannten Sozialpartner – unter der Federführung der sozialliberalen Gewerkschaft CFDT und der Arbeitgeberverbände – es sichtbar zu eilig, als Träger der Arbeitslosenkasse die Sparmaßnahme zu beschließen. Denn ihre Beschlüsse, die per Regierungsverordnung Gesetzeskraft erlangten, weisen eine Reihe von Rechtsmängeln und Formfehlern auf. Der gravierendste unter ihnen: Die zuständigen Gremien bei der Arbeitslosenkasse sind nicht gesetzesgemäß zusammengesetzt. Das bekamen findige Protestaktivisten und ihre Anwälte heraus.

Aus diesem Grunde drohten alle regressiven Reformen, die in den letzten Jahren von der Arbeitslosenkasse beschlossen wurden, annulliert zu werden. Der Oberste Gerichtshof nahm dazu am vorigen Freitag seine Verhandlungen auf. Neben den Intermittents waren auch die Arbeitslosen betroffen, deren Ansprüche ebenfalls – auf Grundlage einer Reform vom Dezember 2002 – seit Anfang dieses Jahres schmerzhaft reduziert worden waren. 300 000 von ihnen waren deshalb aus dem Solidarsystem gefallen und an die Sozialhilfe verwiesen worden.

Angesichts der drohenden Annullierung beider Reformen durch die höchsten Richter hat die Regierung genau hier, in weiser Voraussicht, politischen Ballast abgeworfen. Am Dienstag voriger Woche nahm sie auch die Kürzung der Gelder von Arbeitslosen zurück – aber nur für jene »Altfälle«, die vor 2003 erwerbslos geworden sind. Von ihnen hatten über 2 000 Personen vor Gerichten geklagt und in den ersten Fällen bereits gewonnen.

bernhard schmid