Warten auf ein Wunder

In Nigeria eskalieren die Machtkämpfe der Oligarchie. Enttäuscht von der Demokratisierung, flüchten sich viele Menschen in den religiösen Glauben. von alex veit
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Werden sich nigerianische Wunderheiler bald einer staatlichen Prüfung stellen müssen? Die Rundfunk- und Fernsehkommission NBC hat Ende April verfügt, dass die Sender des Landes nur noch »Wundershows« ausstrahlen dürfen, in denen »beweisbare und glaubwürdige« Wunder gezeigt werden. Die NBC behalte sich, so die Verfügung, die Beschlagnahme der technischen Ausstattungen der Stationen vor, die sich nicht daran hielten. Dagegen protestierte Raymond Dokpesi, Chef verschiedener Radio- und Fernsehsender: »Wenn es einen wissenschaftlichen Beweis für ein Wunder gibt, ist es nicht länger ein Wunder. Sogar Jesus Christus war ein Wunderheiler. Sollten die Menschen, die von Jesus Christus geheilt worden sind, wissenschaftlich überprüft werden? In dieser Hinsicht sollte man vorsichtig sein.«

Viele Sender bestreiten einen Großteil ihrer Einnahmen durch Sendungen, in denen Prediger aus der großen Zahl evangelikaler Kirchen des Landes damit werben, Krankheiten zu heilen, oder dem zahlenden Publikum Reichtum und Glück versprechen. Bislang ignorierten die Sender die Anweisungen der Überwachungsbehörde.

Auch der christliche nigerianische Präsident Olusegun Obasanjo sprach zu Ostern, am Feiertag des wichtigsten Wunders, im Fernsehen. »Ewige Wachsamkeit« sei der Preis der Freiheit, verkündete er den Zuschauern. »Die Zukunft dieses Landes liegt eindeutig in unserer fortgesetzten Befolgung demokratischer Prinzipien.« Hintergrund seiner Ansprache waren Berichte über einen »Verstoß gegen die nationale Sicherheit«, die von Obasanjos Mitarbeitern lanciert worden waren. Die Öffentlichkeit interpretierte diese Berichte als Hinweise auf einen geplanten Militärputsch, über den bereits seit Dezember Gerüchte kursieren. Die Regierung verbot allen Soldaten, die Kasernen zu verlassen.

Doch die größten Gefahren für die erst 1999 in Nigeria wieder eingeführte Demokratie gehen wohl nicht von der Armee aus, sondern von den Konflikten um ökonomische Ressourcen und von der zunehmend autoritären Regierung selbst. Vergangene Woche kam es im zentral gelegenen Plateau-Bundesstaat zum Höhepunkt eines seit Monaten andauernden gewaltsamen Konflikts zwischen christlichen und muslimischen Bewohnern rund um die Kleinstadt Yelwa. Analytikern zufolge streiten sich die verschiedenen Bevölkerungsgruppen um Land und um lukrative Posten in der Lokalverwaltung. Die örtliche Polizei gab den christlichen Angreifern freie Hand, indem sie vor deren Angriff einen »taktischen Rückzug« antrat. Das Rote Kreuz sprach von 630 Opfern, die in einem Massengrab gefunden wurden. Inzwischen wurde eine Ausgangssperre ausgerufen und starke Polizeikräfte aus anderen Landesteilen wurden in dem gesamten Bundesstaat stationiert.

Im ölreichen Niger-Delta im Süden überfielen Ende April schwer bewaffnete, wahlweise als »Piraten« oder »ethnische Jugendmilizen« bezeichnete Angreifer ein Boot des Ölkonzerns Chevron-Texaco. Unter den sieben Toten waren erstmals auch zwei US-Amerikaner, die die Wiederaufnahme der wegen bewaffneter Konflikte seit Monaten eingestellten Ölförderung vorbereiten sollten. Internationale Ölkonzerne kündigten inzwischen an, die Förderung auf Vorkommen im Atlantik verlagern zu wollen, um Konflikte mit der unter Umweltverschmutzung und Armut leidenden lokalen Bevölkerung zu vermeiden.

Und auch die von westlichen Regierungen wegen ihres wirtschaftlichen Liberalisierungsprogramms gelobte Regierung Obasanjo selbst hält sich kaum noch an die »demokratischen Prinzipien«. Inzwischen ist sogar der Verdacht aufgekommen, dass die Gerüchte über den Militärputsch von der Regierung lanciert wurden, um ihr repressives Vorgehen gegen die politische Opposition zu rechtfertigen. Denn bereits seit längerem plante eine Koalition verschiedener Parteien um den letztjährigen oppositionellen Präsidentschaftskandidaten Muhammadu Buhari einen »Marsch der zwei Millionen Männer«, um gegen die Unregelmäßigkeiten bei den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen im letzten Jahr und während der Lokalwahlen Ende März zu protestieren. Die Polizei verbot die Demonstration mit der Begründung, dass »Rowdys und Schurken« sie nutzen könnten, um »Terror und Chaos« zu verbreiten.

Am 2. Mai versuchte die Oppositionskoalition, die Demonstration trotz des Verbots durchzuführen, doch nahmen angesichts der starken Polizeipräsenz in der Wirtschaftsmetropole Lagos und der Hauptstadt Abuja nur 2 000 Menschen an ihr teil. Die Polizeikräfte beschossen die friedlichen Demonstranten sofort mit Tränengas, überfielen und zerstörten ein Büro Buharis und nahmen 200 seiner Anhänger fest.

Linke Parteien und der Gewerkschaftsverband NLC, die mit der konservativen Opposition um Buhari eigentlich wenig gemeinsam haben, kritisierten das Vorgehen der Regierung scharf. »Die schwere Repression friedlicher Demonstranten bestätigt, dass Obasanjo unerbittlich eine seltsame Demokratie führt, in der Dissens und friedlicher Protest als Hochverratsvergehen bestraft werden«, erklärte Gani Fawehinmi von der sozialdemokratischen National Conscience Party (NCP). Segun Sango, Generalsekretär des linksradikalen Democratic Socialist Movement, bezeichnete die Regierung Obasanjo in einem Brief an die nigerianische Tageszeitung Guardian als eine »zivile Diktatur«. Aber die Oppositionsparteien, die die Demonstration organisiert haben, seien nur »das kleinere Monster« im Vergleich zur Regierung: »In den Bundesstaaten, die diese Parteien regieren, haben sie ebenso Wahlen gefälscht, um an der Macht zu bleiben.«

Hintergrund der derzeit eskalierenden Machtkämpfe sind die umstrittenen Wahlen zu den Lokalregierungen, die Ende März stattfanden. Die politischen Strukturen des ursprünglich zentralistisch geführten Landes wurden immer weiter föderalisiert. Doch die Einführung immer kleinerer politischer Einheiten führte nicht wie gehofft zur Vermeidung von Konflikten, sondern zur Ausbreitung der Auseinandersetzungen auf alle Ebenen.

Gerade die Lokalregierungen, die einen Teil des durch Ölexport finanzierten Staatshaushalts erhalten, sind seit der Wiedereinführung der Demokratie 1999 für die Politiker lukrative Einrichtungen geworden. Viele von ihnen bereichern sich und bevorzugen einige Bevölkerungsgruppen willkürlich mit »Entwicklungsprojekten«. Einige Politiker unterhalten vornehmlich aus arbeitslosen Jugendlichen bestehende Milizen, die die vom staatlichen Geldsegen ausgeschlossenen Gruppen gewaltsam in Schach halten.

An der Spitze des Staates streitet sich hingegen eine Oligarchie aus Militärs und zivilen Politikern um den Hauptpreis, die direkte Zusammenarbeit mit den internationalen Ölkonzernen. Anstatt die schwer wiegenden sozialen Probleme des Landes zu lösen, streiten sich die verschiedenen Fraktionen jetzt schon, aus welchem Landesteil der 2007 zu wählende Präsident stammen soll.

Da sie von der Demokratie, die in den langen Jahren der Militärdiktatur als Lösung aller politischen und sozialen Probleme gehandelt worden ist, nichts mehr erwarten, flüchten sich viele Nigerianer in den religiösen Glauben. Während im Norden des Landes Islamisten immer größeren Einfluss gewinnen, setzen sich im christlichen Süden die heilsversprechenden protestantischen Kirchen durch. Die gläubigen Fernsehzuschauer, die die staatliche Rundfunkkommission vor sich selbst schützen will, scheinen dabei keinen Wert auf die Überprüfbarkeit der angepriesenen Lösungen für ihre Notlage zu legen. Immer mehr Nigerianer neigen zu der Ansicht, dass ihnen nur noch ein Wunder helfen kann.