Rrrrrrhythm Girl

Die Berliner Band Rhythm King And Her Friends und ihre fulminante Debütplatte. von jörg sundermeier

Wir reden über Kapitalismus, über Agitprop, der keiner ist, wir reden über eine neue Platte auf dem Kitty Yo-Label, die, anders als die meisten Kitty Yo-Platten der letzten Zeit, nicht von älteren, durchaus eleganten Anzugträgern oder noch ziemlich pubertär-verpickelten Pseudogentlemen eingespielt wurde. Wir reden über eine Band, die aus der Bundeshauptstadt Berlin kommt, doch ist sie weder »typisch Mitte« noch »typisch Kreuzberg«, sie stellt weder eine »klassische junge hungrige Ostband« vor noch ein avanciertes »Visual Art-trifft-Musik-trifft-ein-Mitglied-des-Christoph-Schlingensief-Ensembles«-Spektakel. Diese Band ist außerdem nicht nett und nicht obskur.

Wir reden über Rhythm King And Her Friends, eine Band, die auch aus Marseille kommen könnte oder Split, die keiner Szene angehört und keine Schule bilden will. Eine Band, von der spätestens seit ihrem Auftritt im Vorprogramm der Tournee von Le Tigre vor zwei Jahren viele sprechen. Zu Recht. Auch wenn es seinerzeit manch denkwürdige Verwechslung gab. Eine Freundin von mir ging damals in den Konzertraum des Berliner Clubs Polar TV, in dem üblicherweise Westbam und seine Angestellten ihr Spaßsurrogat an die Menge ausgeben. Sie ging schnell hinein und sah schlecht, denn es waren dort alle und alles von Nebelmaschinen vernebelt worden, und das, was sie sah, war für sie enttäuschend, ja, sogar ärgerlich. Sie kam zurück zu uns, ich plauderte gerade mit einem Freund, sie sagte empört: »Oh Gott, da geh ich nicht rein. Vorher lassen sie so eine Jungs-Elektronika-Frickelband spielen, das passt doch überhaupt nicht zu Le Tigre!« Sie meinte: zu einer selbstbewussten feministischen Band. Zu einer Band, die zwar mit Elektronika und Videotechnik arbeitet, jedoch als Rockband gilt, und sei es nur, weil die Le Tigre-Frontfrau Kathleen Hanna zuvor mit ihrer Band Bikini Kill einigen Erfolg hatte. Vor einer solchen Band nun also sollten Besserwisser-Jungs ihre technische Überlegenheit an Reglern und Knöpfen vorführen und dabei beweisen, dass das Wort hüftsteif auch für die elektronische Musik gilt.

Die erwähnte Freundin hatte allerdings nicht auf den Sound geachtet, nicht auf die Tanzenden vor der Bühne. Denn allein das Bild, dass sich ihr hinter Nebel bot – dünne Menschen mit kurzen Haaren beugen sich über Computer und drehen an Reglern –, hatte sie abgeschreckt: Aha, wusste sie, hier stellen also drei Jungs ihre geschmackssichere Samplesammlung aus, sind publikumsfeindlich, machen etwas, zu dem niemand tanzen mag, und wollen dafür gefeiert und geliebt werden. Man bemerkt die Macht des Ressentiments: Rhythm King And Her Friends sind in Wahrheit drei Frauen, sie tragen allesamt kürzere Haare, und sie frickeln nicht, sie rocken. Das allerdings hatte jene Freundin nicht geglaubt und war selbstsicher in die Genderfalle getappt.

Rhythm King And Her Friends sind also eine Band, die auf einem Label erscheint, das Wimmerboys als elegant und romantisch vermarktet. Sie sind eine Band, die elektronische Musik produziert, ohne sich davon zu distanzieren, ohne einen wie auch immer gearteten Dilettantismus zu pflegen, und sind dabei gleichzeitig etwas, was es in der elektronischen Musik so selten gibt: eine richtige Band.

Mit den Mitteln der elektronischen Musik propagieren Linda Wölfel, Pauline Boudry und Sara John eine queere Politik und bekämpfen Sexismus, Rassismus und all die anderen segensreichen Hervorbringungen einer Wert- und Wertegesellschaft. Dabei sind sie allerdings nicht einfach als Szeneband zu begreifen. Boudry und John erklären im Interview, dass sie überhaupt nichts dagegen haben, auf linken Festivals aufzutreten, es zum Teil sogar mögen, vor oder nach einem dieser dort überpräsenten, martialischen Jungs-HipHop-Acts aufzutreten. Das machen sie, um zu zeigen, dass es auch anders gehen kann. Andererseits wollen sie sich von keinem Spektrum vereinnahmen lassen. Ihre Musik und ihre Texte sind also nicht nur lesbisch, antirassistisch, queer, links, elektronisch oder punkig. Sie sind vieles zugleich. In den Texten heißt es etwa: »I don’t like your body, You don’t like my body / You suck me in / you spit me out.« Und hinter den oft feinen, beinahe leisen Melodien brummt der Bass und die Bassdrum. Das ist kein Elektropunk, kein House, kein elektronisch gewendeter Rock, nichts Verjazztes, nichts Loungiges oder wie immer man diese Sachen so nennt. Diese Musik muss allerdings auch gar nicht kategorisiert werden.

In einem Club wie dem halbseidenen Berliner WMF ist dieses Trio ebenso gut aufgehoben wie in der Berliner Volksbühne (dort spielte es zusammen mit den Goldenen Zitronen), ihre Musik und ihre Texte wirken hier wie dort.

»I Am Disco« heißt nun der erste Longplayer, auf den nach bislang drei verheißungsvollen EPs bereits viele warteten. Und die Subjektergreifung im Titel ist berechtigt, die Rhythm Kings sind wirklich Disco. »I Am Disco« heißt auch, dass sich keine der drei Musikerinnen im Kollektivzusammenhang Band verliert, jede rockt für sich. Und es heißt ebenso: Auch du kannst Disco sein!

Als Vorbilder werden von der Band im selbst verfassten Platteninfo die Bands Liliput, The Slits, Au Pairs, Peaches und Stereo Total genannt. Das befremdet zunächst, ist doch der Sound der Platte nicht unbedingt mit dem Sound der, sagen wir mal, Au Pairs in Einklang zu bringen. Doch geht es bei Rhythm King And Her Friends weder um Imitation: noch Nachahmerei noch um eine wie immer geartete musikalische Traditionspflege. Vielmehr wird eine ungeheure, weil seltene Souveränität präsentiert, wie sie den genannten Bands ebenfalls eigen war oder ist.

Rhythm King And Her Friends gestalten ihre CD-Cover selbst, sie produzieren sich weitgehend selbst, sie gestalten die Visuals für ihre Auftritte selbst und die Musik machen sie sowieso. Dabei gehen sie nicht weiter, als sie können, sie sind keine großen, virtuosen Instrumentalistinnen, keine großen Sängerinnen, doch das, was sie können, und die Weise, in der sie ihre Stücke arrangieren, macht gute Musikerinnen aus ihnen. Die Band funktioniert, weil sie weiß, was sie kann.

Heraus kommt eine rockende elektronische Musik, die sich durchsetzen wird, beim letztjährigen Marke B-Festival flog sogar ein BH auf die Bühne. An Fans also mangelt es der Band nicht. Sie nahm den BH gelassen entgegen.

Rhythm King & Her Friends: I Am Disco.

Kitty Yo/Indigo