Whiskey, Witz & Söhne

Zum 100. Bloomsday: Über den weltberühmten Humor des James Joyce. von stefan ripplinger

Im Jahr 1942, auf Tour mit Merce Cunninghams Kompagnie, komponierte John Cage ein kurzes Stück für präpariertes Klavier. Es beginnt elegisch, endet hämmernd und heißt »In the Name of the Holocaust«. Als ich es zum ersten Mal hörte, drängte sich mir die Frage auf, ob zwischen Jahr und Titel ein Zusammenhang bestehen kann.

1942, als am Wannsee noch geplant wurde, konnte »Holocaust« lediglich das Brandopfer der alten Juden bezeichnen. Doch es schwingt mehr mit. Das Wort entnahm Cage dem Werk eines verehrten Meisters: »In the name of the former and of the latter and of their holocaust. Allmen!« heißt es in »Finnegans Wake« (1939) von James Joyce. Im Namen des Vaters und des Sohnes. Gespielt wird demnach im Namen des Heiligen Geistes, des »Holy Ghost«, der auch an anderen Stellen des »Wake«, »their homely codes«, »the haul it cost«, gemeinsam mit dem Brandopfer aufscheint und verglüht.

1929, nachdem der Satz zuerst in jenem »Work in Progress« erschienen war, das »Finnegans Wake« werden sollte, konnte Thomas McGreevy noch behaupten, der former sei der Ewige, der latter die Welt und der holocaust ebendieselbe, aber vom Feuer der Apokalypse verzehrt (»The Catholic Element in Work in Progress«.) Doch solche fromme Deutung, auch wenn sie unter postmodernen Vorzeichen wieder aufgelegt wurde (Beryl Schlossman, »Joyce’s Catholic Comedy of Language«, 1985), ist längst begraben unter der Asche schlechter Scherze. Verbrannt wird mit »Holocaust« nicht die Welt, verbrannt wird der Heilige Geist. Leider nicht er allein.

Der Satz führt an den Anfang des Dritten Buches des »Wake«, zur, wie Joyce selbst erläutert, »Beschreibung eines Briefträgers, der rückwärts durch die Nacht der bereits erzählten Geschehnisse reist. Sie ist in der Anlage einer via crucis von 14 Stationen geschrieben, aber in Wahrheit treibt nur ein Fass die Liffey hinunter.« (»Letters«, I) Wäre das Fass nicht mit Guinness Export Stout gefüllt, könnte es auch das Markenzeichen eines »nightly quisquiqock of the twelve apostrophes«, eines Dubliner Whiskeys, tragen, »Messrs Jhon Jhamieson and Song«. »JH« heißt, abgekürzt, der hebräische Gott. Vater, Sohn und Spiritus; Religion ist der Schnaps der Abstinenzler, und Joyce ergreift im »Wake« energisch die Partei der Trinker.

»Shaun the briefdragger« erscheint der Hauptperson des »Wake«, HCE (Humphrey Chimpden Earwicker), als sie gerade ihren Rausch ausschläft, übrigens gebettet zu den Füßen der Gattin, eine Gewohnheit, die HCE mit Leopold Bloom und dem Autor selbst teilt. Shaun ist der Milchbubi, Muttis Liebling, das nach Weihrauch stinkende Gegenstück zu dem haarigen, versoffenen, hurenden, aber auch dichtenden Shem. »Postman« und »Penman«, die feindlichen Brüder Shaun und Shem gehören zusammen wie Jekyll und Hyde, Jakob und Esau, und machen den einen HCE aus, einen höchst gewöhnlichen Mann. »These twain are the twins that tick Homo Vulgaris.«

Nun reist also »Shaun the post« durch HCEs whiskytrunkenen Traum und versucht, einen Brief zuzustellen. Dass er dabei den Kreuzweg rückwärts nimmt, darf, mit Adaline Glasheen (»Third Census of Finnegans Wake«, 1977), als Hinweis darauf gesehen werden, dass er der »false Messiah« ist und vermutlich auch der Antichrist persönlich, aber der Fluch löst sich auf in einem Meer von Whiskey und Witzen. Dem bigotten Briefträger, der kaum etwas sagt, das er nicht mit »Amin«, »Aham«, »Allmen« usw. bekräftigte, stellt sich ein Esel entgegen.

Es ist der traumdeutende Esel aus Shakespeares »Midsummer Night’s Dream«, worin der Clown erwacht und sich eines Traums erinnert, der so seltsam ist, dass einer schon ein Esel sein müsste, ihn auszulegen. »Man is but an Asse, if he goe about to expound this dreame.« (In der Schlegel-Tieckschen Übersetzung heißt der Clown Zettel und fährt fort: »Ich will den Peter Squenz dazu kriegen, mir von diesem Traum eine Ballade zu schreiben; sie soll Zettels Traum heißen, weil sie so seltsam angezettelt ist, und ich will sie gegen das Ende des Stücks vor dem Herzoge singen. Vielleicht, um sie noch anmutiger zu machen, werde ich sie nach dem Tode singen.«)

Dieser Esel peinigt Shaun mit Fragen. Dessen Antworten, voller »freudful mistakes«, erweisen seine ganze Scheinheiligkeit. Es fällt auf, dass seine Professorenbrille »jehovial oyeglances« sind, dass sich der Verfressene auf das »faste of tablenapkins« (nämlich das »Feast of Tabernacles«, das Laubhüttenfest) freut, und dass er rastlos umherirren muss, denn »there’s no sabbath for nomads«. Kurz, es scheint etwas Jüdisches an ihm zu sein. Seine »holy orders« führen ihn, wie er klagt, ausgerechnet über »new hikler’s highways«, d.h. Hitlers Autobahnen. Er ist ein »hiker«, ein Wandersmann, und der Esel ruft ihm spöttisch zu: »O flip, you’ve that wandervogl wail withyin!« Da »hikler« auch an »hykler«, das dänische Wort für Heuchler, anklingt, könnte es sogar sein, dass Shaun ein Heuchler ist, ganz anders als der Führer der Deutschen, der stets ausführte, was er angekündigt hat. Immerhin, »chairmanlooking« wie ein deutscher (German) Führer (chairman) tritt Shaun in der Geschichte von »Ondt und Gracehoper«, alias Ameise und Grille, auf; die fleißige Ameise ist Shaun, die müßige Grille Shem. Shaun gibt dem Esel seine Version dieser Äsopschen Fabel und bekräftigt dann noch einmal laut und dumm: »In the name of the former and the latter and of their holocaust.« Er signiert eine Karikatur seiner selbst.

Kurz davor hat er, wie immer Gott anrufend, »pease Pod pluse murthers of gout« (please God, please mother of God; nahe liegt aber auch murderer of God und des goat, nämlich des Bocks, und des goût, nämlich des Geschmacks), ein »savings book«, eine Verteidigungsschrift in der Form von Boxhandschuhen aus Bocksleder, »in the form of a pair of capri sheep boxing gloves« (capri, lateinisch für Bock), angekündigt, die unter anderem vom »sindybuck« handeln soll. Shaun ist der Sündenbock, und auch der bezeichnet zugleich jüdische Tradition und jüdisches Schicksal.

Dabei ist Shaun so wenig ein Jude wie HCE ein »episcopalian« ist. Und, schreibt Bernard Benstock, »Blooms Judentum ist so lachhaft wie sein Christentum«. Aber der ungeliebte Teil von HCE, die Abspaltung Shaun, besitzt gewisse, als jüdisch klassifizierte Eigenschaften. Auf diese Weise wird Gunst und Missgunst auch in andern Fällen vom Autor verteilt. Wird, wie Benstock (»Joyce-again’s Wake«, 1965) analysiert, HCE als der legitime Nachfolger Oscar Wildes inszeniert, dann fällt es Bruder Leichtfuß Shem zu, den irischen Spötter und Ästheten Wilde zu geben, während der schmierige Shaun der »pedestriast« sein muss, nämlich der Päderast ebenso wie der Fußgänger (pedestrian; es ist daran zu denken, dass die Homosexuellen in Dantes Inferno zum unaufhörlichen Umhergehen verdammt sind, wie übrigens der »Ewige Jude« der antisemitischen Legende). Dabei reiste Wilde selten zu Fuß.

Ein Werk zu verstehen, kann ebenso unangenehm sein, wie ein anderes misszuverstehen. Scheußlich wäre es, bezöge sich der Titel »In the Name of the Holocaust« auf das Jahr 1942. Aber als Bruhaha eines G’spaßlhubers, dem nicht nur, wissenschaftlich belegt, mindestens 130 Wortwitze zu Pipi eingefallen sind (»pease, peacies, peewee, pispigliando, inspissated, Piscisvendolor«, usw. usw.), sondern auch ungezählte über die jüdische Tradition, und selten ein guter, bereitet er ebensowenig Vergnügen.