Die wollen nur Spiele

Nicht alle Tel Aviver wünschen sich Olympia in ihrer Stadt. Aber eine kleine Gruppe arbeitet sehr eifrig an der Realisierung dieser Idee. von martin krauss

Die Einwände gegen seinen Plan kennt Amir Navon alle. Es sind viel mehr, als einem Kritiker auf die Schnelle einfallen. Amir Navon ist 31 Jahre alt, zusammen mit Mickey Ben-Gan betreibt er ein Architekturbüro in Tel Aviv, und sie haben eine irre Idee: die Olympischen Spiele nach Tel Aviv zu holen.

Als 1992 die Judoka Yael Arad die erste Olympiamedaille für Israel gewann, war sie derart beseelt vom olympischen Geist, dass sie und ihr Bruder Yuval gleich Tel Aviv als Bewerberstadt für das Jahr 2008 eintragen wollten.

Daraus wurde natürlich nichts. Aber Alex Gilady griff die Idee 1999 auf. »Ein Traum sollte geträumt werden«, formulierte das einzige israelische Mitglied im Internationalen Olympischen Komitee zwar nicht gerade argumentativ, aber doch ziemlich griffig.

Giladys Traum traf sich mit zwei anderen ebenso unscheinbaren Ereignissen: Zum einen hatten gerade drei Architekturstudenten der Universität von Tel Aviv ihre Abschlussarbeit vorgelegt. Und zum anderen bot dieselbe Universität gerade einen Sommerkurs an. Das Thema der Arbeit von Amir Navon, Mickey Ben-Gan und Yuval Shidlovsky war, wie Olympische Spiele in Tel Aviv aussehen könnten. Und der Sommerkurs hieß »Business Entrepreneurship – The 2012 Olympics«.

Aber als Gilady im Jahr 2000 an die Öffentlichkeit ging, winkte sogar Zvi Varshaviak ab, der Präsident des Israelischen Olympischen Komitees. »Das Ganze ist aus zwei Gründen nicht realistisch«, verkündete er damals. »Der erste ist die Sicherheitssituation: Solange wir keine Ruhe hier haben, bekommen wir auch kein Olympia. Der zweite ist die Ökonomie: Ein Projekt wie dieses benötigt eine Investition der Regierung von hunderten Millionen Dollar, und ich sehe nicht, dass sie sich in diese Richtung bewegt.«

Mit solchen Überlegungen haben Navon und Ben-Gan nichts zu tun. »Wir planen eine West-Ost-Route in der Stadt«, sagt Navon, als spräche er damit die Zauberformel aus. Von der baulichen Seite her könnte es klappen. »Das Besondere ist, dass nichts neu gebaut, aber auch nichts zerstört werden muss«, erläutert Ben-Gan, und Navon ergänzt: »Wir nutzen nur bestehende Gebäude.«

Auf die Idee, die Tel Aviver Spiele von West nach Ost, also vom alten Hafen der Stadt bis hin zu den Vorstädten Ramat Gan und Petah Tikwa zu planen, sind sie sehr stolz. 47 Austragungsorte sollen innerhalb einer Länge von weniger als 20 Kilometern genutzt werden.

»Wir planen entlang des Grünstreifens von Tel Aviv, der an den Ufern des Jarkon verläuft.« Der Jarkon ist ein kleiner Fluss, der Grünstreifen beginnt am alten Hafen Tel Avivs, zieht sich nach Osten bis in die Vororte und reicht dann wie ein Hufeisen nördlich wieder zum Mittelmeer zurück.

»Hier ist das Nationalstadion Israels«, erläutert Ben-Gan, »das hat 42 000 Sitzplätze, wir werden es auf 60 000 Plätze vergrößern und zu einem Olympiastadion ausbauen. Dann sind da die Tennisplätze mit einem großen Center Court. Und da sind die Gebäude des Messegeländes, in denen 60 Prozent der Indoor-Sportarten stattfinden können.« Ein größerer Holzklotz des Modells steht in der Nähe des Hafens. »Makkabi Tel Aviv, der Basketballmeister, wollte hier eine Trainingshalle bauen«, berichtet Navon. »Wir haben sie überzeugt, eine neue große Sporthalle mit 15 000 Sitzplätzen zu errichten. Der Verein hat zugestimmt. Die alte Halle, die 10 000 Sitzplätze hat, kann dann anders genutzt werden.«

Die anderen Klötze werden von Mickey Ben-Gan erläutert: Das Pressezentrum kommt in alte Hallen am Hafen, vor dem auch die Segelwettbewerbe stattfinden sollen. Rudern, Kajak und Kanu sollen im See Genezareth ausgetragen werden, und für die Reiterwettbewerbe denken sie an Ramat Hasharon, einen Vorort von Tel Aviv. »Das Olympische Dorf soll weit im Osten entstehen, in Petah Tikwa.« Auch das ist ein Vorort.

Schon kommen die von Olympia begeisterten Architekten auf eine andere Dimension ihres Plans zu sprechen. »Die Stadtverwaltung wollte da«, Ben-Gan zeigt auf eine Stelle seines Modells, »mehr Industrie am Jarkon ansiedeln. Aber wir schlagen eine strikte Trennung von Industrie, die sich ja nicht um die Umwelt kümmert, und dem Olympischen Dorf vor, in dem später Wohnungen entstehen. Das hätte mehr Grün zur Folge als bei den gegenwärtigen Planungen.«

»Der Jarkon ist ein sehr verschmutzter Fluss«, sagt Ben-Gan. »Durch Olympia kann er auch wieder sauberer werden.« Was Israels Fähigkeit angeht, große Sportereignisse auszutragen, hat der Jarkon traurige Berühmtheit erlangt. 1997 stürzte eine Brücke ein, über die Sportler zur Eröffnungsfeier der Makkabiade gingen, den »Olympischen Spielen für Juden«. Etwa hundert Sportler fielen in den Fluss, vier von ihnen starben. Die Todesursache bei drei Toten lautete Vergiftung. (Jungle World, 32/00) Für das IOC-Mitglied Gilady ist die Makkabiade-Tragödie sogar ein weiteres Argument für die Olympiabewerbung. »Wir haben unsere Lektionen definitiv gelernt«, sagte er vor vier Jahren in einem Interview. »Es ist gut, unsere nationale Schande so auszukratzen.«

Auf diese Auseinandersetzungen wollen sich Navon und Ben-Gan nicht einlassen. Und auch mit der Regierung wollen die Planer eher wenig zu tun haben. Die wechselt zu oft, ist zu oft in Koalitionskrisen verwickelt. Zwei ehemaligen Premierministern, Ehud Barak von der Arbeiterpartei und Benjamin Netanjahu vom Likud, wurde das Projekt vorgestellt. »Beide waren beeindruckt«, sagt Naron. Auch zwei frühere Finanzminister seien dafür.

Sogar Palästinenserchef Yassir Arafat soll seine Unterstützung signalisiert haben. Ben-Gan sagt: »Er hat seine Interessen. Schließlich würde ja auch einiges in den ›Gebieten‹ stattfinden, in Jericho oder Ramallah«, etwa die Vorrundenspiele im Fußball.

Ganz am Anfang waren sogar noch »Tel Aviv-Gaza« oder sogar »Jerusalem-Gaza«-Spiele im Gespräch. An die politische Symbolkraft, die solche Spiele haben könnten, glauben die Architekten jedoch nicht mehr. »Ohne einen Friedensvertrag bekommen wir doch ohnehin nicht die Spiele«, sagt Ben-Gan. »Aber mit dem Traum von Olympischen Spielen kann der Frieden schneller kommen.«

Die Begeisterung von Navon und Ben-Gan teilen jedoch nicht alle. Die linksliberale Ha’aretz hat ihre Pläne mit der Olympiabewerbung Kairos für das Jahr 2008 verglichen. Die ägyptische Hauptstadt bekam in den meisten Punkten vom IOC bescheinigt, zu schlecht zu sein. »Tel Aviv mit seinem dauernden Verkehrskollaps«, hieß es in der Ha’aretz, »ist näher an Kairo als etwa an Toronto.«

Mickey Ben-Gan hält davon nichts. »Wir müssen immer lachen, wenn wir den Vergleich zu Kairo lesen. Schauen Sie sich das Bruttoinlandsprodukt von Tel Aviv an. Das ist doppelt so groß wie das aller arabischen Hauptstädte zusammengenommen.«

Sein Kollege Amir Navon möchte sich gar nicht auf eine solche Ebene hinabbewegen. »Die Sache, um die es geht, sind doch gar nicht die Spiele selbst«, sagt er freundlich. »Es ist der Traum davon.«

Als möchte er zeigen, dass er doch von dieser Welt ist, sagt er: »Sogar Samaranch glaubt nun, dass es möglich ist.« Und damit das Gespräch noch ein wenig konkreter endet, fügt er hinzu: »Vielleicht 2020. Das könnte ein gutes neues Ziel sein.«