Da capo

Herrschaft in Deutschland von stefan ripplinger

Als der Putzfrauensohn Servius Tullius, von der Natur begabt, von den Göttern begünstigt, 44 Jahre lang aufs glücklichste geherrscht hatte und das Herrschen leid war, wollte er seine vom Volk Roms verliehene Macht an dieses zurückgeben. So weit kam es aber nicht, denn sein Schwiegersohn stieß ihn eine Stiege hinunter, und seine Tochter ließ ihren Wagen über den Vater, der es noch bis zur Straße geschafft hatte, hinwegrollen und ihn zerquetschen.

Gerhard Schröder, von niederer Abkunft auch er, aber weitaus weniger begabt und begünstigt, hat dieses Schicksal nicht zu befürchten. Bevor ihn Fischer die Stiege hinunterstürzt und die SPD ihn überfährt, wird ihm seine Macht entrungen sein. Aber es wird ihm, anders als jenem römischen König, nachdem er abdanken musste, niemand einen Tempel errichten; es sei denn in Wolfsburg.

Er kann, wie Helmut Kohl, nur darauf hoffen, dass die Schreckensherrschaft seines Nachfolgers die eigene in einem milderen Licht erscheinen lässt. Die historische Erfahrung spricht für ihn. Denn war es denkbar, dass auf Brandt auch noch ein Schmidt, auf Schmidt aber ein Kohl folgen könnte, dessen tatsächliche Herrschaft lediglich 16 Jahre währte, im Empfinden der Prekären und Heiklen aber weitaus länger als die glücklichen 44 des Servius? Und konnte sich selbst die finsterste Phantasie ausmalen, dass nach dieser schier nicht enden wollenden Zeit des politischen und zivilisatorischen Niedergangs etwas noch viel Schlimmeres, kurz ein Schröder, über uns hereinbricht? Vielleicht die des DDR-Bürgers allein, der 22 Jahre mit Ulbricht, 18 mit Honecker verbracht hat.

Nach diesen heiteren Fragen eine ernste: Wie kann es sein, dass all diese deutschen Regenten gewählt und wiedergewählt wurden und, Ulbricht und Honecker eingeschlossen, die längste Zeit sich der prinzipiellen Zustimmung ihres Volks gewiss sein konnten? Weil es weiß, dass es immer noch schlimmer kommt? Das wäre allzu schön. Die bittere Wahrheit ist, dass jeder beliebige Bananenstaat demokratischer verfasst ist als Deutschland, dessen Mangel an Regierungskrisen, Staatsstreichen und Brutussen erschreckt, von Revolten und Revolutionen zu schweigen; Deutschland, dessen natürliche Regierungsform die große Koalition ist; Deutschland, dessen sklavische Bevölkerung vier Jahre lang über Praxisgebühren oder Lohnkürzungen jammert, nur um dann brav zur Wahlurne zu gehen und, aus dem niedersten aller Beweggründe, der Sehnsucht nach Sicherheit, dasselbe noch einmal zu bestellen. Zwar gibt es, in vier oder fünf Ausführungen, nur eine einzige Partei, aber warum gibt es nur eine einzige? Und wenn es nur eine einzige gibt, weshalb sie akklamieren? Weil der Deutsche nun einmal regiert werden will, egal wie schlecht, Hauptsache, regiert.

Anstatt von kleineren Übeln zu schwadronieren, die sich, wie gesehen, leicht zu größeren auswachsen, sollte die Linke den Wahlverzicht lehren. Versprechungen verbieten sich. Als es noch den Spätkapitalismus gab, konnte sein baldiges Ende, ob mit Freuden, ob mit Schrecken, erwartet werden, aber unmerklich ging der Spät- in einen Frühkapitalismus über, der Kreis schloss sich, und nun beginnt alles wieder von vorn.