Dem Knast verhaftet

Kriminologen sind sich einig, dass sich Verbrechen nicht voraussagen lassen. Doch schon schlechte Führung in der Haft kann künftig eine Sicherungsverwahrung nach sich ziehen. von tillmann löhr

Edmund Stoiber (CSU) kann wieder ruhig schlafen. Denn der Bundestag hat beschlossen, dass es möglich ist, auch nachträglich eine Sicherungsverwahrung für Straftäter zu verhängen. Noch im Februar verkündete Stoiber: »Ich werde nicht locker lassen, bis wir in Deutschland ein Gesetz haben, mit dem besonders gefährliche Straftäter, zum Beispiel Triebtäter, weggesperrt werden können, notfalls für immer.«

Dieses Gesetz hat er nun.

Ganz neu ist es zwar nicht. Straftäter, die eine Haftstrafe verbüßt haben, können schon seit langem auch nach deren Ende in Sicherungsverwahrung inhaftiert bleiben. Neu aber sind die allmähliche Aufwertung und die Ausdehnung des Anwendungsbereichs dieses Instruments in jüngster Zeit.

Ihren Ursprung hat die Sicherungsverwahrung im so genannten Gewohnheitsverbrechergesetz von 1933. Relativ unbeschadet schaffte es den Sprung ins bundesrepublikanische Strafgesetzbuch und ist seitdem in juristischen Fachdebatten eines der umstrittensten Instrumente des Strafrechts. Obgleich die plausibelsten Argumente in dem Streit stets die für die Abschaffung der Sicherheitsverwahrung waren, widerstand sie beharrlich allen Einwänden. Das mag unter anderem daran gelegen haben, dass sie bislang noch vergleichsweise strengen Kriterien unterlag. Wer in Sicherungsverwahrung kam, musste bereits mehrere hohe Freiheitsstrafen hinter sich haben. Erst dann konnte bei einer erneuten Verurteilung wegen eines schwer wiegenden Verbrechens ein »Hang zu erheblichen Straftaten« als Gefahr für die Allgemeinheit per Sachverständigengutachten festgestellt werden – und zwar zum Zeitpunkt, zu dem das Urteil erging. Das geschah in der Regel zu selten, als dass der Streit um die Legitimation der Sicherheitsverwahrung außerhalb wissenschaftlicher Fachkreise hätte Aufmerksamkeit erregen und eine öffentliche Empörung provozieren können.

Erst als in den neunziger Jahren die so genannte Innere Sicherheit zum bestimmenden Thema in der Innenpolitik wurde, stand eine Neubewertung der Sicherungsverwahrung auf der Tagesordnung. Lanciert wurde sie von ihren Befürwortern als wieder entdecktes Wundermittel gegen Massenmörder, Kinderschänder und andere Projektionsfiguren sicherheitspolitischer Bedürfnisse.

In vier Schritten wurden die Kriterien für eine Sicherungsverwahrung seit 1998 erweitert. Man erfasste nun auch Ersttäter und gab die Höchstdauer von zehn Jahren auf. So war der Weg frei, endlich Ernst zu machen mit der populistischen Parole »Wegsperren, notfalls für immer«. Nur eine Gesetzeslücke blieb: Was tun mit Tätern, bei denen das Gericht zum Zeitpunkt des Urteilsspruchs das Ungeheuer im Angeklagten nicht erkennt? Die Antwort folgte im Jahr 2002 mit einer weiteren Änderung: Wenn das Gericht sich im Urteil die Sicherungsverwahrung vorbehalten hat, kann es sie auch Jahre später anordnen, sollte sich während der Haft die Gefährlichkeit des Strafgefangenen herausstellen.

Im April dieses Jahres wurde dann zunächst der Personenkreis um Heranwachsende, also um 18- bis 21jährige, erweitert. In bestimmten Fällen können sie nun ebenfalls in die Regelung einbezogen werden. Damit nicht genug. Sobald die Entscheidung des Bundestags vom vorletzten Freitag in Kraft tritt, kann eine Sicherungsverwahrung auch ohne den entsprechenden Vorbehalt im Urteil nachträglich angeordnet werden.

Durchgesetzt haben sich mehrere von der Union regierte Bundesländer, die seit 1998 immer wieder versuchten, entsprechende Gesetzesinitiativen im Bundestag einzubringen. Nachdem sie damit gescheitert waren, erließen sie landesgesetzliche Regelungen, die das Bundesverfassungsgericht am 10. Februar 2004 für verfassungswidrig erklärte, allerdings nur aus formalen Gründen. Den Ländern fehle die Zuständigkeit. Das Gericht erklärte die Gesetze deshalb nicht für nichtig, sondern lediglich für begrenzt gültig, bis September 2004. Das Parlament bekam so die Möglichkeit, die Regelung auf Bundesebene umzusetzen. Und das ist nun geschehen.

Für den Umstand, dass dieser »Umweg« gegangen werden musste, fand der Initiator Stoiber deutliche Worte: »Es ist ein Skandal, dass Deutschland immer wieder von schrecklichen Verbrechen vor allem an Kindern erschüttert wird, und SPD und Grüne aus fadenscheinigen Gründen verhindern, dass es einen besseren Schutz vor diesen Tätern gibt.« Er unterschlägt, dass die »fadenscheinigen Gründe« recht eindeutig in der europäischen Menschenrechtskonvention und im Grundgesetz verankert sind. Das Verbot der Doppelbestrafung, die Unschuldsvermutung sowie das Bestimmtheitsgebot sollen verhindern, dass Menschen, die die Strafe für eine begangene Tat längst abgesessen haben, auf unbestimmte Zeit für Taten inhaftiert bleiben, die sie nicht begangen haben und vielleicht nie begehen würden.

Mittlerweile stellt indes auch die Regierungsmehrheit gesundes Volksempfinden über internationale Menschenrechtsstandards. Die Sicherungsverwahrung kann auch dann über Häftlinge verhängt werden, »wenn sich Anhaltspunkte für ihre Gefährlichkeit erst nach ihrer Verurteilung ergeben«, sagte Justizministerin Brigitte Zypries nach der Verabschiedung des Gesetzes. Das wird auf einige Straftäter zutreffen. Denn es bleibt völlig unklar, was als Anhaltspunkt zu werten ist. Und selbst wenn man eine hohe Rückfallquote annimmt, bleiben immer auch die Betroffenen inhaftiert, die in Freiheit keine Straftaten mehr begehen würden. Ganz zu schweigen davon, dass jeder Sachverständige, der Straftaten voraussagt, sich in Widerspruch zur kriminologischen Forschung setzt. Dort gilt der Grundsatz, dass zuverlässige Prognosen über die künftige Gefährlichkeit eines Menschen nicht möglich sind. Wie auch? Wer einen »Hang zu Straftaten« unterstellt, nimmt den »geborenen Verbrecher« an, der unabhängig von äußeren Einflüssen das Böse als unabänderliches Wesensmerkmal in sich trägt.

Darüber hinaus bleibt nach der jüngsten Gesetzesänderung als Grundlage für die Beurteilung seiner künftigen Gefährlichkeit allein das im Knast gezeigte Verhalten des Inhaftierten. Wie aber soll der Haftalltag mit seinen Demütigungen und Gewalterlebnissen Aufschluss über das Verhalten eines Menschen außerhalb dieses Soziotops geben?

Überraschen kann die dargestellte Entwicklung nicht. Vielmehr steht sie exemplarisch für den Wandel staatlichen Umgangs mit abweichendem Verhalten. Es wird nicht länger nur repressiv auf begangene Taten reagiert, sondern Regelverstöße sollen präventiv verhindert werden. Man darf gespannt sein, was als nächstes kommt.