Ein Hausgott in Lüdenscheid

Die harmloseste Reality Soap der Welt läuft im ZDF: »Gottschalk zieht ein«. von martin schwarz

Zugegeben, die Story beginnt, als hätten die Drehbuchschreiber des ZDF stundenlang Ideen gewälzt, um dann erschüttert von der eigenen Einfallslosigkeit die allerdümmste Lösung zu wählen. Die Aufgabe lautete: Wie verkaufen wir der Nation glaubwürdig, dass Norbert, der Familienvater aus Lüdenscheid, dringend für fünf Tage sein Haus verlassen muss, um Thomas Gottschalk Platz zu machen? Die Lösung lautet: Norbert aus Lüdenscheid muss ganz dringend nach Dresden, um die Stadt bei Nacht zu fotografieren. So etwas kommt in den besten Familien vor. Tausende Männer verlassen ja täglich Frau und Kind, um mal für einige Tage in die Stadt ihres Vertrauens zu fahren und dort die Nacht auf Zelluloid zu bannen. Den Redakteuren aus Mainz seien zur Vermeidung künftiger geistiger Anstrengungen hier einige weitere Legitimationen ins Skript geschrieben: In den nächsten Folgen könnten die jeweiligen Familienväter wahlweise a) fünf Tage lang Zigaretten holen gehen oder b) den Auftrag erhalten, den Reichstag zu verhüllen oder c) zu Thomas Gottschalks Familie nach Malibu ziehen.

Ansonsten aber war die Story von schockierend beschaulicher Schlüssigkeit: Thomas Gottschalk in einen ganz ordinären deutschen Haushalt zu schicken, damit er der ehemann- und vaterlosen Familie im Weg herumsteht und dabei doch Beweglichkeit und Hilfsbereitschaft zeigt, das ist ein Plot, der traditionelle ZDF-Zuseher ganz bestimmt nicht aus ihrem Dämmerzustand holt. Dabei wurde der Star in seiner ganzen Vielseitigkeit ins Bild gesetzt; im Vorspann durften wir ihm noch beim Rumstehen in der Suite im Berliner Hotel Adlon zusehen und beim Rumsitzen in der schwarzen Limousine, stets begleitet von den ehrfürchtigen Blicken des Personals, umgeben von Menschen, deren größtes Glück darin bestanden haben dürfte, dem »Wetten, dass …«-Moderator die Tür zu öffnen.

Mit einem harten Bildschnitt wurde der Zuschauer dann nach Lüdenscheid gebeamt, in eine nette kleine Siedlung, wo sich nette kleine Häuser friedlich und nur von Gartenzäunen getrennt aneinander schmiegen. Ein Biotop der unverbindlichen Freundlichkeit zwischen Nachbarn, dort, wo Kampfhunde keine Chance haben und die Menschen nicht arbeitslos sind. Genau hierher kam Thomas Gottschalk, um sich in das Alltagsleben einzufügen. Der Zuschauer sollte zumindest in den ersten 20 Minuten erfahren, dass der Thomas Frikadellen brutzeln und auch mit dem Hochdruckreiniger umgehen kann. Dabei bleibt aber der Thomas der sympathische Tölpel, der sich beim Kochen in den Daumen schneidet und den Herd einzuschalten nicht in der Lage ist.

Überhaupt: der blutende Daumen. Der wurde im Laufe der Sendung immer mehr zum Hauptdarsteller. Der Quotenkönig nuckelte bei jeder Gelegenheit an der verletzten Extremität und ließ sich von Hausfrau Friederike mit Wundpflaster versorgen. Groben Schätzungen zufolge dauerte der Daumennotfall etwa sechs Stunden, in denen der Star ganz bestimmt Höllenqualen litt und dennoch eisern durchhielt. Um knapp 12 Uhr mittags geschah die Kollision zwischen Messer und Finger. Als Friederike und Thomas um etwa 18 Uhr das Haus verließen, klagte Thomas Gottschalk noch immer über Schmerzen. Die Nation ist entzückt: Obwohl von der Amputation des Greiforgans bedroht, verweilte Thomas Gottschalk ohne ärztlichen Beistand im Kreise seiner Leihfamilie.

Wirklich bemüht war das ZDF auch darum, dass die Familie den altgedienten Wettkönig Gottschalk als einen Grundsympathen erscheinen lässt und dass sie lauter Nettigkeiten absondert. »Man behandelt ihn so, als wenn er ein ganz Normaler wäre«, meint Tochter Katharina, 16 Jahre alt, in einem der gewieft eingeschnittenen Einzelinterviews.

Noch einen mächtigen Sympathiepunkt mehr erbrachten jene kurzen Szenen, in denen sich Gottschalk morgens um 6.30 Uhr aus dem Bett wuchtete, um erst die Katze der Familie ins Haus zu lassen und dann ein Frühstück zuzubereiten. Da nämlich entdeckte der Zuschauer, dass der ewig jugendliche Bühnenclown eben keine 16 mehr ist. Die Augen klein und beeindruckend verquollen, die Haut zerknittert wie Krepppapier. »In der Frühe sehe ich noch aus wie der japanische Botschafter«, flüstert Thomas, in einen orangen Pyjama gewandet, und spielte damit auf seine kleinen Äuglein an. Will heißen: Sieh her, Nation, auch ich werde älter, aber deshalb nicht schlechter. Brauchbar bin ich noch immer.

Bis dahin war die ganze Show eigentlich ganz erträglich, doch irgendwo ab Minute 23 mutierte die Angelegenheit zur unvermeidlichen »Der reiche Onkel aus Amerika«-Kiste. Schluss mit Kochen, Schluss mit Frühstückszubereitung für die Familie. Plötzlich wurde Gottschalk auch im Lüdenscheider Eigenheim zu dem Mann, der er ist: ein Star mit Einfluss und Kohle. Einer, der den Lüdenscheidern zeigt, wo das Leben tobt. Einem der Söhne der Familie etwa hat der nette Onkel Thomas mal eben schnell 20 Euro Belohnung zugesteckt, damit der Kleine auch brav seine Lateinvokabeln paukt. Aber das sind natürlich Peanuts. Den Höhepunkt der »Was Fernsehen alles organisieren kann«-Orgie stellte jener Ausflug dar, den Gottschalk und die Hausherrin Friederike unternahmen. Im Privatjet! Nach London! Für nur einen Abend! Zum Queen-Musical! In die Königsloge! Mit Sekt im Flugzeug! Friederike war hin und weg. So etwas hat sie bestimmt noch nicht erlebt, sie gab sich aber bescheiden, wie es sich für jemanden ziemt, der in Lüdenscheid lebt und von dem sonst niemand Notiz nimmt. Sie ist nun mal das bescheidene Leben gewöhnt.

Auch die Kinder durften noch mal von dem Promi-Bonus des Ersatzvaters profitieren. Im Stadion von Borussia Dortmund durfte Tochter Katharina ihre Stars ganz aus der Nähe erleben, ja, ein Fußballer patschte klitschnass und nur mit einem Handtuch bekleidet aus der Kabine, die Haut glänzend, die Muskeln gespannt, an Katharina vorbei. Das Ergebnis war, dass Katharina sich am Rande eines hormonell bedingten Nervenkollapses befand.

Die Sendung endete, wie sie enden musste und wie das ZDF es geplant hatte: als philosophische Abhandlung über die Gegensätze zwischen Arm und Reich, zwischen Golf und Jaguar, zwischen Campingplatz und Luxushotel. Gegensätze aber, die nicht zum Konflikt ausarteten, sondern in diesem Fall zum sanften Einschlummern vor dem Fernsehapparat einluden. Beschaulich saßen Friederike und Thomas auf dem Sofa, schwenkten ihre Weingläser, aus Gottschalks Mund wuchs eine überdimensionale Zigarre und alles mündete in ein Gespräch. »Ich sag das ganz ehrlich, wir könnten es uns nicht leisten, wenn unsere Kinder alles bekommen wollten, was sie zum Beispiel auf der Speisekarte entdecken«, sagte Friederike mit dem Stolz jener Menschen, die nicht über eine goldene Kreditkarte verfügen. Und Thomas gab freimütig zu: »Meine Kinder schlagen da schon zu.« Aber glücklich, so die staatstragende Botschaft des Formats, sind sie letztlich alle. Privatflugzeug? Muss nicht sein. Mal für einen Tag nach London jetten? Nicht nötig für Lüdenscheider.

»Gottschalk zieht ein«, ZDF, donnerstags 20.15 Uhr