Company Rule

Ölfirmen sind zentrale Akteure in der Kriegsökonomie des Nigerdeltas, stellt ein interner Report für Shell-Nigeria fest. von levin füks

Wenigstens einen Hubschrauber für die Marine im Delta State wünscht sich Gouverneur James Ibori. Doch er räumt ein, dass die Kämpfe in der Region, die nach der Aufkündigung eines Friedensabkommens zwischen den Milizen der Ijaw und der Itsekeri in der vergangenen Woche erneut zu eskalieren drohen, kein militärisches Problem sind. Die »Verwüstung der Umwelt« und die »Marginalisierung« seien die Ursache der Konflikte. Deshalb habe er immer wieder an die Ölkonzerne appelliert, »bei der Entwicklung des Gebietes zu helfen«.

Doch die im nigerianischen Nigerdelta aktiven transnationalen Ölfirmen heizen durch Korruption, Landakquisition, Umweltverschmutzung und die Ausstattung von Jugendgruppen mit Wachschutzverträgen lokale Konflikte an. Die Konzerne sind zentrale Akteure in den gewalttätigen Auseinandersetzungen in und zwischen den Dörfern und Gemeinden, die mehr als 1000 Menschen jährlich das Leben kosten. Zu diesem Ergebnis kommt nicht etwa eine der wenigen Umwelt- und Menschenrechtsgruppen, die sich für die Vorgänge im Nigerdelta interessieren, sondern ein von der Shell Petroleum Development Company of Nigeria (SPDC) selbst in Auftrag gegebener interner Untersuchungsbericht.

Ein kürzlich bekannt gewordener, bereits im Dezember 2003 der SPDC vorgelegter Report einer internationalen Expertengruppe konstatiert, dass das Zusammenspiel von vielen scheinbar isolierten Geschäftspraktiken zu gewalttätigen Auseinandersetzungen beiträgt. Angesichts einer sich weiter ausbreitenden »lukrativen politischen Ökonomie des Krieges« und der zunehmenden Kriminalisierung der Konflikte würde es überraschen, wenn die SPDC und andere Shell-Unternehmen »in der Lage sind, die Onshore-Produktion im Nigerdelta über 2008 hinaus in Einklang mit den Shell-Geschäftsprinzipien fortsetzen zu können«.

Shell fährt 50 Prozent der täglichen Fördermenge Nigerias von knapp 2,5 Millionen Barrel Erdöl ein, 70 Prozent des Erdgases werden auf den Feldern des Konzern gefördert. Seit den frühen neunziger Jahren zog die enge Zusammenarbeit von Shell mit den Militärdiktaturen das Medieninteresse auf sich. Das Movement for the Survival of the Ogoni People (Mosop) und andere Organisationen mobilisierten internationale Unterstützung für ihren Kampf gegen die Allianz aus Petrobusiness und Militärapparat. Die brutale Repression der sozialen Bewegungen fand ihren Höhepunkt im Schauprozess gegen Ken Saro-Wiwa und acht weitere Aktivisten, die 1995 zum Tode verurteilt wurden.

Mit dem Amtsantritt der Zivilregierung unter Olusegun Obasanjo veränderte sich 1999 auch die Strategie des Unternehmens. Die ausschließlich gewalttätige Unterdrückung der Forderungen aus den Gemeinden hatte sich nicht nur für das Corporate Image als unvorteilhaft erwiesen, auch ist Shell nach wie vor aus dem Gebiet der Ogoni verbannt. Seitdem werden in so genannten Host Communities Entwicklungsprojekte finanziert, Stipendien vergeben, Wachschutzverträge und Abkommen abgeschlossen. Auf jährlich stattfindenden Stakeholders Workshops diskutieren hunderte Vertreter aller Seiten die Firmenpolitik. Nach eigenen Angaben gab die SPDC für Entwicklungsprojekte im Delta allein in den vergangenen zwei Jahren fast 100 Millionen US-Dollar aus. Doch die Konflikte im Delta halten unvermindert an.

Ein Grund dafür ist nach Meinung der Experten die Politik der Landakquise. Sie trage zur Spaltung von Communities bei, in denen Land traditionell als kommunales Gut galt. Individuelle Entschädigungszahlungen fördern Misstrauen und Neid, fehlende Transparenz verschärft diese Polarisierung. Das kurzfristige Interesse, die Ölproduktion aufrechtzuerhalten, stehe dem propagierten Ziel der Nachhaltigkeit entgegen. »Die Firma verhält sich gegenüber den Gemeinden so, als würde sie das Nigerdelta innerhalb der nächsten Monate verlassen«, heißt es im Bericht.

Einzelne Angestellte der SPDC verdienen dem Report zufolge direkt an der Schaffung von Instabilität und Gewalt. Jugendliche würden von den lokalen Autoritäten ermutigt, »Ärger zu machen«, um Zahlungen zu erhalten, an denen Mitarbeiter der Firma beteiligt würden. Einige Subunternehmer hätten das Inszenieren von gewalttätigen Konflikten in den Communities zu einem eigenen Geschäft gemacht, um »höhere Gewalt« für die Nichterfüllung von Verträgen gegenüber der SPDC geltend machen zu können. Auch für politische Akteure sei angesichts der Armut und fehlender Perspektiven das Einspannen von frustrierten Jugendlichen kein Problem. »Mir fällt es nicht schwer, Jugendliche zu mobilisieren, die Ärger machen und Druck auf Shell ausüben, ohne als Quelle identifiziert zu werden«, gab einer der Befragten zu Protokoll.

Als möglicherweise bedeutendsten konfliktverschärfenden Faktor im Nigerdelta identifizieren die Autoren den Diebstahl von Rohöl, der nach ihren Schätzungen jährlich zwischen 1,5 und vier Milliarden US-Dollar einbringt. Wegen der dafür notwendigen Kenntnisse sei die Involvierung von ehemaligen und aktiven Mitarbeitern der Ölfirmen naheliegend, die im Verbund mit internationalen Netzwerken und Politikern auf allen Ebenen agieren. Die Erträge aus diesem Geschäft würden unter anderem zum Import von Waffen und zur Finanzierung von Wahlkampagnen verwendet. Lokale Warlords etablieren sich, deren sich die Ölfirmen von Zeit zu Zeit bedienen, um ihre Anlagen oder ihr Personal zu schützen.

Die SPDC und andere Shell-Unternehmen, hält die Expertengruppe fest, »haben mehr Kontrolle über ihre externe Umgebung als allgemein angenommen«. Das ist eine sehr vorsichtige Umschreibung für den Umstand, dass die Ölgesellschaften in den Dörfern und Kleinstädten des Nigerdeltas wider Willen zur bedeutendsten Autorität aufgestiegen sind. Angesichts eines Zentralstaates, der sich auf das Abschöpfen des größten Teils der Ölrente und die Aufrechterhaltung minimaler Produktionsbedingungen mittels militärischer Belagerung beschränkt, sehen sich die Firmen in der Rolle eines privaten Souveräns, der seine Herrschaft indirekt ausübt. Ihr Gewaltmonopol suchen sie durch Jugendmilizen oder angemietete Truppen des nigerianischen Sicherheitsapparates durchzusetzen. Mit sozialen Interventionen – ein Ausgleich für die »Steuern«, die den Bewohnern des Nigerdeltas in Form von Zerstörung der Einkommensmöglichkeiten aus Landwirtschaft und Fischfang, teuren Lebenshaltungskosten und hoher Arbeitslosigkeit auferlegt werden – beauftragen sie eine Vielzahl von nationalen und internationalen NGO sowie Geberorganisationen. Die Company Rule des 19. Jahrhunderts nimmt im Nigerdelta ihre moderne Gestalt an.